Hamburg. Jede Woche stellt das Abendblatt Hamburgs beliebteste Restaurants vor. Heute: das Vlet in der Speicherstadt.

Vorne Tradition, hinten die Moderne. Zur einen Seite geht der Blick aus den großen Fenstern auf die Backsteinbauten der Speicherstadt und den Brooksfleet, zur anderen auf die Straßen Am Sandtorkai und Großer Grasbrook sowie die modernen Gebäude der HafenCity. Und was die Lage des Restaurants vereint, hat sich auch die Küche im Vlet auf die Fahnen geschrieben: die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.

In einem alten Speicher im ersten Stock ist das Lokal, dessen Name die althochdeutsche Form für Fleet ist, seit 2008 in hohen und hellen Räumen angesiedelt. Die Backsteinwände sind mal naturbelassen, mal grau oder weiß. Fische, Seepocken hinter Glas, die Bilder, das Treibholz und über der grünen Bar die Lampen, die an Reusen erinnern, sorgen für die moderne maritime Note. Design und Industrie-Chic sind hier aufs Beste kombiniert.

An der einen Wand zieht sich eine lange Bank entlang, sonst stehen Lederstühle mit Lehnen an den quadratischen Tischen, die sich mühelos zu einer großen Tafel mit schönen Gläsern, edlem Besteck und golden schimmernden Windlichtern arrangieren lassen. Kleine Gruppen bevorzugen einen der beiden runden Tische für ein geselliges Mahl. 90 Gäste sitzen bequem und nicht zu dicht beieinander im Abendgeschäft, 120 können es wegen der variantenreichen Möblierung bei Veranstaltungen sein.

„Wir machen Hamburger Küche für Genießer“, sagt Sebastian Reher. Der Restaurantleiter hat schon zur Eröffnung im Vlet gearbeitet, machte Station im Jacob sowie in der Bullerei, bevor er vor vier Jahren in die Speicherstadt zurückkehrte. Der 33-Jährige stammt aus Wahlstedt bei Bad Segeberg, lernte Hotelfachmann im Historischen Krug in Oeversee nahe Flensburg und fühlt sich schon deshalb mit dem norddeutschen Konzept im Vlet sehr wohl.

„Labskaus 2.0“: Kartoffelstampf, Gelbe
Bete, Rinderbrust, Matjes und mehr
„Labskaus 2.0“: Kartoffelstampf, Gelbe Bete, Rinderbrust, Matjes und mehr © HA | Marcelo Hernandez

Das schätzen auch die vielen Stammgäste, die von Reher sowie den anderen 30 Mitarbeitern in Küche und Service umsorgt werden. Geschäftsleute aus den umliegenden Büros besprechen sich gern in dem Lokal, Touristen aus dem Süden kommen und natürlich auch Hamburger privat, die ihren Freunden von weit her die Hansestadt zeigen. „Bei vielen Gästen wissen wir schon, was die gerne trinken und essen“, sagt der Restaurantleiter.

„Lecker, frisch und einfach“ möchte Küchenchef Knut Wunderlich seine Kreationen zubereiten. Er ist ebenfalls 33 Jahre alt und auch ein norddeutscher Jung. Der Koch stammt aus der Nähe von Hitzacker, hat im Hotel Marriott in Hamburg gelernt, war in London und Australien sowie im Restaurant vom Hyatt an der Mönckebergstraße. Dort lernte er Thomas Sampl kennen und folgte ihm 2012 in die Speicherstadt. Und als Sampl vor Kurzem das Vlet verließ, war klar, dass sein Zögling die Nachfolge antritt. „Ich werde die Linie beibehalten und mich trotzdem weiterentwickeln“, ist sein Credo.

„Alte Rezepte werden neu interpretiert“, sagt Wunderlich. Zum Beispiel sein „Labskaus 2.0“. Das ist kein rot-grau-brauner Brei aus Kartoffeln, Roter Bete und Rindfleisch, sondern eine dekonstruierte Speise. Der Kartoffelstampf mit Gelber Bete liegt unter dem veritablen Stück glasierter Rinderbrust, zart und saftig. Dazu kommen Gewürzgurken-Gel, selbst eingelegter Matjes, ein bei 60 Grad zubereitetes Eigelb, marinierte Ringelbete, Knusperzwiebeln und Rote-Bete-Lack. Ein kleines Gemälde auf dem Teller, alle Zutaten vom Labskaus dabei und doch anders.

Oder der Pannfisch. Kein fetttriefendes Gericht mit Bratfisch, Röstkartoffeln und Senfsauce, sondern saft ­gegarter Fisch mit grüner Schalottenkruste, dazu Kartoffelkuchen, Mostrichcreme, Stängelkohl und Brokkoli. Sehr schmackhaft und ebenfalls hübsch anzusehen, denn schließlich isst das Auge mit.

Ganz modern: So sieht im Vlet der
Pannfisch aus
Ganz modern: So sieht im Vlet der Pannfisch aus © HA | Marcelo Hernandez

Alle zwei Monate gibt es ein Feinschmecker-Menü mit und ohne Weinbegleitung, natürlich saisonale Angebote wie Spargel oder Grünkohl und regelmäßig ein neues Gericht im À-la-carte-Angebot. Immer auf der Karte steht das am Tisch zubereitete Rindertatar. „Dafür sind wir sehr bekannt“, sagen die beiden Chefs. Die einzelnen Zutaten wie Fleisch, Gewürzgurke, Senf und Ei werden vor den Augen des Gastes individuell vermischt und angerichtet.

Norddeutsche Rezepte verlangen natürlich auch nach Lieferanten aus der Region. Krabben kommen aus Friedrichskoog, Lammfleisch stammt von der Müritz, Gemüse aus Schleswig-Holstein, Fisch von den Händlern an der Hafenkante, Rindfleisch aus der Nähe von Cloppenburg. „Mit vielen Lieferanten arbeiten wir schon lange zusammen“, weiß Wunderlich. Die mehr als 200 Positionen umfassende Weinkarte konzen­triert sich auf deutsche und europäische Tropfen. Auch bei den Spirituosen ist das Angebot eher heimisch. Statt eines italienischen Bitters steht ein deutsches Produkt auf der Bar. Die günstigste Flasche Wein kostet 28 Euro, die Preise für die Offenen beginnen bei 4,50 Euro für 0,1 Liter.

Am 1. Juli bekommt das Lokal noch einen Ableger an den Alsterarkaden. Dort gibt es norddeutsche Gerichte etwas bodenständiger zubereitet. Das Vlet in der Speicherstadt bleibt die Adresse für die feineren Speisen. Gerne wird das Restaurant übrigens für Hochzeiten oder Firmenveranstaltungen gebucht. Die Verbindung von Tradition und Moderne gefällt eben nicht nur Individual-Essern, die sich für Hamburger Küche mal anders begeistern.