Wenn Kinder in der Schule dauerhaft schikaniert werden, ist es Zeit zu handeln. Was Eltern tun können

Mobbing ist nicht nur ein Thema, das die Erwachsenenwelt betrifft, auch Kinder können schon unter dem Psycho-Terror leiden. Meistens passiert die Schikane in der Schule, hier auch schon in Grundschulklassen. Wie Eltern erfahren, ob ihre Kinder vom Mobbing betroffen sind und wie sie ihnen helfen können, erklärt die Diplom-Psychologin und Erziehungsberaterin Monika Stein. Sie war bis Ende 2012 in der Erziehungsberatung der Caritas tätig und arbeitet derzeit am Aufbau der katholischen Telefonseelsorge in Hamburg.

1. Das Thema Mobbing ist heute allgegenwärtig. Wann spricht man von Mobbing?

Monika Stein:

Mobbing ist eine ernst zu nehmende Störung in Gruppen und Institutionen. Nicht gemeint ist damit das normale Gerangel um einen Platz in der Gruppe zwischen Kindern und Jugendlichen, auch wenn es dabei manchmal recht heftig zugeht. Dort gibt es einen aktuellen Anlass, und am Ende ist die Situation bereinigt. Wenn Aktionen aus der Gruppe sich aber gegen Einzelne wenden, und das über einen längeren Zeitraum, dann handelt es sich um Mobbing. In der Regel gibt es einen Rädelsführer, einen Täter, der sich ein Mobbingopfer sucht, Mitläufer und die schweigende Masse, die zusieht, ohne etwas zu unternehmen.

2. Wen kann es beim Mobbing am ehesten treffen?

Stein:

Dem Täter fehlt die emotionale Reife, mit seiner eigenen Aggressivität angemessen umzugehen, deshalb reagiert er sich über eine andere Person ab. Wen es dabei erwischt, ist oft eher Zufall. Das sind nicht automatisch nur schüchterne Außenseiter. Beim Mobbinginhalt geht es um Äußerlichkeiten, schulische Aspekte oder Beziehungen. Entscheidend für die Wirkung ist aber immer die Reaktion der Gruppe. Zeigt sie öffentlich Solidarität gegen diese Form des Umgangs, wird der Mobbingversuch schnell enden.

3. Woran kann ich erkennen, ob mein Kind gemobbt wird?

Stein:

Das Kind hat weniger Verabredungen, wird seltener zum Geburtstag eingeladen. Die sozialen Kontakte innerhalb der Gruppe, in der es Mobbingangriffen ausgesetzt ist, nehmen ab. Es ist eine typische Entwicklung, dass die Gruppe vom Opfer abrückt, entweder aus Hilflosigkeit oder aus Angst, selber zum Opfer zu werden. Mobbingopfer versuchen mit klassischen Reaktionen Abhilfe zu schaffen: Sie verändern Äußeres und Verhalten, reagieren überempfindlich, wirken abweisend, Leistung in der Gruppen- oder Klassengemeinschaft wird vermieden, und ganz dramatisch ist der Versuch, selber auf die Seite der Täter zu kommen.

4. Was können Eltern tun, um ihrem Kind zu helfen?

Stein:

Sie sollten ihr Kind unbedingt ansprechen, nach den Ursachen für beobachtete Veränderungen fragen. Nicht alle Kinder sind offen für so ein Gespräch. Wenn das Kind liest, ist Literatur ein guter Wegbereiter. Suchen Sie nach Geschichten über Kinder aus derselben Altersgruppe. Es ist auch ratsam, das Thema indirekt anzugehen. Erzählen Sie ihrem Kind, dass es Mobbing gibt, wie es abläuft und dass man etwas dagegen tun kann. Das Kind erfährt auf diese Weise, dass es kein Einzelfall ist, dass die Eltern interessiert sind. Dann öffnet es sich vielleicht auf diese Weise. Schaffen Sie Möglichkeiten zum Mitwirken in anderen Gruppen, etwa im Gemeinschaftssport oder Chor. In jedem Fall ist wichtig, dass das Kind in anderen sozialen Zusammenhängen positive Erfahrungen macht.

5. Sollen Eltern sich auch an die Schule wenden?

Stein:

In jedem Fall, denn auch die Schule trägt Verantwortung. Mobbing betrifft ja nicht nur das jeweilige Opfer, sondern es spaltet auch die Gruppe oder Klasse, in der es stattfindet. Wenn Opfer isoliert werden, mutiert ein Großteil der Schüler zur schweigenden Masse. Das schafft ein gestörtes soziales Klima. Eltern sollten sich zunächst an Klassenlehrer oder Vertrauenslehrer wenden und mit ihnen über eine geeignete Strategie zur Lösung des Problems sprechen. Sinnvoll wäre die Bereitstellung von Sozialarbeiterstunden für die gesamte Klasse, in denen unter fachkundiger Leitung Themen wie Ausgrenzung, Toleranz besprochen und Kommunikationsstrategien eingeübt werden. Wünschenswert wäre aus meiner Sicht, wenn Kommunikationstraining und Beziehungsarbeit an den Schulen präventiv geleistet würde. Das stärkt die Kinder und gibt ihnen das nötige Selbstvertrauen, um Fällen von Mobbing frühzeitig selbst entgegenzuwirken.

6. Auch Eltern erfahren Mobbing. Gibt es Unterschiede?

Stein:

Erwachsene berichten über ähnliche Verläufe von Mobbing wie Kinder und Jugendliche. Schneller als bei Kindern kommt bei ihnen die Sinnfrage dazu; sie fragen sich, wie lange sie es durchhalten und ob sie den Arbeitsplatz wechseln müssen. Bei den Tätern handelt es sich interessanterweise oft um Personen, die bereits Mobbingerfahrung haben - und zwar auch als Opfer. Sie haben in ihrer Jugend gelernt, dass es gelingt, sich durch Ausgrenzung anderer zu profilieren und zu positionieren. Im schulischen Kontext bilden Leistungsdruck und Zukunftsangst mit einer Verringerung des Selbstwertgefühls als Folge den Nährboden für Mobbing.