Rathaus-Ausstellung über die Rolle der NS-Militärjustiz

Das Thema ist heikel und berührt noch immer ein Tabu. Zwar haben die beiden Wanderausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung 1995 bis 1999 und 2001 bis 2004 mit der Legende der "sauberen Militärs" im Nationalsozialismus aufgeräumt, heftige Debatten, auch Widerspruch ausgelöst und nachhaltig Bewegung in die historische Forschung gebracht. Doch die Problematik der Militärgerichtsbarkeit und ihrer zum Teil haarsträubenden Urteilsbegründungen, speziell auch in Hamburg, blieb bisher weitgehend unberücksichtigt. Im Standardwerk "Hamburg im 'Dritten Reich'" bleibt unerwähnt, dass sich bis 1945 hier einer der bedeutendsten Militärstandorte befand. Auch in den "Beiträgen zur Neueren Hamburger Justizgeschichte", herausgegeben von der Justizbehörde, ist auf 1200 Seiten keine Zeile über die Tätigkeit der Kriegsgerichte zu finden.

Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, bringt nun in der Rathaus-Ausstellung "Deserteure und andere Verfolgte der NS-Militärjustiz. Die Wehrmachtsgerichtsbarkeit in Hamburg" das verdrängte Thema in Erinnerung und in die öffentliche Diskussion. Der Historiker präsentiert das Forschungsprojekt mit den Kollegen Claudia Bade, Magnus Koch und Lars Skowronski auf Einladung der Bürgerschaft vom 25. Januar bis 15. Februar 2013 im traditionellen Veranstaltungsprogramm zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Der Hamburger Tabakhändlersohn Ludwig Baumann gehört zu den etwa 30 000 von der Militärjustiz wegen "Fahnenflucht", Verrats oder "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilten Soldaten. Die Begnadigung vom 20. August 1942 für ihn und seinen Kameraden Kurt Oldenburg teilte das Gericht den Häftlingen im Wehrmachtsgefängnis Torgau erst neun Monate später mit. Baumann überlebte den Krieg in einer sogenannten "Bewährungseinheit", Oldenburg gilt als verschollen. Ein "Stolperstein" vor dessen Wohnhaus in der Walddörferstraße 357 erinnert an ihn.

Seit den 80er-Jahren engagierte sich Baumann in der Friedensbewegung und kämpfte als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz für die Aufhebung der Unrechtsurteile. Nach langen Kontroversen hob der Bundestag zwischen 1998 und 2009 die meisten von ihnen auf und rehabilitierte die Verfolgten der Militärjustiz. Die 3000 Kriegsrichter sprachen im Vergleich zur Nazi-Justiz fast doppelt so viele Todesurteile aus. Denn der Volksgerichtshof und die Sondergerichte verhängten 16 400 Urteile.

Die in der Ausstellung dokumentierten Fälle von Herbert Burmeister (1916-1944) und Willi Romeik (1917-1941) beweisen die willkürliche, menschenverachtende Rechtsprechung der Kriegsrichter. Der betrunken randalierende Matrose Romeik wurde wegen Körperverletzung und Beleidigung Hitlers als "asoziales Element" nach der "Volksschädlingsverordnung" zum Tode verurteilt und im Hamburger Untersuchungsgefängnis enthauptet. Ebenfalls unter dem Fallbeil starb Burmeister. Wegen viermaliger Fahnenflucht erst mit lebenslangem Zuchthaus bestraft, wurde er viermal zum Tode sowie zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Biografien der Opfer sind auf Tafeln mit Briefen, Fotos und Aktenauszügen dokumentiert. Weitere Schautafeln informieren über die Täter und Orte der Prozesse und Hinrichtungen, bieten eine thematische Übersicht sowie Einblicke in die Nachgeschichte und Widerstände in den Verfahren zur Rehabilitierung der Verfolgten.

Die Situation nach 1945 war merkwürdig. Volksgerichtshof und Sondergerichte galten als Organisationen der Nazi-Justiz, aber nicht die "parteifernen" Kriegsgerichte. Offiziere konnten der NSDAP angehören, durften sich aber in der Partei nicht als "Hoheitsträger" betätigen. Da sich der Matrosenaufstand im November 1918 nicht wiederholen sollte, verfolgten sie unter Berufung auf die "Kriegsnotwendigkeiten" eine unerbittliche Linie zur "Erhaltung der Manneszucht und unbedingten Gehorsams".

Die Wehrmachtsrichter vertraten analog zum Volksgerichtshof die Rassenideologie und urteilten oft politisch, wie auch die Nazi-Terminologie in den Begründungen bestätigt. Der anerkannte Militärhistoriker Manfred Messerschmidt hat in seiner 2005 publizierten Untersuchung "Die Wehrmachtsjustiz 1933-1945" nachgewiesen, dass die Kriegsrichter bei der Urteilsfindung durchaus mit zweierlei Maß gemessen haben, und widerlegt die lange gültige Behauptung, sie hätten den Boden der Rechtsstaatlichkeit nicht verlassen. Auf Basis von Archivmaterial analysiert er Traditionslinien, Rechtsempfinden und Praxis der Wehrmachtjustiz und ihre Perversion zum nationalsozialistischen Terrorinstrument. Denn wurden Verbrechen im Sinne der Nazis begangen - Plünderung oder Ermordung von Juden ohne Befehlsanordnung -, ließen Militärgerichte oft "Gnade vor Recht" ergehen. Die Soldaten wurden zwar angeklagt, "Verbotsirrtum" begangen zu haben, erhielten aber nur wenige Monate Haftstrafe oder kamen gleich wieder frei.

Nach bisherigen Erkenntnissen amtierten in Hamburg 13 Kriegsgerichte. Die Rathaus-Ausstellung leistet einen Beitrag dazu, Licht in ein dunkles Kapitel der hamburgischen und deutschen Rechtsgeschichte zu bringen.

"Deserteure und andere Verfolgte der NS-Militärjustiz. Die Wehrmachtsgerichtsbarkeit in Hamburg" 25.1. bis 15.2.2013; Rathausdiele im Rathaus, Rathausmarkt, Mo-Fr 9.00-18.00, Sa/So 10.00-13.00, Eintritt frei; Veranstaltungen hierzu unter www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de