Vor 20 Jahren ging Hans Dornbusch nach Zinnowitz, um dort ein DDR-Hotel zu sanieren. Ahnungslos wurde er Hauptfigur eines Wirtschaftskrimis.

Manchmal sitzt Hans Dornbusch ganz allein auf seiner großen Terrasse im achten Stock des Baltic-Hotels in Zinnowitz und schaut über Usedom. Der Ausblick auf die Ostsee ist grandios, Polen zum Greifen nah. In solch beinahe schwerelosen Momenten fällt es nicht leicht, sich vorzustellen, wie die Welt von hier oben vor 20 Jahren ausgesehen hat. Als von blühenden Landschaften noch keine Rede war, das Baltic-Hotel noch Roter Oktober hieß und der Wismut AG gehörte. Ein maroder 340-Zimmer-Betonklotz für verdiente Mitarbeiter und stramme SED-Genossen. Vom Roten Oktober zum blauen Baltic - es wird nicht viele Gebäude geben, an denen man die Geschichte vom Zusammenprall der beiden deutschen Staaten in der Wendezeit so eindringlich erzählen kann. Dass es letztlich aber Menschen sind, die über den Fortgang der Geschichte entscheiden, davon kann Dornbusch packend erzählen.

Am liebsten geht Hans Dornbusch im Trainingsanzug durch sein riesiges Sport- und Wellness-Hotel. Der Kaufmann und Projektentwickler aus Buxtehude war schon einer zum Anfassen, als er nach dem Fall der Mauer Anfang 1990 das erste Mal nach Zinnowitz kam. Er war 51 Jahre alt und hatte seine ganz persönliche Wende noch vor sich. Das Land stand vor einer in der Geschichte beispiellosen Aufgabe: die Überführung einer kompletten Wirtschaft vom Plan zum Markt. Und Menschen wie Hans Dornbusch wurden von heute auf morgen zu Hauptdarstellern in einer Aufführung, für die es schlicht kein Drehbuch gab. "Ich war blind und blauäugig", sagt Dornbusch heute.

Dabei war er Experte. War zehn Jahre zuvor für die Sanierung der Buxtehuder Altstadt vom niedersächsischen Innenministerium ausgezeichnet worden. Jetzt aber wurde er plötzlich zur Schlüsselfigur in einem sehr realen Wirtschaftskrimi, weil ihn Bekannte direkt nach dem Mauerfall gebeten hatten, nach Usedom zu kommen. "Hans, komm rüber! Da gibt's jetzt viel zu sanieren, und da können wir Leute wie dich gut gebrauchen."

Es war die Zeit, als sich nicht nur die Bürgerrechtler aus dem Osten um das DDR-Erbe und einen möglichen Ausverkauf durch gierige Kapitalisten aus dem Westen sorgten und deshalb eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums gegründet wurde. Die Treuhand - vier Jahre lang für die einen Symbol der Hoffnung, für die anderen Zielscheibe ihres Hasses. Die letzte Treuhand-Chefin Birgit Breuel nannte es später "ein Wunder", dass Umbau und Privatisierung der Ost-Wirtschaft nicht zu größerem Aufruhr geführt haben.

Ein Wunder? "Ja, schon", sagt Dornbusch. Aber natürlich kommt es immer darauf an, ob man das große Ganze betrachtet oder ins Detail geht. Das große Ganze hatte einen einfachen Plan: Die Modernisierung des Ostens finanziert sich aus den Erlösen der Privatisierung. Die Realität gestaltete sich erheblich komplizierter. Es gab eine Flut von Prozessen, Werksbesetzungen, Hungerstreiks, aufgebrachte Beschäftigte und am Ende Milliarden Schulden.

Die Geschichte von Hans Dornbusch aber geht anders - obwohl auch sie von aufgebrachten Beschäftigten erzählt. Der frühere Handballtrainer aber ist nur deshalb noch in Zinnowitz, weil die Belegschaft den ersten Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Alfred Gomolka (CDU), in einem Brief aufgefordert hatte, die Immobilie wie vorgesehen an den Investor aus Buxtehude zu übergeben. "Wir kennen die Person und sein Konzept und sehen darin unsere soziale Sicherheit gewährleistet", schrieben die 40 Angestellten. 170 sind es heute. "Ohne diesen Brief", sagt Dornbusch, hätte er das Projekt aufgegeben.

Er hatte auch vorher schon mal an Aufgabe gedacht. Das war die Zeit, als es buchstäblich um Leben und Tod ging. Dornbusch erinnert sich noch heute an "Leute, die immer hinter uns gingen", als er sich vor 20 Jahren zum ersten Mal vor Ort "diese völlig zerfallene Kiste", die so gar nicht in die Architektur der Kaiserbäder auf Usedom passt, ansah. Kaum zurück in Buxtehude, folgten die Morddrohungen - zuerst per Telefon, dann auch schriftlich: "Wessi, bleib zu Hause! Wir drehen dir den Hals um." Da sei er neugierig geworden, sagt Dornbusch.

Um diesen Satz zu verstehen, muss man in der Biografie des Hans Dornbusch einige Jahrzehnte zurückgehen. Es war der 28. Dezember 1963, als der damals 25-jährige Industriekaufmann bei den Buxtehuder Mühlenwerken mit seinem rechten Arm auf ein Förderband geriet. Als der talentierte Handballspieler im Krankenhaus aufwachte, hatte er nur noch einen Arm und war stark abgemagert. Ein paar Tage später aber saß er schon im Klinikflur, rauchte und spielte Skat - alles mit einer Hand. Als die Ärztin ihn sah, haute sie ihm kräftig auf die Schulter: "Ich wusste doch, dass Sie sich nicht unterkriegen lassen!" Solche Menschen fallen nicht beim ersten Gegenwind um. Die brauchen zum Atmen und zum Leben wohl eher den kräftigen Wind von vorne. Und Dornbusch hatte ja mit seinem Konzept überzeugt. Hatte sich verpflichtet, Arbeitsplätze zu schaffen und außerdem eine Reha-Klinik sowie 200 Wohnungen für die Mitarbeiter zu errichten. In der ersten Abstimmung erhielt er dafür 17:2 Stimmen im Gemeinderat - und einen gültigen Kaufvertrag mit der Treuhand. Es konnte also losgehen! Die Anstalt in Berlin hatte den Kaufpreis des Objekts auf zehn Millionen Mark festgelegt.

Einen Tag später setzte der Gemeinderat eine erneute Abstimmung an - warum auch immer. Und diesmal stimmten die Ratsmitglieder mit 2:17 gegen Dornbusch. Die Gemeinde, die das Grundstück gepachtet hatte, war kurzerhand von dem Kaufvertrag zurückgetreten. "Da habe ich mir gesagt, es reicht", erzählt Dornbusch. Es gab eben nicht nur die Glücksritter aus dem Westen. "Es gab auch genug Einheimische, die wollten sich die Immobilien damals für'n Ei und ein Butterbrot unter den Nagel reißen."

Aber es gab ja dann den Brief der Belegschaft an den Landes-Chef. Demokratie von unten, sozusagen. Die Mitarbeiter hatten genug von den Wendehälsen im Gemeinderat - und sie sorgten sich um ihre Arbeitsplätze. Und dieses Schreiben der Basis zeigte Wirkung. Die Landesregierung lud zur endgültigen Klärung des Falles Treuhand, Bürgermeister, Investor und Gemeinderat nach Schwerin. "Und auf die Frage, wo denn die Gemeindevertreter sind, antwortete der Bürgermeister: ,Die Räte haben gesagt, die Regierung könne sie am Arsch lecken'", erinnert sich Dornbusch. Daraufhin zogen sich der Wirtschaftsminister und die Treuhand für fünf Minuten zurück, entzogen dann das Grundstück der Gemeinde und ordneten es der Bundesrepublik zu.

Nun war der Kaufmann aus dem Westen also gegen den Willen der Gemeinde, aber mit Unterstützung der Mitarbeiter Besitzer des Roten Oktober. Per einstweiliger Verfügung und mit zwei Polizeibeamten an der Seite nahm Dornbusch "sein" Hotel am 1. April 1993 in Besitz. Und dann eskalierte die Sache.

"Es gab sechs Brandstiftungen - im Hotel, im Bootsschuppen und zwei in den Personalwohnungen, bei denen sich Mitarbeiter nur durch den Sprung aus dem Fenster gerettet haben", erzählt er. Es gab nachts Bombenalarm, und irgendwann stellte Dornbusch eigene Sicherheitsleute ein. Einer davon, ein junger Mann aus Zinnowitz, "wurde im Frühjahr 1994 an der Rezeption erschossen. Der Mord ist nie aufgeklärt worden", sagt Dornbusch verbittert. Seine Reaktion? "Jetzt ziehe ich das hier durch."

Er steckte rund 20 Millionen Mark in die Sanierung - neue Fenster, neue Leitungen, neue Fußböden. Suiten im achten Stock, Wellnessbereiche, Strandsauna, Spaßbäder. Mit rund 150 000 Übernachtungen pro Jahr ist das Baltic heute eines der meistbesuchten Hotels an der Ostsee.

Dornbusch holte prominente Sportler aus ganz Deutschland auf die Insel, die sich in seinem Hotel auf ihre Wettkämpfe vorbereiten. Felix Magath kam mit seinen Bundesliga-Teams, Horst Hrubesch mit den Jugendnationalmannschaften. Für die Boxer räumte Dornbusch extra einen Konferenzraum leer und stellte dort einen Original-Ring auf. Die Klitschko-Brüder gehören zu seinen Freunden, genau wie die HSV-Legenden Uwe Seeler und Willi Schulz.

Er verleiht den "Marita-Koch-Preis", um den Leichtathletik-Nachwuchs in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Organisiert seit 1993 einen Sportlerball, bei dem sich Welt- und Europameister, Olympiasieger und die hoffnungsvollsten Talente aus Ost und West treffen. "Hans Dornbusch hat mehr für die Wiedervereinigung getan als Hunderte Politiker und Funktionäre", hat Box-Trainer Fritz Sdunek einmal gesagt.

"Wer zu seiner Arbeit keine Lust hat und nur arbeitet, um dadurch so schnell wie möglich zum Genuss zu gelangen, aus dem wird nur durch Zufall kein Verbrecher." Dieser Wandspruch in seinem Büro erzählt viel über den umtriebigen 71-Jährigen mit dem Lebensmotto: "Lachen können und das Brot teilen." Der seinen Vater, der "im Krieg blieb", sehr vermisst hat und sich noch gut daran erinnern kann, wie er mit seinem Großvater nach dem Krieg "40 Mark in die Hand bekam - damit ging es los".

60 Jahre später macht er, mittlerweile unterstützt von seinem Sohn Tim, mit dem Hotel Baltic 8,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Hat im ehemaligen Diplomatendorf Loddin 40 Häuser gebaut und im urigen Karlshagen den Hafen modernisiert. Aus Dankbarkeit über die Wiedervereinigung hat er der Uni Greifswald eine Segelyacht geschenkt und den Ruderklub saniert. Doch so engagiert er für eine Sache streitet, so wenig Aufhebens macht er um seine eigene Person. Sitzt abends am liebsten in seiner Hotelbar. Hier hat "Dorni" seinen Stammplatz, raucht Kette und spielt Skat bei Bier und Wodka. Sind die blühenden Landschaften wahr geworden? "Absolut ja", sagt er, "aber ..."

Wäre es nach ihm gegangen, hätte alles nicht so lange gedauert. Er hat ja immer hohes Tempo gemacht. Ist als Handball-Trainer mit seinen Mannschaften 43-mal aufgestiegen, hat die Buxtehuder Damen bis in die Bundesliga geführt. Und ob man nun eine Mannschaft trainiert oder ein Hotel führt, sei im Grunde egal. "Du musst ordnen und gestalten können. Und in deinem Team müssen die Hackordnung und der Geist stimmen." Das Land aber ist kein Hotel und auch kein Team. "Es gibt hier immer noch ein sehr ausgeprägtes Obrigkeitsdenken", sagt Dornbusch. Leute, die noch nicht begriffen hätten, was freies Unternehmertum ist. Wenn er mit seiner mittelständischen Firma 300 000 Euro Gewerbesteuer und die gleiche Summe pro Jahr an Kurtaxe bezahle, möchte er mitreden und nicht als Fremdkörper behandelt werden. Und schon gar nicht, wie er später herausfand, noch jahrelang nach dem Erwerb der Immobilie abgehört werden.

"Bis Deutschland wirklich zusammengewachsen ist, wird es noch eine Generation dauern", sagt Dornbusch. Er ist begeistert von den jungen Leuten. Die Leidenschaft haben, sich einmischen, ihre Meinung sagen. Denen er täglich seinen Führungsstil vorlebt. "Nach unten helfen - und nach oben Gas geben."