Die älteste deutsche Handelskammer blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Mit Nachdruck werden Ziele für die Zukunft formuliert.

Hamburg. Schon ihre Lage sagt viel aus. Direkt gegenüber dem Rathaus am Adolphsplatz liegt das klassizistische Gebäude der Handelskammer. Die Wege zur Politik sind kurz, der Einfluss der Kammer ist groß. Ob Volksentscheide, Bildungspolitik oder Verkehrsprojekte – die Wirtschaft lässt mit ihrer Sicht der Dinge in der Regel nicht allzu lange auf sich warten.

Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz reagiert tagesaktuell. Mal freut er sich darüber, wenn die Schulbehörde den Mathematik- und Deutschunterricht an den Stadtteilschulen verbessern will – eine seit vielen Jahren bestehende Forderung der Hamburger Wirtschaft. Oder er plädiert angesichts des Streits um eine neue Stadtbahn für eine Metrobahn, die auch das unterirdische Netz der U-Bahn nutzen könnte.

Seit 350 Jahren ist die einstige „Commerz-Deputation“ die Stimme der Hamburger Wirtschaft – zuerst als Schutzgemeinschaft der Seehandel treibenden Kaufleute, heute als Selbstorganisation aller Branchen.

Damals wie heute weiß die älteste deutsche Handelskammer um ihren Einfluss – und nutzt ihn konsequent und öffentlichkeitswirksam: Wenn andere schon ihre Silvesterparty vorbereiten, treffen sich über 2000 Hamburger Kaufleute stets am letzten Arbeitstag des Jahres zur Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns im Börsensaal der Handelskammer. Neben dem Matthiae-Mahl ist der Ehrbare Kaufmann die Traditionsveranstaltung in Hamburg, deren historische Wurzeln bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen.

So traditionsreich der Ehrbare Kaufmann ist, so zukunftsweisend sind die dort angesprochenen Themen für Stadt und Wirtschaft. Die Jahresschlussansprache des Präses der Handelskammer mahnt die Bundespolitik, macht Vorschläge, erhebt Forderungen, kritisiert den Senat. Auch zum Jahreswechsel 2014/2015 gab Präses Fritz Horst Melsheimer die Richtung vor: „Unsere Metrobahn vereinigt die Stärken der U-Bahn-Idee der SPD mit der Stadtbahnvorstellung von Schwarz-Grün. Setzen Sie sich also an einen Tisch und einigen Sie sich!“

Die Handelskammer ist sich der Präventivwirkung dieser Veranstaltung bewusst. „Allein die Tatsache, dass es sie gibt, führt dazu, dass sich das politische und administrative Handeln vieler Entscheidungsträger an der Frage orientiert: Was nützt es den Arbeitsplätzen in unserer Stadt?“, sagt Schmidt-Trenz. Nicht immer geht es so schnell wie bei der Olympia-Bewerbung für 2024. Zum Jahresende 2013 forderte Melsheimer Bürgermeister Olaf Scholz eindringlich auf, die Olympia-Bewerbung anzupacken. Neun Monate später präsentierte Hamburg sein Konzept, das möglichst kurze Wege zwischen allen Spielstätten vorsieht und nun in Konkurrenz zu Berlin steht.

Handelskammer braucht längeren Atem

Häufig braucht die Kammer einen längeren Atem, etwa wenn es um Verkehrsprojekte oder die Schulpolitik geht. Der Bau einer S-Bahn zum Flughafen wurde schon Ende der 1990er-Jahre angemahnt, aber erst im Dezember 2008 fuhr der erste Zug zum Airport. Auch bei der Schulpolitik sieht die Kammer ihre Ziele durch Hartnäckigkeit weitgehend erreicht. „Was wir zur Jahrtausendwende mit der Schaffung eines Ganztags-Schulsystems und einer Schulinspektion vorgeschlagen haben, ist heute Realität“, sagt Schmidt-Trenz.

Manche Kämpfe sind noch nicht entschieden, etwa wenn es um die Elbvertiefung geht, über die der Europäische Gerichtshof erst im Frühjahr 2015 entscheiden wird. Für die Handelskammer ein untragbarer Zustand: „Die finale Entscheidung über Großprojekte sollte allein den Parlamenten überlassen sein“, fordert Melsheimer.

Allerdings – den Rückkauf der Energienetze konnte sie nicht verhindern, obwohl die meisten Parteien in der Bürgerschaft dagegen waren.

Immer wieder gelingt es der Kammer, Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt zu setzen. Gemeinsam mit der Stadt werden Firmen wie Airbus angesiedelt, die HafenCity entwickelt und die Business Improvement Districts (BID) initiiert, eine private Initiative zur Stärkung der städtischen Einzelhandels- und Dienstleistungsstandorte.

Drei große Aufgabenfelder bestimmen die Arbeit der Handelskammer. Einerseits versteht sie sich als kritischer Partner der Politik, um freiheitliche und mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen für die 166.000 Mitgliedsunternehmen zu schaffen. Gleichzeitig ist sie eine Selbstverwaltungsorganisation der Wirtschaft und übernimmt hoheitliche Aufgaben wie in der dualen Berufsbildung oder im Sachverständigenwesen. Drittens arbeitet die Kammer als kundenorientierter Dienstleister der Unternehmen.

Vergangenes Jahr erlebte die Institution stürmische Zeiten. Ausgangspunkt war im Mai 2014 die Wiederwahl von Fritz Horst Melsheimer als Präses der Handelskammer. Bei den Wahlen zum Plenum im Februar 2014 gewannen die Kammer-kritischen Unternehmer um den Unternehmensberater Tobias Bergmann zwölf der 56 Plätze mit ihren Kandidaten aus dem Wahlbündnis „Die Kammer sind wir“. Sie forderten mehr Transparenz und die hohen Rücklagen zum Teil aufzulösen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kammer aber bereits angekündigt, 15 Prozent eines Jahresbeitrages zurückzuerstatten und die Beiträge zu senken.

Massiv hatten sich die Kammer-Kritiker an der erneuten Kandidatur Melsheimers gestoßen, weil dafür extra die Kammersatzung geändert werden musste. Dabei folgte Melsheimer nur seinem Pflichtgefühl: Es gab keinen anderen Kandidaten. Nach seiner Wiederwahl kündigte der Präses an, mit Projektgruppen und der Diskussion um ein neues Leitbild der Kammer die Institution zum Wohle der Unternehmer weiter nach vorn zu bringen. „Alle Plenarmitglieder sind eingeladen, sich in die Arbeit einzubringen“, sagt Melsheimer.

Der Diskurs in den eigenen Reihen hat sich ausgezahlt. Im Jahr ihres großen Jubiläums blickt die Kammer zuversichtlich nach vorn. Erreichbarkeit, Verständlichkeit und passgenaue Angebote für die Mitglieder sind die Leitgedanken der Agenda „HK350 Plus“.

Mit ihrem Zukunftsplan „Hamburg 2030“ verfolgt die Kammer noch ehrgeizigere Ziele. Gemeinsam mit Bürgern, Politik, Bildungs- und Kultureinrichtungen soll Hamburg zur attraktivsten und familienfreundlichsten Stadt Europas mit hoher Lebensqualität, Internationalität und sozialer Durchlässigkeit werden.