Sieht so das Paradies aus? Im Wohnprojekt „Wilde Rosen“ in Wulfsdorf leben und arbeiten die Menschen in Eintracht miteinander und mit der Natur. Sie bezahlen mit dem„Rosenthaler“.

Hamburg. Üppig wuchern Stauden und unzählige Wildrosenarten in den Vorgärten und auf den Freiflächen zwischen den Wohnhäusern auf dem Gelände der einstigen Wildrosenzucht des Max-Planck-Instituts in Wulfsdorf nahe Ahrensburg. Ihre Anordnung erinnert an die rondellartige Struktur einer Ferienanlage. Kinder spielen unbehelligt von Autos auf gewundenen Backsteinwegen. Die mit Lärchenholz verkleideten Fassaden der Häuser verschmelzen mit der Umgebung. Auf einer Freifläche im Zentrum der Anlage hat es sich eine Bewohnerin in einer Hängematte bequem gemacht, aus der sie vorübergehenden Nachbarn zuwinkt.

Willkommen im Wohnprojekt „Wilde Rosen“. Der 5,6 Hektar große Wohnpark zwischen Hamburg und Ahrensburg verkörpert ein Leben im Einklang mit der Natur und in Eintracht mit der Nachbarschaft: Die 72 Wohneinheiten, darunter Reihenhäuser, Maisonette- und Dachgeschosswohnungen, liegen inmitten von Wiesen, Wäldern und Seen. Der Demeterhof Gut Wulfsdorf und das alternative Wohnprojekt Allmende-Wulfsdorf mit seinen 250 meist jugendlichen Bewohnern befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft.

Einer für alle, alle für einen: Die Bewohner der „Wilden Rosen“ verstehen sich vor allem als eine soziale Gemeinschaft: Sie unterstützen sich gegenseitig, dabei entwickeln sie ihre Wohnanlage kontinuierlich weiter. Das spiegelt sich in zahlreichen Arbeitsgemeinschaften, den AGs, wider. Eine wurde damit beauftragt, den Gemeinschaftsraum zu möblieren, andere AGs kümmern sich um die Anschaffung der Ponys für die Kinder oder den Kauf eines Gemeinschafts-Pkw. Eine Mutter hat gerade eine „Baumhaus AG“ gegründet. „Alle Projekte werden vorher gemeinschaftlich genehmigt und budgetiert, anschließend werden die Ergebnisse dem Plenum vorgestellt“, erklärt Anna Trautvetter, eine der Bewohnerinnen.

Auch die eigene Währung, der „Rosenthaler“, stärkt den Gemeinsinn. Mit ihm werden Dienstleistungen unter den Bewohnern entlohnt. In jedem Haushalt liegt eine Liste aus mit den Namen, Telefonnummern und den besonderen Fähigkeiten jedes Einzelnen – etwa Kochen, Kinderhüten, Massage oder Fahrradreparatur. „Der Rosenthaler schließt eine halbstündige Zeiteinheit der jeweiligen Leistung ein“, sagt Trautvetter. Vor allem Kochleistungen, etwa im Rahmen von Familienfeiern oder Kindergeburtstagen, würden gern in Anspruch genommen.

„Wir funktionieren im Prinzip wie ein archaisches Dorf im Mittelalter, bei dem sich jeder einbringen kann“, sagt Karin Zäschke, eine weitere Bewohnerin des Wohnprojekts. Bei Meinungsverschiedenheiten habe sich bisher immer ein Kompromiss finden lassen.

So viel Harmonie dürfte vielen Außenstehenden fast unheimlich sein. Für die meisten Bewohner ist sie jedoch das Ergebnis einer bewusst getroffenen Entscheidung, ihr Leben in einer Gemeinschaft ihrer Wahl führen zu können, die sich als Gegenentwurf zu den eher anonymen Wohnvierteln versteht.

Gleichzeitig spiegelt das Wohn- und Lebensmodell der „Wilden Rosen“ die wirtschaftlichen Vorteile einer funktionierenden Baugemeinschaft wider: Wegen einer ausgeklügelten Standard-Bauweise und eines fair kalkulierenden Bauunternehmens aus Lübeck konnten die Erst-Eigentümer für nur rund 2000 Euro pro Quadratmeter ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen – und lagen damit deutlich günstiger als Bauherren vergleichbarer Objekte in Hamburg. Gleichzeitig entsprechen alle Häuser den ökologischen Standards eines KfW-40-Energiesparhauses, das mit nur vier Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr auskommt.

Einige der glücklichen Hausbesitzer haben sich auf dem Dorfplatz zum Feierabend-Plausch versammelt, unter ihnen ist auch Lars Straeter. Der Architekt hat das Wohnprojekt „Wilde Rosen“ im Auftrag seines Arbeitgebers, der Projektentwicklungsgesellschaft Conplan GmbH, ins Leben gerufen. Vor dem Baustart im Jahr 2009 hatte er den Bebauungsplan bei der Stadt Ahrensburg zur Genehmigung eingereicht, dabei gleichzeitig potenzielle Interessenten für die Baugemeinschaft geworben.

Das Konzept überzeugte, die Gemeinschaft der Eigentümer fand sich schnell: Sie gründeten die Wilde Rosen GbR und beauftragten das Hamburger Architekturbüro Trapez + mit der Ausführung. Parallel dazu entstand das sogenannte „Gewerbegebiet“ im Südteil mit Seminar- und Tageshaus, vier therapeutischen Praxen, diversen Büros, Gewächshäusern für Bambus, Gemeinschafts- und Gästeräumen sowie einem von Behinderten betriebenen Café.

Auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten hat Stimmtherapeutin Astrid Korth auch ihre 80 Quadratmeter große Erdgeschoss-Wohnung, die sie mit ihrem Sohn bewohnt. Sie verfügt über eine offene, lichtdurchflutete Küche mit angrenzendem Wohnbereich sowie zwei Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer. Wie alle Bewohner konnte Astrid Korth ihre Vorstellungen vor Baubeginn an das Architekturbüro schicken. „Aus den eingehenden Wünschen ergaben sich dann das Volumen und die Kubatur der Häuser“, sagt Projektleiter Götz Schünemann.

Wer sein Objekt verkauft, stößt auf Interessenten, die bereit sind, auch mehr zu zahlen als die Erstbewohner. Der Hamburger Architekt Thomas Vogel gehört beispielsweise dazu. Er hat mit seiner Familie ein Reihenhaus im Nordteil der „Wilden Rosen“ erworben. „Im Vergleich zu den Hamburger Immobilienpreisen war der Preis dennoch akzeptabel“, sagt Vogel. Der Wiederverkaufspreis orientiere sich halt am allgemeinen Marktwert. Der Architekt und seine Frau haben sich bewusst gegen ein Weiterleben in Ottensen entschieden. „Wir haben uns vor allem für unsere Kinder ein freieres, naturnahes und gemeinschaftliches Aufwachsen gewünscht.“ Eine hohe Lebensqualität erhoffen sie sich vor allem durch die „ländliche Entschleunigung“ bei gleichzeitig guter Anbindung an die Stadt.

Wenn Karin Zäschke Besuch bekommt, bittet sie ihn auf die hoch gelegene Terrasse ihres Hauses, von wo der Blick über die Gemeinschaftsgärten bis zum Weidegrund der Ponys geht. „Wir haben uns hier ein Paradies geschaffen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir vollkommen autark leben könnten.“

Für Architekt Dirk Landwehr ist das Wohnprojekt „Wilde Rosen“ vor allem ein Fingerzeig in die Zukunft. Sein Team bei Tapez + beschäftigt sich viel mit der Frage, wie Architektur die Wohnbedürfnisse kommender Generationen antizipieren kann. Die Tatsache, dass schon aus demografischen Gründen der Bedarf an Pflegeeinrichtungen und entsprechendem Fachpersonal steigt, treibt ihn um. „Die Menschen wollen in vertrauter Umgebung alt werden. Solche Wohnprojekte können mit Sicherheit die dafür nötigen Strukturen schaffen und sich damit als echte Alternative zu anonymen Pflegeeinrichtungen positionieren“, sagt Landwehr. Eine gute Idee für eine neue AG.