Als der Hamburger Architekt Ricardo Bahre 1902 den Auftrag erhielt, zwischen den beiden Hotelbauten "Streit's Hotel" und "Hamburger Hof" am Jungfernstieg ein neues Kontorgebäude zu bauen, hatte er sich bereits, gemeinsam mit seinem Büropartner Carl Querfeld, einen Namen gemacht. Zu den Bauten, die aus ihrer Feder sind, zählt auch das heutige Schmidt's Tivoli am Spielbudenplatz. Spektakuläre Entwürfe aus ihrem Büro sucht man allerdings vergebens, beide Architekten bewegten sich im Einklang mit der damaligen Architektursprache. Mit dem Bau des Heine-Hauses am Jungfernstieg setzte sich Bahre aber ein Denkmal. Es gehört zu den herausragenden Jugendstilgebäuden in der Hansestadt.

Das Baugrundstück, das die Bauherren Julius Campe und Julius Kallmers dem Architekten anvertrauten, war schmal. Hier stand das 1843 nach dem Großen Brand erbaute Heine-Haus, das seit 1866 als Frauenwohnstift genutzt worden war. Das zweistöckige, 60 Jahre alte Gebäude war 1902 "auf Abbruch verkauft worden".

Was baut man in eine Baulücke? Welches Haus passt zwischen zwei so ungleiche Hotelbauten wie dem kurz nach dem Großen Brand von 1842 wieder aufgebauten, schlichten "Streit's Hotel" und dem in reichsherrlicher Pracht wuchtig-massiv gebauten Neu-Renaissance-Palast "Hamburger Hof" aus dem Jahre 1881?

Bahre tat das, was heutzutage vielen Architekten vorgeworfen wird: Er baute einen Glaspalast. Modern war damals der Jugendstil. Ohne die großen Glasfenster hätte das Gebäude nie einen eigenen Stellenwert erlangen können.

Der Jugendstil gefiel vielen Hamburgern. Zahlreiche gutbürgerliche Wohn- und Kontorhäuser wurden in diesem Stil erbaut. Der eklektizistische Fassadenschmuck der Gründerzeitgebäude mit seinen Marsköpfen konnte sich gegenüber den beschwingt-verspielten Formen und der Ornamentik des Jugendstils immer weniger behaupten. Dennoch gab es auch in der Hansestadt Kritiker, die nicht von altbewährten Bauformen lassen wollten. Unter ihnen war der Hapag-Chef Albert Ballin, der sich im gleichen Jahr, in dem Ricardo Bahre das Heine-Haus entwarf, vom Rathaus-Architekten Martin Haller an der Binnenalster eine neue Firmenzentrale im Neo-Renaissancestil für seine Reederei bauen ließ. Hallers Haus ging in dem Neubau von Fritz Höger aus dem Jahre 1919 auf. Bauherren wie Ballin, die an traditionellen Baustilen festhielten, wird es nicht gefallen haben, dass öffentliche Bauten wie der Dammtor-Bahnhof - auch er wurde wie das Heine-Haus 1903 erbaut - im Jugendstil errichtet wurden. Der Bahnhof gehört heute zu den architektonischen Juwelen Hamburgs.

Der von Albert Ballin verehrte Kaiser Wilhelm II. hatte für den neuen Bahnhof nur ein geringschätziges "Ist ja ganz nett" übrig. Der Kaiser verhinderte mit seinem Veto auch, dass der Hamburger Hauptbahnhof im Jugendstil gebaut wurde. Im Architekten-Wettbewerb hatte ein verspielter Jugendstilentwurf den ersten Preis erhalten. Da Preußen den Neubau aber zu einem guten Teil finanzierte, beugte sich der Senat gerne dem Verdikt aus Berlin. Stattdessen wurde 1906 der massive Hauptbahnhof, wie wir ihn kennen, gebaut. Überhaupt dauerte die Jugendstilepoche in Hamburg nur wenige Jahre, denn noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden mit dem neuen Heimatstil Backsteinbauten populär. Nach dem Krieg wurde der Backstein in der Ära des Oberbaudirektors Fritz Schumacher zum verbindlichen Baumaterial.

Das Heine-Haus, das im Zweiten Weltkrieg gelitten und in den Fünfzigerjahren im Stil der Nachkriegszeit modernisiert und verschandelt worden war, wurde 2002 im Auftrag des Eigentümers, der Campe'schen Historischen Kunststiftung, aufwendig restauriert. Das Architekturbüro Ockelmann Rottgardt und Partner hat die Jugendstilelemente herausgearbeitet und neu zur Geltung gebracht.

In unregelmäßigen Abständen stellen wir markante Gebäude in Hamburg vor.