Der neue Cheftrainer des HSV setzt auf Talente aus dem Nachwuchs – und damit die etablierten, satten Profis unter Druck.

Der HSV ist auf Rekordjagd. Im negativen Sinne. Nach oben und ins Positive geht schon seit Jahren kaum noch etwas. Aber es gibt dennoch einen Punkt, mit dem der HSV einen positiven Rekord aufstellen könnte – so denn eine solche Liste überhaupt geführt wird. Nein, es geht nicht um die Torlosigkeit, die jetzt Land auf und Land ab in aller Munde ist. Es geht darum, dass der HSV innerhalb weniger Tage drei neue und „eigene“ Spieler an die Erstligaluft befördert hat.

Kennen Sie Matti Steinmann, Tolcay Cigerci und Ashton Götz? Das sind jene jungen HSV-Männer, die hoffen und zu Hoffnungen Anlass geben. Der neue Cheftrainer Josef „Joe“ Zinnbauer hatte versprochen: „Wenn es oben nicht läuft, hole ich mir meine jungen Spieler dazu. Da kenne ich kein Pardon. Ich habe ihnen gesagt, dass mein Wechsel in die Erste Liga eine große Chance für mich, aber eben auch für sie ist.“ Ein Mann, ein Wort.

In dieser Form ein Novum in der Vereinsgeschichte, zumindest in diesem Jahrtausend. „Drei aus der Zweiten auf einen Streich“, das hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Traditionell tat und tut sich der HSV schwer, auch nur ein befähigtes Talent zu finden, das den Sprung „nach oben“ schaffen könnte.

In den Gründerjahren der Ersten Liga klappte das wohl noch am besten: Claus „Mäuschen“ Vogler und Bernd Dörfel kamen 1963/64 von den eigenen Amateuren. Ein Jahr später folgten mit Holger Dieckmann, Peter Woldmann und Ersatztorwart Erhard „Tas“ Schwerin sogar drei Spieler. Auch 1965/66 wieder drei: Helmut Sandmann, Dieter „Acker“ Strauß und Rolf Schwartau.

Über die Jahre waren es dann immer weniger junge Spieler, die den Sprung aus dem eigenen Nachwuchsbereich schafften. Oft war es jährlich nur einer. Michael Schröder 1981, Richard Golz und Carsten Kober waren es 1987, Stefan Schnoor vier Jahre später, bevor 1995 mit Hasan Salihamidzic ein Star geboren wurde. Collin Benjamin versuchte es ihm 2001 gleichzutun, Eric-Maxim Choupo-Moting, Änis Ben-Hatira und Tunay Torun hatten in diesem Jahrhundert danach beste Voraussetzungen, es dauerhaft zu schaffen – aber sie fielen beim HSV letztlich durch. Heung-Min Son dagegen hat seinen Weg, der ihn weg aus Hamburg führte, gemacht; Jonathan Tah könnte ihn über den Umweg Düsseldorf (ausgeliehen) noch schaffen, und von Mattia Maggio, der den HSV unter Thorsten Fink im Jahr 2013 „retten“ sollte, redet keiner mehr.

Nun setzt Trainer Zinnbauer voll auf jenen Nachwuchs, mit dem er zuvor in der Regionalliga von Sieg zu Sieg eilte. Noch allerdings sieht es nicht nach dem ganz großen Durchbruch für den einen oder anderen jungen Mann aus. Da müsste schon noch mehr kommen.

Im Pokal schafft es zwar gelegentlich eine Regionalliga-Mannschaft, dem Favoriten aus Liga eins ein Bein zu stellen (weil es für jeden das Spiel des Jahres ist), aber auf Dauer gehört Biss, Willen und Leidenschaft dazu, um sich bis „oben“ durchzuboxen und dann dort auch zu halten. Viele „Jungmänner“ geben sich zudem viel zu früh mit dem Erreichten zufrieden, sie genießen den Sprung in den Kader, lehnen sich zurück, legen die Beine hoch, anstatt jetzt erst recht richtig nach- und loszulegen. Interviews, Autogramme schreiben, Fernsehauftritte und ein schnelles Auto – dann glauben die meisten, sie haben es geschafft. Welch ein fataler Irrglaube.

Joe Zinnbauer wird es „seinen Jungs“ schon beizeiten beibringen, was sie zu tun und zu lassen haben, um sich tatsächlich im Profibereich einen Namen zu machen. Beim HSV gab es diesbezüglich schon zu viele „Eintagsfliegen“. Und wenn die Talente es dann letztlich doch nicht geschafft haben, haben sie vielleicht eines bewirken können: dass die arrivierten „Stars“ dank der Konkurrenz geweckt wurden und dadurch endlich mal so zur Sache gehen, wie es sich für einen Profifußballer gehört. Wenn dem so wäre, dann wäre das gewiss ein schöner Nebenaspekt der Zinnbauerschen Verjüngungskur. Auch ein Versuch, den zu satten Profis ein wenig mehr Dampf zu machen.