Das NDR Sinfonieorchester bringt “Alice im Wunderland“ und das “Dschungelbuch“ zusammen

Lewis Carrolls Alice und ihre schrullig-absurden Erlebnisse im Wunderland sind ebenso wie Rudyard Kiplings "Dschungelbuch" Reaktionen auf eine zwischen Verklemmung und Reglement zementierte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass die Freiheit einer Fantasiewelt auch Komponisten zur Vertonung reizte. Charles Koechlin (1867-1950) schrieb sogar fünf Sinfonische Dichtungen über Mogli & Co. 1895 war das "Dschungelbuch" auf Französisch erschienen, vier Jahre später las es der Pariser und blieb ein Leben lang von dieser Geschichte fasziniert. Die Kompositionen zu seinem "Le Livre de la jungle" entstanden über 40 Jahre hinweg. Sie umfassen alle Stilphasen des Soundtüftlers Koechlin, von impressionistisch über polytonal bis atonal. Allein an "La course de printemps" tüftelte Koechlin von 1925 bis 1927. In Kiplings Buch will der sich vergiftet glaubende, aber nur pubertierende Mogli der merkwürdigen Vorgänge in seinem Körper mittels eines "Frühlingslaufes" entledigen. Bei Koechlin wird dieser Vorgang bis in die letzte Körperfaser hörbar. Für das Konzert mit dem NDR Sinfonieorchester, eine Kooperation mit der Reihe "NDR das neue werk", hat der Dirigent Garrett Keast Teile des koechlinschen Werks zu einem fantastisch-bunten Strauß gebunden.

Die 1961 geborene Komponistin Unsuk Chin hat mit Koechlin ihr Gespür für differenzierte Klanggestaltung gemein. Ihre Musik ist oft ein einziges Schweben. Fließend ändern sich Klangfarben, die Chin rhythmisch komplex übereinanderschichtet.

In den vergangenen Jahren wurde die Koreanerin, seit 2006 künstlerische Leiterin einer Reihe für Neue Musik und Composer in Residence beim Seoul Philharmonic Orchestra, mit Preisen regelrecht überhäuft. Den Erfolg hat sie sich hartnäckig erarbeitet: Als Chin 1985 György Ligeti in der seriellen Tradition komponierte Werke zeigte, soll dieser die Blätter als altertümliche Kopien zerrissen haben. Trotzdem studierte sie bei ihm, komponierte während dieser drei Jahre aber nicht.

Heute hat sie sich aus dem Schatten des Meisters befreit und sogar ein Projekt vollbracht, das Ligeti geplant, aber nie verwirklicht hatte: eine Oper mit dem Thema "Alice im Wunderland". 2007 an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt, wurde Chins erste Oper von dem Fachmagazin "Opernwelt" gleich zur Oper des Jahres gewählt, wohl auch deswegen, weil sie eine breite Palette von Klängen und Stilen enthält. Sie fühle sich eher von Strawinsky, Bartók, Debussy und natürlich Ligeti beeinflusst als von koreanischer Musik, äußerte die Komponistin einmal. Gern verwendet sie elektronische oder spielerische Elemente. Gerade in "Alice im Wunderland" sei es weniger die Märchenthematik als die "verdrehte Logik" gewesen, die sie zur Vertonung gereizt habe. Ihre virtuosen Einlagen, klanglichen Überraschungen und parodistischen Elemente sind ein reines Vergnügen. Die Titelrolle singt die britische Sopranistin Claire Booth, die schon an der konzertanten Uraufführung 2011 mitgewirkt hat.

"Alice Meets Mowgli" 8.2., 20.00, Kampnagel. Vorprogramm: Konzertperformance von Gunter Adler/Sandra Poppe 19.00. Karten zu 20,- unter T. 0180/178 79 80 oder www.ndrticketshop.de