Renekloden werden kaum noch angebaut. Eigentlich unverständlich, denn die Früchte sind sehr süß und würzig und größer als die ihrer Schwester, der Mirabelle

Ist Gärtnern nur was für alte Säcke oder, geschlechtsneutraler formuliert, nur was für Menschen, die in die Jahre gekommen sind – also für diejenigen unter uns, denen allmählich die Schüler einen Platz in der Straßenbahn anbieten, wenn sie das heutzutage überhaupt noch tun? Der belgische Botaniker Charles de Ligne (1735–1814) meinte, die Gartenlust sei die einzige Leidenschaft, die im Alter zunehme – etwa wie die für Golf oder Rotwein als Ersatz für Sex, von denen das ja heute manche spöttisch behaupten?

Gärtnern, behaupte ich, ist alterslos. Nicht nur weil heute junge Leute mit „Guerilla-Gardening“ unsere Städte verschönern wollen, in dem sie Blumensamen auf vernachlässigtem öffentlichen Grund verstreuen. Oder junge Familien sich auf Wartelisten für Kleingartenkolonien setzen lassen, wo schon lange nicht mehr die akkurate Rasenkante das Maß aller Dinge ist.

Geduld und Gelassenheit, bei älteren Menschen vielleicht eher anzutreffen, sind aber durchaus vorteilhaft fürs Gärtnern. Bis ein Rosenbusch zur vollen Schönheit erblüht, braucht es eben länger als ein Tiefkühlschnitzel in der Mikrowelle heiß wird. Ganze zwölf Renekloden habe ich diese Woche an der historischen Pflaumenart gezählt, die ich im vergangenen Jahr gepflanzt hatte. Dabei hatte ich extra ein schon etwas stärkeres Exemplar im Container gewählt. Mir also Zeit „gekauft“, weil solche Pflanzen schneller an- und weiterwachsen. So weit zu meiner Gelassenheit, mit 66 Jahren.

Ich hatte mich für die Große Grüne Reneklode entschieden, neben der Sorte Graf Althans einer der Klassiker, die auch das gefürchtete Scharka-Virus überstehen, das fast alle Pflaumenarten hinwegraffen kann. Ich hatte sie nicht direkt in unserem Minimühlenpark im Wendland gepflanzt, sondern am Häuschen mit der Maschinenanlage für die Feldberegnung der Bauern, geschützt vor kaltem Ostwind und Spätfrösten. Am Pumpenhaus gibt es auch immer genügend Wasser; Renekloden lieben ausreichend feuchten und humosen Boden, damit sie, die die Pflaumensaison im August eröffnen, schöne saftige Früchte bekommen.

Die Pflanzaktion sollte auch eine Überraschung für meine Frau Anke werden, die ein neues Bäumchen auf unserem Grundstück gleich entdeckt hätte.

Anke hatte vor zwei Jahren Renekloden auf einem Wochenmarkt in der Nähe unserer Stadtwohnung kennengelernt. Ein Bauer aus dem Alten Land hatte etwa von Mitte August an neben den gängigen Pflaumensorten auch immer Renekloden im Angebot. Nur zwei, drei Körbchen, die meist schon gegen Mittag ausverkauft waren.

Die Reneklode ist eine Edelpflaume, eine uralte Sorte sogar, wird aber kaum noch angebaut, nicht einmal in den Hausgärten. Die je nach Sorte meist gelbe oder grüne ist deutlich größer als die ihrer Schwester, der Mirabelle. Sie stammt ursprünglich aus Armenien und Syrien und gelangte Mitte des 15. Jahrhunderts nach Frankreich. Ihren Namen bekam sie nach der Frau von König Franz, Reine Claudia, woraus der Name Reneklode entstand.

Nun bin ich kein Retro-Mann, der eine Obstart nur deshalb anbaut, weil sie alt ist. Der Geschmack ist es, sehr süß, mit einem würzigen Aroma, weswegen sie auch Zuckerpflaume genannt wird. Meine Königin unter den Pflaumen schmeckt am besten, wenn sie reif und frisch vom Baum gegessen wird. Gekühlt hält sie sich noch gut acht Tage. Auch wenn der Kern sich schwerer lösen lässt als bei anderen Pflaumensorten, eignet sich die Reneklode hervorragend für Marmeladen, Chutneys und Liköre, sie ergibt aber auch herrliche Obstbrände.

Unreife, harte Früchte enthalten zu viele Säuren und zu wenig Zucker. Auch Vitamine und Mineralien lagern sich erst in der reifenden Frucht ein. Deswegen macht es auch keinen Sinn, sie unreif zu ernten, um sie länger kühlen und lagern zu können.

Wir Verbraucher aber wollen „frisches“ Obst nicht nur zur Ernte-, sondern zu möglichst jeder Jahreszeit. So kam es, dass im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Europas, vor gut 100 Jahren noch jeder zweite Obst- ein Pflaumenbaum war. Heute liegen Reneklode, Zwetsche und Co. bei etwa zwei, Äpfel bei 90 Prozent der Anbaufläche.

Vielleicht gibt es im nächsten Jahr ja mehr als zwölf Renekloden. Womöglich genug für einen Nachtisch. „Geben Sie schöne, leicht gekühlte Renekloden in eine Schüssel. Bedecken Sie sie mit einem Püree aus Himbeeren“, schrieb Julia Justina Warhole, eine aus den Karpaten in die USA ausgewanderte Bauerntochter. Darüber sprühte die Mutter der Popart-Legende Andy Warhol Sahne und bedeckte diese mit zerbröseltem Haselnussnougat.

Es darf auch richtige Sahne sein.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst

Ihr Karl Günther Barth

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