Nicht bloß anders wohnen, sondern auch anders leben: Minimalisten entrümpeln Wohnung und Geist und fühlen sich dadurch befreiter.

Ausmisten, überflüssige Dinge spenden, weniger verbrauchen und besitzen: Was früher als bewusstes Leben galt, ist unter dem Schlagwort Minimalismus zum Trend geworden. Es geht dabei um mehr als bloßes Entrümpeln. "Es kommt nicht darauf an, wie viele Dinge man besitzt, sondern, wie sehr einen die Dinge besitzen", erläutert Sebastian Michel aus Berlin seine Philosophie. Er ist einer der wenigen bekannten Verfasser im Internet, die zu diesem Thema in Deutschland schreiben.

Michael Klumb aus Bergisch Gladbach hat sich von 2500 CDs getrennt. "Es ist nicht das Stück Plastik, sondern, was du damit verbindest", sagt der 30-Jährige. "Den ersten Song, den ich auf Platte hatte, kann ich auch per Internetradio hören." Und Klumb hat 200 Bücher verschenkt oder gespendet. "Heute habe ich einen Büchereiausweis und immer noch Zugriff, aber mehr Platz." Ein Wok hat Mikrowelle und Küchenmaschine ersetzt. Das Ausmisten hat für Klumb ganz praktische Gründe gehabt: In seiner Einzimmerwohnung fallen Essen, Schlafen und Arbeiten auf 42 Quadratmetern zusammen.

Minimalistisches Wohnen ist aber kein Bedürfnis, das nur aus Platznot entsteht. Der "Down-Shifter" Oliver Lauberger aus Frankfurt am Main - so bezeichnet man Menschen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um sich anderen Dingen zuzuwenden - hat seine Eigentumswohnung bewusst aufgegeben, als er mit seiner Freundin zusammenzog. "Die Wohnung war wie ein Klotz am Bein", sagt der 48-Jährige. Er trennte sich von Büchern, CDs, Platten, Fernseher, Stereoanlage, Regalen und Schränken. Stehpult und Laptop ersetzten Schreibtisch und Desktop-PC.

Als Schreiner baut Lauberger seine Möbel selbst. "Das kostet Zeit und Geld. Aber über einen Tisch brauche ich mir dann bis zum Lebensende keine Gedanken mehr zu machen." Auf Dauer lebe es sich damit sogar günstiger. "Ich verwende natürliche Materialien, sowohl aus ökologischen als auch haptischen Gründen." Einzelstücke müssten im Raum zur Geltung kommen. Der Rest soll schlicht sein. Die Abwägung zwischen Qualität und Quantität macht für Lauberger letztlich das minimalistische Element aus. "Lieber weniger gute Möbel, dafür aber hochwertig."

Sich von persönlichem Besitz zu trennen braucht Zeit. Die britische Autorin Maggie Toy, die viel über Minimalismus geschrieben hat, rät zu einer einfachen Regel: "Alles, was du im vergangenen Jahr nicht benutzt hast, verkaufen oder spenden." Alles, was nur ab und zu benutzt wird, sollte außer Sicht geschafft werden. "Zum Beispiel in einen großen Schrank." Und das, was wirklich gebraucht wird, füllt den Raum aus. "Kauf dir schöne Einzelstücke, vielleicht von dem Geld, das du durch den Verkauf eingenommen hast."

Wer sich Minimalist nennt, will in der Regel mehr ändern als die Einrichtung seiner Wohnung. Nachhaltigkeit, Konsumkritik, ein alternativer Lebensstil - das spielt alles mit rein. "Man hinterfragt alles", sagt Michael Klumb. Brauche ich wirklich Weißwein- und Rotweingläser? Besteck für zwölf Leute? Je weniger man besitzt, umso weniger Ablenkung hat man." Derselben Ansicht ist Toy: "Minimalismus führt zu einem einfachen und fokussierten Leben." Alles habe seinen Platz. "Man verschwendet seine Zeit nicht damit, Dinge zu suchen." Das Zuhause zu entrümpeln befreie auch den Geist: "Tidy home, tidy mind", sagt Toy. Lauberger ergänzt: "Es geht von der äußeren zur inneren Ordnung. Man wird ausgeglichener, ruhiger, kann sich besser konzentrieren und anders arbeiten."

Die Frage lautet immer: Was brauchen wir eigentlich? "Es gibt eine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass wir weniger verbrauchen", sagt Lauberger. Er will dabei nicht wie ein Gutmensch klingen. "Aber mir geht es damit einfach besser." Jeder müsse selbst wissen, wo er sich einschränkt. "Ich als Musiker habe zum Beispiel auch drei Gitarren, das ist okay." Man sollte beim Ausmisten nicht zu streng mit sich sein.

Sebastian Michel hat sich mit Minimalismus beschäftigt, weil er sich unwohl und eingeengt fühlte. "Ich wusste, dass ich in meinem Leben etwas verändern möchte." Er digitalisierte Bücher und DVDs, gab Kleidung weg, die er ohnehin nie anzog.

Fernseher und Spielkonsole abzugeben sei schon schwieriger gewesen. "Hier ging es mir in erster Linie darum, nicht die Dinge aufzugeben, sondern die Gewohnheiten, die ich damit verbunden habe", sagt Michel. "Es geht für mich nicht darum, zwanghaft Dinge loszuwerden oder einfach aufzuräumen, sondern etwas loszulassen, um mich wichtigeren Dingen zuzuwenden." Dieser Gedanke macht den Minimalismus für viele so interessant. Vielleicht gerade jetzt so kurz vor Jahresende.