Neumeiers Compagnie zeigt John Crankos “Onegin“-Choreografie zur Feier des 40-jährigen Jubiläums

"In Onegin hat man einen überheblichen Weltmann vor sich, der versäumt hat, das hässliche Entlein neben sich zu bemerken", schreibt der Choreograf John Cranko zu seinem 1965 in Stuttgart uraufgeführten Ballett nach Puschkins Versroman "Eugen Onegin". "Als es sich in einen Schwan verwandelt, möchte er das Mädchen sofort zurückhaben." Doch Tatjana, nun gereifte Frau und fürstlich verheiratete Gesellschaftsdame, erkennt, wie oberflächlich und von sich eingenommen der Dandy und Frauenverführer ist. "Während ihr Gefühl zu ihr sagt: 'Nimm ihn!', sagt ihr die Vernunft: 'Nimm ihn nicht!'"

Cranko übertrug Tatjanas Gefühlskonflikt mit sich und Onegin kongenial in die expressiv und leidenschaftlich sich steigernde Choreografie des Pas de deux im 3. Akt seines Balletts. Der Lehrmeister John Neumeiers zeigte - seiner damaligen Zeit voraus - nicht nur zwei tanzende Virtuosen, sondern mit ihren Emotionen und Wünschen ringende Menschen. Die Abschiedsszene stellt darstellerisch wie technisch hohe Ansprüche an die Ersten Solisten. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko übernehmen die Hauptpartien in der Premiere der "Onegin"-Neueinstudierung zur 40. und Jubiläumssaison des Hamburg Balletts.

Intendant John Neumeier zeigte das Cranko-Opus bereits 1984 und 1990. Es zählt zu den Juwelen aus der Schatztruhe der erzählenden Ballettliteratur. Der Choreograf inszenierte "Onegin" in Jürgen Roses opulenten atmosphärischen Dekors nicht zur Musik von Tschaikowskys gleichnamiger Oper, sondern zu anderen Werken des Komponisten, die Karl-Heinz Stolze auswählte, arrangierte und instrumentierte. Für die Tanznummern der großzügig angelegten Ballszene - Walzer, Mazurka und Polonaise - orchestrierte er Klavierstücke, verwendete aber auch symphonische Dichtungen wie "Romeo und Julia" und "Francesca da Rimini" für die beiden großen Liebesszenen der Protagonisten. Stolze schuf formal und motivisch Verbindungen zwischen den einzelnen Stücken und behandelte das Orchester entsprechend der intimen, auf die beiden Paare Tatjana/Onegin und Olga/Lenski konzentrierten Handlung kammermusikalischer als etwa in Originalballetten wie "Dornröschen".

Die "Onegin"-Aufführung im Jubeljahr ist auch eine Reverenz Neumeiers an seinen Mentor John Cranko (1927-1973). Der innovative Choreograf gab mit dem Stuttgarter Ballett wesentliche Impulse für die Entwicklung deutscher Ballettkunst und Ballett-Compagnien in den 60er-Jahren. Er war aber auch für seinen ehemaligen Gruppentänzer und Solisten John Neumeier ein stilbildendes Vorbild und vermittelte ihm Maßstäbe als Führungspersönlichkeit eines Balletts von internationalem Format.

"Onegin" 2.12., 18.00 (Premiere), Staatsoper (Restkarten). Weitere Vorstellungen 4., 7., 10., 12.12., jeweils 19.30, Karten zu 4,- bis 79,-, u. 16.12.,19.00, Karten zu 4,- bis 89,- unter T. 35 86 86