Längst graben Tablets oder Smartphones dem traditionellen Computer das Wasser ab. Microsoft will mit Windows 8 genau diese Sparte bedienen.

Berlin/Anaheim. Microsoft wagt mit seinem neuen Betriebssystem Windows 8 in einem seiner Kerngeschäfte den Neustart - und sucht damit den Anschluss an die Post-PC-Ära. „Wir haben Windows neu erfunden“, erklärte Microsoft-Manager Steven Sinofsky vollmundig bei der ersten ausführlichen Präsentation des neuen Programms am Dienstagabend im kalifornischen Anaheim. Flexibler und leistungsfähiger soll es sein und trotzdem erstmals auch für Tablet-PC optimiert – eine Geräteklasse, die mit dem Erfolg von Apples iPad erst so richtig in Schwung geraten ist. Nun droht diese sogar, der PC-Branche das Wasser abzugraben.

„Vom Chipsatz bis hin zur Benutzeroberfläche bietet Windows 8 eine Reihe neuer Funktionen, die ihresgleichen suchen.“ Insgesamt 1500 Veränderungen hätten die Entwickler gegenüber Windows 7 umgesetzt, sagte Sinofsky. Windows 8 ist der wohl dramatischste Versionssprung seit Windows 95. Die neue Plattform hat sich radikal von der altbekannten Oberfläche mit Startbutton und Taskleiste verabschiedet und nimmt stattdessen kräftig Anleihen bei Microsofts noch jungem Smartphone-Betriebssystem Windows Phone 7.

Wann Windows 8 allerdings ins Rennen mit Googles Android und Apples iOS gehen kann, ließ Sinofsky auf der Entwicklerkonferenz Build offen. „Wir lassen uns von Qualität antreiben, nicht von einem Datum“, sagte Sinofsky. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass Windows 8 nicht vor Anfang 2012 erscheinen wird, realistisch ist aber auch die zweite Jahreshälfte.

Der Zeitpunkt dürfte aber nicht unkritisch sein. Bislang hatte sich Microsoft schwergetan, in den boomenden Markt der Tablets vorzudringen und das Geschäft der Konkurrenz überlassen. Derzeit führt Apple mit einem Marktanteil von gut 70 Prozent den Markt unangefochten an, gefolgt von Googles Android. Je länger Microsoft den Starttermin nach hinten schiebt, umso stärker spielt das den Rivalen in die Hände.

Dabei ist der Vorgänger Windows 7 erst zwei Jahre auf dem Markt. Nach Berechnungen der Marktforscher von Gartner dürfte das System bis zum Jahresende gerade einmal auf 42 Prozent aller PCs weltweit installiert sein. Damit hat sich Windows 7 zwar deutlich schneller bei Unternehmenskunden und privaten Verbrauchern durchgesetzt als dessen Vorgänger Vista, doch die Nachfrage im PC-Markt schwächelt unübersehbar.

Die lange verwöhnte PC-Branche, die Microsofts wichtigste „cash cow“ Windows groß gemacht hat, sieht sich einer Flaute gegenüber - ein Ende ist nicht in Sicht. Zu schaffen macht der Branche vor allem die wachsende Beliebtheit der Tablets und leistungsfähige Smartphones, die sich unterwegs als bequemes Internet-Terminal nutzen lassen. Mit den neuen Geräten hat sich auch das Nutzerverhalten radikal gewandelt. Branchenbeobachter sehen längst das Post-PC-Zeitalter eingeläutet, in dem der Personal Computer nicht mehr das Zentrum der digitalen Welt darstellt.

Windows 8 soll nun alles verändern und eine radikale Kehrtwende einläuten, so das Versprechen von Microsoft. Die Startoberfläche ist wie bei Windows Phone nach dem „Metro“-Design gestaltet: „Live-Kacheln“ zeigen zum Beispiel Nachrichten aus Sozialen Netzwerken oder E-Mail-Konten an. Der Nutzer kann zwischen verschiedenen Anwendungen wie Spielen oder Videoprogrammen wechseln (Multitasking), ohne eine Anwendung beenden zu müssen. Fotos sucht das System über die Anwendungsgrenzen hinweg – egal, ob sie von der Festplatte, aus Flickr oder Facebook stammen.

Für einzelne Anwendungen wie dem Office-Paket oder dem Internet Explorer 10 soll die alte Umgebung allerdings weiter verfügbar bleiben. Alle Programme, die unter Windows 7 laufen, lassen sich auch auf Windows 8 nutzen, erklärte Sinofsky. Das dürfte zumindest für Geräte zutreffen, die wie der Personal Computer traditionell auf der x86er Chip-Architektur aufbauen.

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Wie Apples iOS erhält Windows 8 nun auch einen App-Store namens „Windows Store“, der Entwicklern den Vertrieb ihrer Anwendungen erleichtern soll. Die Programmierung soll besonders einfach sein und auch in den Web-Sprachen HTML und JavaScript möglich sein. Mit nur wenigen Programmierzeilen lassen sich Apps für die verschiedenen Plattformen Computer, Tablet oder Smartphone anpassen, wie Microsoft-Manager Antoine Leblond demonstrierte. Für Entwickler hat Microsoft bereits eine Vorschau, Beispiele, einen Leitfaden und andere Inhalte für das Programmieren ins Netz gestellt – und hofft auf einen schon bald prall gefüllten „Windows Store“.

Erstmals unterstützt Windows in der 8. Version neben den traditionellen x86er Chips in PCs auch Chipsätze des Designers ARM, die vorwiegend in Tablet-Computern verbaut werden – ein wichtiger Schritt, um in dem Markt breit Fuß zu fassen. Das dürfte auch die jahrzehntelange „Wintel“-Ära endgültig ins Reich der Geschichte rücken, in der Microsoft und Intel in enger Zusammenarbeit und als Quasi-Monopol die Computer-Industrie maßgeblich geprägt haben. Doch auch Intel sucht nach neuen Wegen aus der PC-Krise: Überraschend kündigte der weltgrößte Chip-Hersteller am Dienstagabend an, dass Googles Smartphone-Betriebssystem Android künftig auf Intels Atom-Prozessoren optimiert werde.