Von Abschiebung bedroht, in den Untergrund abgetaucht, kaum noch Hoffnung. Etliche Flüchtlinge in Hamburg leiden unter ihrer ungewissen Zukunft. Doch zum Glück gibt es viele Haupt- und Ehrenamtliche, die sie unterstützen, ihnen Halt und Trost geben. Wir haben nachgefragt, warum sie sich für diese Menschen in Not engagieren

Elisabeth Caspersen hilft unbegleiteten Jugendlichen

Sie wird wieder anrufen. Nerven. Auch selbst noch mal bei der Ausländerbehörde erscheinen. „Es muss sich doch eine Lösung finden lassen“, sagt Elisabeth Caspersen, und in ihren Augen taucht dieser Ausdruck auf. Entschlossen. Es geht um Farid. Das ist nicht sein richtiger Name, den möchte die 54-Jährige nicht nennen. Der Jugendliche kommt aus Afghanistan, seit zwei Jahren ist er in Deutschland. Geflohen vor dem Krieg in seiner Heimat, dem Leben ohne Zukunft. Damals einer von 350 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, die jedes Jahr nach Hamburg kommen. Als Elisabeth Caspersen ihn vor einem Jahr kennenlernte, war er dabei, sich auf seinen Hauptschulabschluss vorzubereiten. Sie lud ihn ein zu den Treffen des Vereins Bleibe e. V. Sie paukte mit ihm für den Abschluss – und hörte zu. Seine Geschichte klingt wie ein Behördenversehen. Denn Farid hat seinen Abschluss inzwischen und die Aussicht auf eine Lehrstelle als Anlagenmechaniker. Aber er kann sie nicht antreten, weil er einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hat und deshalb keine Ausbildungserlaubnis. „Das ist doch idiotisch“, sagt die Flüchtlingsbetreuerin. „Er soll zum Nichtstun verdammt werden.“

Also wird sie kämpfen. Weil sie nicht einfach zusehen will, dass Farids Leben in einer Sackgasse endet. „Wir sind doch alle Bewohner einer Erde. Wir gehören so zusammen, dass es gar nicht anders geht, dass wir füreinander da sind“, sagt Caspersen. Seit 20 Jahren engagiert sich die ehemalige Werberin inzwischen für Flüchtlinge – ehrenamtlich. Mitte vergangenen Jahres gründete sie mit neun anderen den Verein Bleibe e. V., der unter anderem einen Freizeittreff für jugendliche Flüchtlinge in der zur Landeskirche gehörenden Christlichen Gemeinschaft Altona anbietet. „Wir wollen einen Raum für Begegnung schaffen.“

Ein Jugendkeller dient den jungen Flüchtlingen als Begegnungsstätte

Sie zitiert die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Maya Angelon: „Die Sehnsucht nach einem Zuhause, nach einem sicheren Ort, wo wir unbeschwert sein können, wie wir sind, lebt in jedem von uns.“ Einer dieser Zufluchtsorte ist der Jugendkeller der Christlichen Gemeinschaft in der Löfflerstraße. Auf den ersten Blick wirkt der Raum unwirtlich, mit den abgestoßenen Sesseln und den roten Heizungsrohren. Aber es gibt einen Kicker, ein Klavier, einen Billardtisch und eine Küche. „Wir haben hier alle Freiheiten, das ist das Wichtigste“, sagt Caspersen, die ihr dunkles Haar lang trägt und ein bisschen wild. Manchmal kommen 25 Jugendliche zu den 14-tägigen Treffen, manchmal nur zwei. Manchmal wird nur geredet, manchmal auch gespielt und gekocht – oder wie vor den Sommerferien für die Schule gelernt. „Es gibt kein Programm. Wir wollen da sein und zuhören.“ Meistens sind es keine schönen Geschichten. So wie letztens, als einer der jungen Leute ganz verzweifelt war, weil er keinen Kontakt zu seinen Eltern in Afghanistan bekommen konnte. „Da habe ich ihm geholfen, Anträge für den Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes zu stellen“, sagt die Mutter zweier Teenager. Es war eine kurze Begegnung 1992, die zum Auslöser für ihr Engagement wurde. Kurz nach dem fremdenfeindlichen Anschlag in Mölln, bei dem drei Menschen getötet wurden, habe sie mit einem dunkelhäutigen Bekannten auf der Straße gestanden, als eine Gruppe Deutscher ihn plötzlich attackiert habe. „Das vor dem Hintergrund der Anschläge hat mich sehr schockiert“, sagt Elisabeth Caspersen. Sie krempelte ihr Leben um. „Meine erste Tochter war gerade geboren und ich hatte meinen Agenturjob aufgegeben“, sagt die Othmarscherin. Zusammen mit Gleichgesinnten baute sie unter dem Dach der Stiftung Freier evangelischer Gemeinden in Norddeutschland das Diakonie- Café „Why not“ auf, gehörte zum ehrenamtlichen Leitungsteam. Bis sie und einige andere nach einem Wechsel an der Spitze 2010 das „Why not“ verließen.

Das war nicht einfach, und schnell war klar, dass sie weitermachen würden. So entstand Bleibe e. V. „Es ist eine Frage von Halt und Haltung“, sagt Caspersen. Ihr Glaube ist eine feste Größe in ihrem Leben. „Mein Engagement für Flüchtlinge ist für mich ein Dienst am Menschen. Es geht um Respekt und Akzeptanz.“ Auch ihre Familie steht hinter dem Engagement. Die Rotarier ermöglichen das Angebot, das sich an junge Migranten richtet. „Die Jugendlichen haben zum Teil Schreckliches erlebt und sind oft ganz auf sich gestellt. Sie brauchen Kontinuität und Begleitung“, sagt Caspersen. Dann erzählt sie von einem Jungen aus Syrien. „Ich habe keine Mutter mehr“, habe er gesagt. „Aber du bist für mich wie eine Mutter.“ Es ist wichtig, dass es Anlaufpunkte gibt, sagt Caspersen. Sie und ihre Mitstreiter träumen davon, ein neues Kaffeehaus als Begegnungsstätte aufzubauen.

Trotzdem gibt es Fälle, in denen die Flüchtlingshelfer hilflos sind. Wenn eine Abschiebung droht oder der Umzug aus einer der betreuten Wohnungen. Für Farid und seine Lehrstelle wird sie weiterkämpfen. Und sie sucht für ihn eine Stelle für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Damit Farid bleiben kann.