Eine Gemeinde in Nordfriesland produziert bundesweit am meisten Strom aus Sonnenkraft pro Einwohner und setzt weiter auf alternative Energie.

Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog. Schon bevor der Tag anbricht, sorgt die Sonne für Licht im Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog. Um sechs Uhr morgens gehen an den neun Bushaltestellen die Lampen an. Damit die Kinder, die auf den Schulbus warten, nicht im Dunkeln stehen. Den Strom dafür liefert ein kleiner Kasten auf der Rückseite des Häuschens: Eine Solaranlage mit Batterie gibt die gespeicherte Energie des Vortages ab. "500 Euro hat eine Anlage gekostet - das war billiger, als Stromkabel zu legen", sagt Bürgermeister Christian Nissen.

Man könnte es aber auch als i-Tüpfelchen auf eine Solaroffensive bezeichnen, die die 160-Einwohner-Gemeinde vor zwei Jahren startete und ihr in Rekordzeit einen Titelgewinn bescherte: Deutscher Solarmeister.

Die Deutsche Umwelthilfe und die Fachzeitung "Solarthemen" tragen seit zehn Jahren die Solarbundesliga aus. Welcher Ort pro Kopf die meisten Solarmodule und Kollektoren installiert hat, wird Champion. Die Konkurrenz ist groß. Gut 1500 Kommunen mit insgesamt mehr als 33 Millionen Einwohnern wetteifern um die Plätze. Den Platz an der Sonne holten sich in diesem Sommer zum zweiten Mal in Folge die Lübke-Kooger, die aus der Fotovoltaik 9455 Watt pro Einwohner erzielen und damit fast 1500 Watt mehr als die zweitplatzierte Gemeinde Glüsing (Schleswig-Holstein).

Der Grundstein für den Titel wurde in einer Kneipe gelegt. "Im Prinzip war das eine Schnapsidee, aus der diese Offensive hervorgegangen ist", sagt Nissen. Vier Mann saßen im Sommer 2008 zusammen und diskutierten, ob das nicht ein Thema für das Dorf sein kann. Schnell war man sich einig. "Wir haben alle große Scheunen, die nach Süden ausgerichtet sind. Die bieten sich für Solaranlagen an", sagt Nissen. Alle Haushalte wurden angeschrieben und zu einem Infoabend eingeladen. Eine Firma stellte ihr Angebot vor, Bank- und Versicherungsangestellte sowie Steuerberater gaben Auskunft über finanzielle Fragen. "Im Oktober haben wir dann zusammen eingekauft." 1,3 Megawatt Fotovoltaik wurden geordert, 4,5 Millionen Euro musste die Einkaufsgemeinschaft auf den Tisch legen. "Die Finanzierung hat jeder mit seiner Bank abgemacht", sagt Nissen.

Einer der Einwohner, der mit seinem Scheunendach Geld verdient, ist Frank thor Straten. Er investierte rund 380 000 Euro in die regenerative Energieversorgung auf seinem Hof. "Die Dächer mussten saniert werden und das haben wir genutzt." Im Mai dieses Jahres nahm er bereits seine zweite Solaranlage in Betrieb. Im Dorf ist es bereits das 26. Solarkraftwerk. Den eigenen Strom nutzt der 39-Jährige allerdings nicht: "Ich verkaufe den Strom teuer und bekomme ihn billiger zurück." Die Subventionen sind höher, wenn man den Strom ins Netz abgibt, anstatt ihn selbst zu verbrauchen. Und schließlich solle sich das ganze auch finanziell lohnen. "Ich erhoffe mir eine Kapitalrendite von sieben bis acht Prozent", sagt der Landwirt. "Das ist in der heutigen Zeit schon ein lukratives Investment", sagt Bürgermeister Nissen, der für seine Solaranlage 350 000 Euro in die Hand nahm, und ergänzt: "Man darf allerdings das unternehmerische Risiko nicht vergessen."

Im Koog stand auch der erste große Windpark Deutschlands

Der Unternehmergeist ist in der kleinen Gemeinde schon seit Jahren weit verbreitet. Rückblick: 1990 wird im Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog der erste große Windpark Deutschlands gebaut - es ist der Startschuss für die regenerativen Energien. Der Standort ist nahezu ideal. Im Dorf weht der Wind fast ebenso stark wie draußen auf dem Meer. "Wir haben einen Offshore-Standort an Land", sagt Nissen. Eine bayerische Beteiligungsgesellschaft stellt das Geld zur Verfügung, mit dem die Husumer Schiffswerft 52 Windkraftanlagen zu je 250 Kilowatt im Nordfriesland-Windpark aufstellt. "Lehrer aus Berlin und Rechtsanwälte aus München finanzierten das Projekt", erzählt Nissen. "Bald haben die Kooger gesehen, dass sich das finanziell lohnt." Drei Monate später gründet die Gemeinde den ersten Bürger-Windpark. 44 Einwohner werden zu Gesellschaftern der ersten Stunde. Bis 2004 folgen drei weitere Windparks. "Mittlerweile sind bis auf drei oder vier Leute im Dorf alle an den Windparks beteiligt. Das war uns wichtig, alle mit ins Boot zu holen", sagt Nissen. Denn während woanders häufig die Nebenwirkungen wie Schattenschlag oder Geräusche der Rotoren vor Ort bleiben, aber die Gewinne abwandern, bleibt im Koog beides: "Wir haben gute Renditen, die Anfang des zweistelligen Prozentbereichs liegen", sagt Nissen. Er steht einer Gemeinde vor, die mit 160 Einwohnern rund 45 000 Haushalte mit Strom versorgt. Und die "schuldenfrei" ist, wie er sagt. Mit den Windparks kletterten die Gewerbesteuereinnahmen nach oben: von einigen Tausend Euro jährlich Anfang der 1990er auf teilweise mehr als eine halbe Million Euro Jahreseinnahmen. So konnte das Dorf jedem Bürger 4000 Euro zuschießen, der die Kläranlage seines Hauses modernisierte.

Geld sei allerdings nicht die einzige Motivation für das Engagement. "Wir leben hier auf Meereshöhe. Da überlegt man schon, wo leben wir in 50 Jahren", sagt Nissen. Er denkt dabei an seine beiden Kinder Yulia, 16, und Keno, 19 Monate, und den drohenden Anstieg des Meeresspiegels. "Die Investitionen in die regenerativen Energien sind unser Signal für den Umwelt- und Klimaschutz." Schließlich soll sich die Nordsee nicht das Land zurückholen, das die Menschen dem Meer vor 56 Jahren abgetrotzt haben (siehe Beistück).

Derzeit bereiten Investoren den Start für eine Biogasanlage vor

Der Raum für einen Ausbau der alternativen Energien ist im Koog aber begrenzt. Zwischen den Windmühlen müssen Mindestabstände eingehalten werden, die sich nach dem Durchmesser der Rotoren richten. Und je größer die Anlagen werden, umso mehr Platz brauchen sie. Die Stromausbeute kann nur gesteigert werden, indem schwächere Anlagen gegen stärkere ausgetauscht werden.

Und auch bei den Solaranlagen wird es eng. Auf Ackerland befinden sich keine und neue würden auch nur noch gefördert, wenn sie bis Jahresende in Betrieb gehen. Zudem sei "der Großteil der Dächer besetzt", sagt Nissen. Aus der Vogelperspektive ergibt das einen blauen Fleckenteppich, denn die Höfe liegen mit bis zu 750 Meter Entfernung weit auseinander.

Das nächste Großprojekt mit alternativer Energiegewinnung steht allerdings schon in den Startlöchern. Sechs Personen haben gerade die KG Biogas Lübke-Koog gegründet. Auch Frank thor Straten hat sich beteiligt. "Ich will die entstehende Wärme für meinen Schweinestall nutzen", sagt der Besitzer von 400 Sauen. Denn für die jungen Ferkel muss der Stall zunächst auf 29 Grad Celsius, später immerhin noch auf 24 Grad Celsius geheizt werden. Bisher gebe er für Strom und Heizung 30 000 Euro pro Jahr aus. "Über die Biogasanlage hoffe ich, bis zu 15 000 Euro zu sparen." Das sei dringend notwendig, weil die Landwirte für ihre Produkte immer weniger bekämen.

Einen Ausgleich bieten die guten Renditen aus dem Energiegeschäft - wenn das Wetter mitspielt. Das spielt für Nissen denn auch eine Hauptrolle: "Wir fürchten nur noch eins im Lübke-Koog: neblige, windstille Tage."

Vielleicht sollte er noch die Diebe hinzufügen, denn eine der Solaranlagen in den Bushaltestellenhäuschen war nach dem Feuerwehrfest plötzlich weg. Die Täter steckten sich die Kraft der Sonne einfach ins Gepäck.