Heute mal ein Buchtipp: Der Botanische Wanderführer für Hamburg und Umgebung ist ein Geschenk – nicht nur für Gartenfreunde

Die Briten sind ja berühmt für ihren skurrilen Humor. Als George Best (1946–2005), ihr wohl bester Fußballer, nach dem Karriere-Ende offensichtlich die Übersicht über seine Finanzen verloren hatte, begründete er das so: „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ Wir wissen nicht, ob, wie und wann Boris Becker die Übersicht über sein Geld verloren hat. Aber man liest ja im Moment so einiges. Der Ökologe Markus Eichhorn von der Universität Nottingham wollte auf keinen Fall die Übersicht verlieren angesichts der Zahl von fast 400.000 Pflanzenarten auf der Welt, welche die ehrwürdige Gesellschaft Royal Botanic Gardens in London kürzlich bekannt gab. Er fand, wie einst George Best, vier Kategorien: „Es gibt Pflanzen zum Essen, um Leute umzubringen oder um damit high zu werden. Und den Rest.“ Very British.

Deutlich mehr Mühe machen sich da Hans-Helmut Poppendieck, Gisela Ber­tram und Barbara Engelschall vom Botanischen Verein zu Hamburg als Herausgeber des „Botanischen Wanderführers für Hamburg und Umgebung (Verlag Dölling und Galitz, 349 Seiten, 19,90 Euro). Der Wanderführer wurde bereits mit dem deutschen Gartenbuch-Preis, Abteilung Reiseführer, ausgezeichnet – und ist nicht allein deshalb sensationell gut. Denn wenn sich jemand in Hamburg mit Pflanzen und Gehölzen auskennt, dann ist das der Botanische Verein.

Die Herrschaften waren bereits vor 125 Jahren in Hamburg und seinem Umland mit der Botanisiertrommel unterwegs, als es die Wörter Umwelt- oder Naturschutz noch gar nicht gab. Ihr Vorsitzender Poppendieck, ein studierter Biologe und bis zu seiner Pensionierung vor wenigen Jahren bei der Universität Hamburg als Kustos für den Botanischen Garten zuständig, ist auch ein langjähriger Wegbegleiter von Loki Schmidt, Hamburgs wohl berühmtester Pflanzenfreundin und Naturschützerin.

Das Buch ist mehr als ein Reise- oder Wanderführer. Es ist ein Geschenk nicht nur für Gartenfreunde wie meine Frau Anke und mich, sondern für alle Hamburger – auch wenn sie, botanisch gesehen, reine Anfänger sind. 95 Touren haben die Herausgeber und ihre Mitstreiter zusammengestellt. Kleine Exkursionen für Fortgeschrittene, aber auch Feierabendspaziergänge für botanische Anfänger. Je nach Jahreszeit kann man wunderschöne Wildtulpen-Felder an der Elbe besichtigen oder Wiesen mit Schachblumen in der Haseldorfer Marsch bei Wedel oder bei Seevetal.

Man kann den Alsterwanderweg neu entdecken, altbekannte Hotspots wie die Boberger Niederung, Moorlandschaften bei Buxtehude oder die Weiten der Elb­auen bei Bleckede. Es gibt Vorschläge für Paddel- und Fahrradtouren. Zu jeder Tour gibt es kurze Tipps – zu Lage, Anfahrt (mit oder ohne öffentliche Verkehrsmittel), was die beste Jahreszeit ist und wo Sie einkehren können. Ist ja auch nicht ganz unwichtig.

Ganz wichtig finde ich die vielen Fotos und sachkundigen Texte. Was nützt einem die schönste Beschreibung seltener Pflanzen, wenn man sie nicht findet und identifizieren kann? So kann man auch den Stadtpark neu entdecken – oder den Ohlsdorfer Friedhof.

Ich habe schon Stunden mit der Lektüre des Wanderführers verbracht – ohne bislang eine der Touren gemacht zu haben. Und lerne dennoch dabei vieles über Pflanzen und Gehölze, die ich so nicht kannte. Ehrlich gesagt wissen meine Frau Anke und ich noch gar nicht, welche Tour wir als Erste machen sollten. Unsere Favoriten sind drei „Geheimtipps für Gehölzfreunde“, die allerdings nur nach schriftlicher Anmeldung zu besichtigen sind.

Auf dem Marienhof in Poppenbüttel (Otto-Henneberg-Stiftung, Poppenbüttler Markt 10, 22399 Hamburg) gibt es neben Gingkos und einem Taschentuchbaum auch eine alte Blutbuche, deren untere Äste auf dem Boden aufliegen, sich dort bewurzelt haben und einen Kranz junger Bäume um die Mutter in der Mitte bilden. Im Arboretum Lohbrügge (Thieme-Institut, Leuschnerstraße 19, 21031 Hamburg) sind auf neun Hektar 1500 Gehölzarten zu bestaunen, die es sonst nirgendwo gibt, nicht einmal in meinem geliebten Botanischen Garten in Klein Flottbek.

Oder sollen wir gleich zum Arboretum Tannenhöft (Thünen-Institut, Sieker Landstraße 2, 22927 Großhansdorf) fahren, das der Hamburger Reeder George Henry Lütgens 1910 gegründet hat? Der sammelte Nadelbäume aus aller Welt wie andere Leute Briefmarken, vor allem solche mit besonderen Wuchsformen und „Fehlfarben“, um in der Sprache der Philatelisten zu bleiben. Gespannt bin ich auch auf immergrüne Eichen (Quercus x hispanica „Pseudoturneri“) und die vielen Arten von Scheinzypressen.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth