Intelligente Baumaterialien verhindern, dass sich auf Böden, Fliesen, Glas und Dachziegeln Ablagerungen bilden. Die Natur hilft dabei sogar mit.

Bald ist er endlich da - der Frühling. Doch noch ist draußen alles grau, die Terrassen sind schmutzig, voll Flechten und Algen. Kärcher und Sandstrahler werden dennoch bei vielen Gartenbesitzern im Schuppen stehen bleiben können, wenn sie Steine, Fliesen oder Holz imprägniert haben. Dann lassen sich solche Flächen leichter vom Schmutz befreien. Mittel dafür (z. B. Kunstharz) kann man leicht selbst mit einer Malerrolle oder einem Pinsel auftragen. "Imprägnierte Flächen lassen sich viel leichter reinigen", bestätigt Helge Hofmann vom Natursteinhändler Marmor Möller. Die Imprägnierung dringe in den Stein ein und verhindere das Wachstum von Flechten und Algen. Bis zu drei, manchmal sogar sechs Jahre halte so ein Schutz - je nach Standort. "Je schattiger der Platz, desto mehr Algen bilden sich dort", sagt Hofmann.

Auch Dachziegel, Fenster oder Fliesen können schmutzabweisend beschichtet werden. Geworben wird mit Produkten, die sich nicht nur besser säubern lassen, sondern die überdies scheinbar Unmögliches leisten: Sie bauen Mikroben und Schimmelpilze ab und setzen dabei sogar Sauerstoff frei.

Allen diesen sogenannten "intelligenten Baumaterialien" liegt ein Wirkstoff zugrunde: Sie beinhalten Titandioxid. Diese Substanz kann auch als die "Eier legende Wollmilchsau der Chemie" bezeichnet werden. Sie wird künstlich hergestellt und wurde bisher vor allem zum Weißen von Farben, Lacken und Zahnpasta verwendet.

In Kombination mit Sonnenhilfe ermöglicht diese Substanz sogar, dass sich Oberflächen selbst reinigen. Möglich wird dies durch Photokatalyse, ein chemischer Vorgang, der durch das Zusammentreffen von Tageslicht, Luftfeuchtigkeit und Titandioxid in Gang gesetzt wird. Der Vorgang ähnelt der Fotosynthese bei Pflanzen: Sobald Licht auf die Beschichtung trifft, wird aktiver Sauerstoff freigesetzt. Davon profitiert nicht nur die Umwelt, der Sauerstoff zerstört in einem Vorgang, der "kalte Verbrennung" genannt wird, zugleich die Zellstruktur von Mikroorganismen wie die von Moosen, Pilzen, Algen oder Schimmel. Mit der Folge: Sie bilden sich nicht mehr.

Längst kommen so beschichtete Oberflächen in öffentlichen Gebäuden wie dem Schwimmbad Dulsberg zum Einsatz. Oder in Krankenhäusern, weil hier Bakterien und Keime nun nicht mehr mit scharfen Reinigungsmitteln bekämpft werden müssen.

"Die photokatalytischen Eigenschaften von Titandioxid und die daraus resultierenden Vorzüge sind schon seit Jahrzehnten bekannt", sagt Werner Ziegelmeier, Pressesprecher bei der Deutschen Steinzeug. Das Unternehmen verkauft Fliesen, die mit einer HT-Veredelung versehen sind. Bei diesem Verfahren wird Titandioxid bei sehr hohen Temperaturen auf Keramikfliesen gebracht, sodass es sich dauerhaft mit ihnen verbindet. So entstehen Produkte, die Sauerstoff freisetzen und weder Schmutz noch Bakterien annehmen.

Dieses Prinzip machen sich auch andere Hersteller zunutze. Die Firma Erlus wirbt beispielsweise mit Dachziegeln, die Fettablagerungen, Ruße und Moose zerstören. Der international agierende Hersteller Pilkington verkauft Glas, das auf der Außenseite mit Titandioxid beschichtet ist. "Die photokatalytische Reaktion zersetzt organische Verschmutzungen auf dem Glas", sagt Denise Goldau, Diplom-Ingenieurin bei Pilkington. "Allerdings wird für den Prozess Regenwasser benötigt, um die Flächen sauber zu spülen."

Oberflächen mit Titandioxid sind hydrophil (Wasser anziehend) und glatt: Das Wasser bildet auf ihnen einen dünnen Film, anstatt sich zu Tropfen zu sammeln. So unterwandert es den Schmutz und spült ihn fort. Hydrophob (Wasser abweisend) dagegen heißen Oberflächen, auf denen winzige, für das Auge nicht sichtbare Noppen aufgebracht sind. Diese Struktur führt zur Bildung von Tropfen, die dann abperlen und den Schmutz mitnehmen können. Vielen auch bekannt als Lotus-Effekt, denn genau so ist es auf Blättern dieser Pflanze zu beobachten. Der Nachteil der Noppen ist, dass sie empfindlich gegenüber Scheuern oder anderen mechanischen Bewegungen sind. Oberflächen auf Titandioxid-Basis sind hingegen belastbar, wie Ziegelmeier von der Deutschen Steinzeug betont. Sie hielten ein ganzes Fliesenleben.

Solcherart behandelte Beschichtungen haben ihren Preis: Etwas mehr als vier Euro pro Fliese kalkuliere sein Unternehmen, so der Fachmann. Eine gute Fliese koste im Fachhandel rund 40 Euro. "Bei einem durchschnittlichen Bad von 25 m² würden die Fliesen insgesamt 1000 Euro kosten. Davon entfallen 100 Euro für die HT-Veredelung. Man kann also mit etwa zehn Prozent höheren Kosten rechnen", sagt Ziegelmeier. Für Natursteine auf Terrassen sind solche Böden noch nicht im Angebot. "Auch weil es viele Kunden schätzen, wenn sich auf ihnen eine Patina bildet", sagt Hofmann.

Das Scheuern und Putzen wird sich also auch in diesem Frühling auf Terrassen nicht vermeiden lassen. Immerhin gibt es Hilfsmittel, die die Arbeit erleichtern: Gegen Moos und Algen gibt es Spezialreiniger im Handel. Hofmann: "Sie neutralisieren die Beläge, lösen sie von der Oberfläche, ohne aber den Pflanzen im näheren Umkreis zu schaden. Der Regen trägt die Verschmutzungen dann zum großen Teil ab."