Vier junge Hamburger, zwei Muslime und zwei Christen, sprechen über ihre Religion, ihre Wünsche für die Zukunft und das Bild des Islams in der Stadt

ie vier jungen Hamburger haben gemeinsam, dass sie sich alle in ihrer religiösen Gemeinschaft oder gesellschaftlich engagieren. Für sie bildet ihr Glaube einen zentralen Bestandteil des Lebens. Die Psychologiestudenten Bilal Gülbas und Eyyuba Cevirici kennen sich durch die Junge Islam Konferenz in Berlin. Jonas Romann und Alina Semialjac kannten einander vorher nicht. Nach dem Gespräch wurden jedoch die Kontakte ausgetauscht, um vielleicht bald eine interreligiöse Veranstaltung gemeinsam zu organisieren.

Hamburger Abendblatt:

Was gibt Ihnen Mut für das Leben?

Alina:

Dass es Gott gibt, der hinter mir steht und mir bei all meinen Entscheidungen hilft.

Bilal:

Ich bin gut im Kopf, körperlich fit, habe eine großartige Familie mit sieben Geschwistern, viele tolle Freunde und werde bald heiraten. Ich habe zudem durch meinen Glauben eine riesige Kraftquelle – das gibt mir alles Mut.

Jonas:

Ich habe ein ganz tiefes Vertrauen in mir, dass alles, was kommt, genau so richtig ist und es immer weiter geht.

Eyyuba:

Mich begleitet ein Satz: Nach jedem Regenschauer kommt ein Regenbogen. Das gibt mir Hoffnung, selbst wenn es gerade nicht so gut läuft, wird irgendwann ein Regenbogen auftauchen.

Welche Bedeutung hat der Glaube in Ihrem persönlichen Leben?

Alina:

Er hat für mich eine große Bedeutung, auch wenn alle meine Freunde nicht gläubig sind. Oft stehe ich schon alleine da. Ich gehe immer mal in die Kirche, betreue als Gruppenleiterin Kinder. Die Religion soll immer zu meinem Leben dazugehören.

Bilal:

Mein Glaube prägt und begleitet mich in allen Situationen meines Lebens. Ich wäre nichtig ohne meine Religion. Ich habe viele Freunde, die auch religiös sind.

Eyyuba:

Meine Religion und mein Glaube stehen bei mir an erster Stelle. In stressreichen oder herzzerbrechenden Situationen hilft mir der Glaube und macht mich stärker.

Jonas:

Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit dreht sich bei mir viel um die Religion, aber oft eher auf einer rein intellektuellen, funktionellen Ebene, bei der Vorbereitung eines Jugendcamps oder Gottesdienstes.

Warum engagieren Sie sich für Ihren Glauben, auch politisch?

Jonas:

Wegen der Menschen, denen ich begegne. Die motivieren mich, weiterzumachen. Ich habe in einer schwierigen Situation tolle Menschen und Erlebnisse in einem evangelischem Jugendcamps gehabt. Das sind Erfahrungen für das Leben und das möchte ich anderen auch gönnen.

Bilal:

Ich sehe das als einen religiösen Auftrag. Ich glaube daran, dass ich meinen Glauben nur in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft leben kann. Im Koran heißt es, man solle Almosen spenden; ich mache das, indem ich Gutes tue und versuche, die Gesellschaft zum Guten zu verändern.

Eyyuba:

In der muslimischen Gemeinde spielt die religiöse Gemeinschaft, die sogenannte Umma, eine große Rolle. Wenn die Nachbarin zum Beispiel krank ist, haben wir die Verpflichtung, ihr zu helfen. Bei mir ist der Drang, mich zu engagieren, sicher auch so stark, weil ich in Deutschland lebe und hier das aktuelle Islambild positiv verändern möchte. In der Türkei wäre ich vermutlich nicht so aktiv.

Sind in Ihrem Freundeskreis Religion und Glauben wichtige Themen?

Eyyuba:

Nein, beides spielt keine Rolle. Wenn ich mit einer Mädchengruppe von der Moschee irgendwohin gehe, dann spreche ich über religiöse Inhalte, aber nicht über meine religiöse Zugehörigkeit. Ich glaube, unter Jugendlichen wird Religiosität einfach akzeptiert und toleriert.

Alina:

Außerhalb der Kirche habe ich keine religiösen Freunde, aber sie akzeptieren meinen Glauben und fragen auch mal nach. Wir unterhalten uns manchmal über den Tod oder über Sinnfragen des Lebens.

Jonas:

Viele in meinem Freundeskreis glauben an eine höhere Macht, haben aber keine Lust, sich einer Konfession oder Regeln zu unterwerfen.

Müssen Sie seit den Terroranschlägen von 2001 den Islam häufig als eine friedliche Religion verteidigen?

Bilal:

Obwohl ich damals so jung war, werde ich seitdem ständig mit dem Terror im Namen des Islams konfrontiert. Im Religionsunterricht, bei Talkrunden oder Vorträgen musste ich ständig meine Sichtweise erläutern Auch die Jusos in Barmbek haben mich zu dem Thema eingeladen. Das geht mir auch mal auf die Nerven, aber manchmal ist es gut, wenn Menschen nachfragen. Zum Beispiel bin ich auch Sterbebegleiter im Hospiz, und da fragen die Sterbenden, wie ich mit dem Tod umgehe. Da kann ich meinen Glauben auch positiv vermitteln.

Eyyuba:

Diese Terrorakte haben schon dazu geführt, dass man ständig, ohne es zu wollen, in einer Verteidigungsposition ist. Viele in meinem Freundeskreis haben dazu keine Lust mehr und finden, es bringt nichts, ständig ihren Glauben zu erklären. Denn wir sind ganz normale Menschen, die ihre Religion ausüben, ohne gewalttätig zu sein. Aber ich finde, es lohnt sich, weiter darüber zu sprechen, denn wenn ich merke, dass die Menschen nach dem Gespräch mit mir anders zu mir sind, dann habe ich das Gefühl, etwas bewirkt zu haben.

Die Jugend wird laut Untersuchungen immer säkularer. Ist man als offen Gläubiger nicht häufig in einer Verteidigungsstellung?

Alina:

Ja, bei mir in der Schule erlebe ich das schon. Wenn ich dort erzähle, dass ich sonntags in die Kirche gehe, dann sagen manche Schüler schon, so hätten sie mich nicht eingeschätzt. Aber sie akzeptieren es.

Jonas:

Ich habe nicht das Gefühl, dass Glaube unter Jugendlichen absurd ist.

Eyyuba:

Man fällt natürlich auf, wenn man fünf Mal am Tag zum Beten aus der Vorlesung gehen muss. Da schauen die anderen Studenten schon, aber angegriffen werde ich deswegen nicht.

Alina und Jonas, welches Bild haben Sie vom Islam in Hamburg?

Alina:

In meiner Klasse gibt es ein paar Muslime, mit denen ich mich gut verstehe, auch wenn ich keine muslimischen Freunde habe. Ich habe ein gutes Bild vom Islam, allerdings finde ich ihn in Hamburg nicht sehr präsent. Hier dominieren doch die Kirchen. Ich finde es zudem schade, dass der Islam häufig in die terroristische Schublade gesteckt wird. Man vergisst dabei, dass es ja auch radikale Christen gibt.

Kann man die radikalen Christen denn mit denen vergleichen, die derzeit als „Islamischer Staat“ in Syrien die Menschen terrorisieren?

Jonas:

Ich finde schon, dass das vergleichbar ist. Der Attentäter Anders Breivik in Norwegen war bekennender Christ und Islamfeind.

Eyyuba:

Es gab ja auch früher die christlichen Kreuzzüge, die werden heutzutage leider gerne mal vergessen. Aber diese Geschichte ist doch ein wichtiger Faktor, der bis heute wirkt.

Bilal:

Zum Glück sind Radikalismus und Salafismus unter den jungen Muslimen in Hamburg kein großes Thema. Wenn ich in meiner Gemeinde, der Centrum Moschee, unterwegs bin, dann beschäftigen sich die Jugendlichen mehr mit ihrem Schulabschluss und ihrer beruflichen Zukunft. Danach fragen sie mich viel.

Glauben Christen und Muslime an denselben Gott?

Alina:

Ich glaube schon, er wird nur unterschiedlich dargestellt.

Jonas:

Es kennt ihn ja keiner.

Bilal:

Ich glaube auch, dass es nur einen Gott gibt.

Eyyuba:

Die Dreifaltigkeit ist kein Bestandteil des muslimischen Glaubens.

In vielen Moscheen wird auf Türkisch oder Arabisch gepredigt, so wäre es für Alina und Jonas nicht möglich, spontan bei einem Gottesdienst dabei zu sein. Muslime hingegen können sich in jeder Kirche über die Religion informieren. Würden Sie sich mehr Deutsch sprechende Imame wünschen?

Eyyuba:

Ich würde mir mehr Predigten auf Deutsch wünschen, allerdings muss man bedenken, dass unter älteren Angehörigen der Gemeinde Sprachprobleme bestehen können.

Bilal:

Wir können uns das alles wünschen, aber das Problem ist, dass wir einfach keine Imame haben, die hier in Deutschland ausgebildet wurden und das Studium dazu gibt es hier erst seit Kurzem. So werde ich oft von verschiedenen Moscheen gebeten, Freitagspredigten auf deutsch zu halten. Ich habe aber keine theologische Ausbildung. Alle Gemeinden sind froh, wenn sie überhaupt einen Imam zu fassen bekommen.

Gibt es unter der Jugend in den Gemeinden einen interreligiösen Dialog?

Eyyuba:

Im Rahmen verschiedener Stipendienkreise und Netzwerke gibt es durchaus Veranstaltungen. So ist beispielsweise ein Austauschseminar zum Thema „Glaube im Hochschulalltag“ zusammen mit Stipendiaten der verschiedenen konfessionellen Begabtenförderungswerke geplant.Die Islamische Hochschulgemeinde organisiert jedes Jahr vier Veranstaltungen mit der Evangelischen und Katholischen Hochschulgemeinde, sei es ein Friedensgebet oder ein Event bei der Eröffnungsveranstaltung. Wir gehen auch mal paddeln oder bowlen. In St.Georg gibt es zudem das Schorsch, ein Jugendtreffpunkt der evangelischen Gemeinde. Mit Jugendlichen von dort, jungen Muslimen und Katholiken, sind wir in die Türkei gereist und haben Kirchen, Synagogen und Moscheen besucht. Das Problem ist jedoch, es gibt Angebote, aber sie erreichen immer die gleichen Leute. Die große Masse der Jugendlichen erreicht man nicht.

Jonas:

In der Evangelischen Jugend Hamburg gibt es zwei Projekte, die den interreligiösen Dialog fördern. Es gibt eine interkulturelle Jugendleiter-Card und einen Jugendaustausch mit israelischen Juden aus Tel-Aviv. Ich will dieses Feld aber auf jeden Fall ausweiten.

Fehlt Ihnen eine institutionalisierte Stelle, die den interreligiösen Austausch fördert?

Eyyuba:

Ja, so eine Institution hätte eine enorme Symbolkraft.

Jonas:

Ich sehe das als einen Auftrag, von der Evangelischen Jugend aus etwas zu machen.

Bilal:

Bei den Erwachsenen gibt es das Interreligiöse Forum, da könnte die Jugend sich ja vielleicht andocken.

Können Sie sich einen gemeinsamen Gottesdienst oder eine Veranstaltung vorstellen, wo man viele Jugendliche aus verschiedensten Religionen in Hamburg zusammenbringen könnte?

Eyyuba:

Ein Tag der Religionen an der Außenalter fände ich toll, das würde zu Hamburg und zu seiner Offenheit sehr gut passen.

Jonas:

Da würde ich mitmachen. Das wäre ein gutes Zeichen.

Bilal:

Ich fände es gut, wenn ich dann so Menschen wie Jonas und Alina dort treffen könnte und wir von dort etwas Neues organisieren könnten.

Eyyuba:

Nur so ein Event sollte auf keinen Fall von einer Religionsgemeinschaft organisiert werden, sondern von einer neutralen Organisation.

Wie soll der Dialog zwischen Muslimen und Christen künftig aussehen, was wünschen Sie sich?

Eyyuba:

Ich wünsche mir, dass es künftig gar keinen Dialogbedarf mehr gibt, weil man einfach zu Freunden geworden ist, die sich auf einen Kaffee treffen. Und ich hoffe, dass es in Zukunft keine gegenseitigen Berührungsängste mehr gibt.

Jonas:

Ich finde auch, es sollte normal sein, miteinander zu sprechen, sich zu schätzen und sich immer wieder füreinander zu interessieren.