Vor 50 Jahren war der Airport Kaltenkirchen schon beschlossene Sache. Aber dann kam alles anders. Warum eigentlich?

Hamburg/Kaltenkirchen. Auf der sechsspurigen A 7 zwischen dem Autobahnkreuz Bad Bramstedt und Hamburg fließt der Verkehr nur zäh - wie fast immer bei den Heimspielen der SG Lübeck-Kaltenkirchen in der Lufthansa-Arena an der Flughafenstraße, die sich in ihrer fünften Bundesligasaison für die Champions League qualifizieren will. Hinzu kommt, dass auch die S 6, die zwischen Altona und Kiel im Zehn-Minuten-Takt verkehrt, hoffnungslos überfüllt ist. Denn an diesem Augustwochenende des Jahres 2026 werden eine halbe Million Zuschauer zu den "Kaltenkirchener Airport Days" erwartet, dem 50. Jahrestag der Fertigstellung des Großflughafens.

Nun ja, das ist natürlich nur eine Was-wäre-gewesen-wenn-Geschichte. Wenn, ja, wenn vor 50 Jahren dem Beschluss zum Bau eines "Weltflughafens" zwischen Lentföhrden, Kaltenkirchen und Lutzhorn Taten gefolgt wären? Wenn das "Drehkreuz des Nordens" den verschlafenen Landstrich in ein blühendes Wirtschaftszentrum mit 100 000 neuen Jobs verwandelt hätte. Wo würde dann der Luftfahrtindustriestandort Hamburg stehen? Vielleicht sogar an erster und nicht, wie zurzeit, "nur" an dritter Stelle nach Seattle und Toulouse?

Aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft war der Großflughafen Kaltenkirchen immer eine Riesenchance, die auf dem politischen Parkett leichtfertig vergeben wurde - mal ganz abgesehen von den gut 100 Millionen Mark Planungskosten, die von den ersten Sondierungsgesprächen im Kaltenkirchener Restaurant Onkel Toms Hütte bis zur offiziellen Beerdigung des Projekts im Jahre 1983 ausgegeben wurden.

Dabei taucht die Frage nach Kaltenkirchen nach wie vor in unregelmäßigen Abständen auf, obwohl der Berliner (Pannen-)Großflughafen schon lange im Bau ist und mit Kopenhagen-Kastrup ein "Drehkreuz des Nordens" längst besteht.

Die "heikle Frage" wird jedoch hauptsächlich von Lärmgegnern gestellt, denen der Hamburg-Airport nach wie vor zu laut in den Ohren dröhnt. Solchen Argumenten gegenüber bleibt Airport-Chef Michael Eggenschwiler gelassen. "Ich rechne nicht damit, dass in absehbarer Zeit in Kaltenkirchen ein neuer Flughafen entsteht. Dafür hat der heutige Standort Hamburg zu viele Vorteile und genügend Kapazität", sagt er und erinnert an das bereits seit Jahrzehnten bestehende, umfassende Umwelt- und Lärmschutzkonzept seines Flughafens. Darüber hinaus habe man in den letzten zehn Jahren über 350 Millionen Euro in die Modernisierung investiert.

Rückblick: Die Hamburger Politik hatte es Anfang der 1950er-Jahre nicht geschafft, die neu gegründete Lufthansa dazu zu bewegen, Hamburg gegenüber Frankfurt den Vorzug als Flottenbasis zu geben. Immerhin hatte Helmut Schmidt, damals für die Verkehrsplanung in Hamburg verantwortlich, die heutige Lufthansa Technik AG an die Elbe locken können, indem er dem Unternehmen versprach, der Belegschaft preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Doch schon wenige Jahre später begann das Jet-Zeitalter, und mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des Luftverkehrs kam es zu den ersten ernsthaften Überlegungen, einen norddeutschen Großflughafen zu bauen. Ab Oktober 1960 trieb eine Kommission aus Hamburger Senat, den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen sowie dem Bundesverkehrsministerium dieses ehrgeizige Projekt voran. Schließlich einigten sich Hamburgs Erster Bürgermeister Paul Nevermann und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel 1962, rund 2200 Hektar Wald und Wiesen bei Kaltenkirchen als zukünftigen Verkehrs- und Wirtschaftsraum zu sichern und den "größten Zivilflughafen der Welt" zu bauen.

Die Kleinstadt besaß gute Verkehrsanbindungen, und die Umgebung war recht dünn besiedelt, sodass die zu erwartende Lärmbelästigung gering ausfallen würde. Dem Antrag auf Genehmigung des "Großflughafens Hamburg-Kaltenkirchen" wurde 1965 stattgegeben, man gründete eine Planungsgemeinschaft. Hamburg besaß daran einen 64-prozentigen Anteil, der Bund 24 Prozent und Schleswig-Holstein den Rest. Es war Eile geboten, denn die Passagierzahlen am Hamburg Airport stiegen rasant. Am 19. November 1968 unterzeichneten Wirtschaftssenator Kern und der Kieler Wirtschaftsminister Knudsen den Vertrag über den Bau eines "Flughafens Hamburg-Kaltenkirchen". Für etwa drei Milliarden Mark sollte nicht weniger als der größte und modernste Airport der Welt entstehen.

Der Siegerentwurf der Architektengemeinschaft Dorsch, Gerlach, Freese, Weidle und Howell sah halbringförmige Abfertigungseinheiten vor, die je nach Verkehrsaufkommen stufenweise erweitert werden könnten. An der Außenseite der Terminals sollten die Flugzeuge "vor Anker" gehen, während die Passagiere im inneren Ring abgefertigt werden konnten - nach dem damals revolutionären Prinzip von Abflug und Ankunft auf je einer Ebene. Für Autofahrer war im Innenring ebenfalls eine Abfertigungsmöglichkeit vorgesehen: im "Drive-in-Verfahren". Die Kapazität war auf zunächst 15 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt. Auf den beiden parallel verlaufenden Start- und Landebahnen mit einer Länge von je 4000 Metern sollten Überschallflugzeuge starten und landen können.

1970 traten der Bund und das Land Schleswig-Holstein in eine Gesellschaft ein: Aus der "Hamburger Flughafenverwaltung" wurde die "Flughafen Hamburg GmbH", der jetzt auch das Bauland gehörte. Doch was die Experten nicht hatten vorhersehen können, war der Ölpreisschock des Jahres 1973. Hinzu kam ein monatelanger Fluglotsenstreik, der dem internationalen (und deutschen) Flugverkehr empfindliche Einnahmeverluste bescherte. Auch die Wirtschaft schwächelte. Die prognostizierten Zuwachsraten im Luftverkehr schmolzen zusammen. Und dann waren auch noch rund 1300 Klagen gegen den Flughafen beim Verwaltungsgericht in Schleswig anhängig ...

Mit solch einem erbitterten Widerstand der Bevölkerung hatten die Verantwortlichen nicht gerechnet. Der Münchner Anwalt Christian Kopf hatte sich der Flughafengegner angenommen. Er ließ - genau wie in München, bei der Planung des Flughafens im Erdinger Moos - keine Gelegenheit verstreichen, um sich mit den Verantwortlichen vor Gericht zu streiten. Zwar verlor Kopf die meisten Prozesse, doch eines gewann er: Zeit.

Doch trotz dieser Verzögerungen, trotz einer zunehmenden Anzahl von Flughafengegnern (die sich vor allem aus der neuen "Grünen Bewegung" rekrutierte), trotz einer veränderten Streckenpolitik der Lufthansa (die allein Frankfurt und den zukünftigen Münchner Flughafen als internationale Drehkreuze betreiben wollte) wurden die Planungen vorangetrieben. Zwar bestätigte das Bundesverwaltungsgericht im August 1980 die Rechtmäßigkeit des Genehmigungsverfahrens, aber diese planungsrechtliche Grundlage hielt gerade mal bis zum November desselben Jahres, als das Oberverwaltungsgericht Schleswig einen Stopp für das gesamte Projekt verfügte. Die Begründung hierfür lautete, "dass sich die bisherigen Prognosen über die Zuwachsraten im Luftverkehr als falsch erwiesen" hätten und für einen "Ergänzungsflughafen" in Kaltenkirchen daher kein Bedarf vorhanden sei.

Jetzt begannen die politischen und juristischen Rückzugsgefechte. Schrittweise verabschiedeten sich die beiden Landesregierungen und der Bund vom "Luftkreuz des Nordens". Bei fast allen beteiligten Politikern stieß diese Entwicklung zunehmend auf Erleichterung. Denn die Rahmenbedingungen hatten sich zu diesem Zeitpunkt erneut verschlechtert: Der Rückgang im Verkehrsaufkommen konnte nicht mehr wegdiskutiert werden, die Haushaltskassen waren leer, das Umweltbewusstsein der Bevölkerung dagegen war enorm gestiegen. Nur der damalige Hamburger Flughafendirektor Uwe Christiansen betonte beinahe trotzig: "Wir wissen nicht, wie der Luftverkehr in 20 bis 30 Jahren aussieht. Das Projekt muss daher im Gespräch bleiben."

Auch der Senat wollte sich die Chance erhalten, im Bedarfsfall die Pläne rasch wieder aus der Schublade zu holen. Allerdings sollte Schleswig-Holstein dann auch einen höheren Kostenanteil übernehmen. Als der Lachanfall im Kieler Kabinett verklungen war, ließ Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) die Luftverkehrsgenehmigung für den Großflughafen widerrufen. Hamburgs Klagedrohung gegen dieses rüde Vorgehen wischte er mit einer massiven Drohung vom Tisch: Wenn der Senat auf die Klage nicht verzichtete, würde Schleswig-Holstein sich den Hamburger Wünschen nach Deponieflächen für Baggergut und Müll verschließen.

Am 3. November 1983 erklärten dann beide Länder einvernehmlich, dass sie nun nicht mehr beabsichtigten, den Großflughafen zu verwirklichen. Gleichzeitig wurden Maßnahmen zur Sicherung des reibungslosen Luftverkehrs in Fuhlsbüttel beschlossen, in erster Linie eine Verbesserung der Anbindung an die A 7. Doch was soll mit dem Land geschehen, das die Flughafen Hamburg GmbH bis heute besitzt?

"Das Gelände in Kaltenkirchen würde bei einem Verzicht auf das Projekt für andere Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wie diese Möglichkeiten genau aussehen, ist offen. Als Eigentümerin hat die Flughafen Hamburg GmbH ein Interesse, solche Gedanken selbst zu entwickeln", sagt Susanne Meinecke, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde. Aber noch gibt es keine konkreten Pläne. Und so rücken auf den 2200 Hektar von Zeit zu Zeit statt Baukolonnen bloß ein paar Waldarbeiter mit Pflanzmaschinen an. Die kleinlaute Devise lautet nun: Bäume statt Beton.