Hamburger Forscher entdecken spezielle Eigenschaft der Krankheitserreger. Daraus könnte ein neuer Therapieansatz entstehen

Hamburg. Die Tuberkulose gehört immer noch zu den großen medizinischen Bedrohungen - sie fordert im Jahr weltweit fast 1,7 Millionen Menschenleben. Die wenigen Antibiotika, die heute gegen Tuberkulose eingesetzt werden, sind schon seit Jahrzehnten auf dem Markt und es gibt bereits Bakterienstämme, die gegen diese Mittel resistent sind und nicht mehr wirken.

Deswegen wird intensiv geforscht, um neue Medikamente zu entwickeln. Wissenschaftler des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) in Hamburg haben jetzt neue Erkenntnisse über die Arbeitsweise eines Enzyms gewonnen, das die Erreger der Tuberkulose, die Mycobakterien, brauchen, um die Aminosäuren Histidin und Tryptophan zu produzieren.

In der Studie, die sie in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht haben, fanden die Forscher heraus, dass das Enzym PriA an der Produktion beider Aminosäuren beteiligt ist und seine Bindungsstelle je nach dem, welcher der beiden Produktionswege beschritten wird, verändern kann. Dieser Mechanismus kommt nur bei einer bestimmten Gruppe von Bakterien vor. Fast alle anderen Bakterienarten brauchen für die Produktion der beiden Aminosäuren zwei Enzyme.

Diese spezielle Eigenschaft der Mycobakterien könnte für die Entwicklung neuer gezielterer Medikamente genutzt werden. "Wichtig war uns, Nebenwirkungen möglichst auszuschalten", sagt Dr. Matthias Wilmanns, Leiter des EMBL. Das könne mit der Blockierung des Enzyms auf zwei Wegen erreicht werden: "Zum einen kann der menschliche Stoffwechsel nicht davon berührt werden, weil der Mensch die Aminosäuren Histidin und Tryptophan nicht selbst produzieren kann, sondern mit der Nahrung aufnehmen muss. Zum andern werden viele nützliche Bakterien verschont, denn sie enthalten dieses Enzym nicht", sagt Wilmanns.

Und die Wissenschaftler haben bereits nach einem Kandidaten gesucht, der in der Lage ist, das Enzym PriA zu blockieren. "In Kooperation mit dem Forschungsinstitut für molekulare Pharmakologie in Berlin haben wir in einer Datenbank 30 000 Moleküle gescreent und sind dabei auf Moleküle gestoßen, die beide Aktivitäten des Enzyms blockieren können. In weiteren Tests konnten wir bereits feststellen, dass Bakterien, die dieses Enzym nicht hatten, nicht auf diese Moleküle reagierten", erklärt Wilmanns.

Jetzt wollen die EMBL-Forscher dieses Enzym in Zellkulturen weiter erforschen und dann auch menschliche Zellen des Immunsystems genauer unter die Lupe nehmen, die von diesen Mycobakterien befallen sind. Bis allerdings aus den neuen Erkenntnissen ein Medikament entwickelt werden kann, dauert es noch, so Wilmanns: "Mit einer Entwicklungszeit von fünf bis zehn Jahren muss man rechnen."

Auch andere Forscher arbeiten an neuen Medikamenten gegen Tuberkulose. Wie der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen mitteilt, befinden sich zwei neue Medikamente bereits in der letzten Erprobungsphase vor der Zulassung, zwei weitere in der Phase davor.