Am Anfang war es nur ein vages Bauchgefühl: Hier ging etwas vor, worüber wir unsere Leser informieren sollten - und zwar durchaus mit einem größeren Artikel. Zwölf Menschen seien in Hamburg erkrankt, erfuhren wir zufällig bei der Recherche zu einem ganz anderen Thema; die Begriffe EHEC und HUS fielen. Doch was in den nächsten Tagen und Wochen passieren sollte, konnte keiner von uns zu diesem Zeitpunkt, am Nachmittag des 20. Mai, absehen: dass die größte EHEC-Epidemie bevorstand, die es in Deutschland je gegeben hat, mit 3845 Erkrankten - und 53 Toten.

Der Anruf erreichte mich mitten in einem Gespräch bei Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt. "Wir haben gerade erfahren, dass es in Hamburg eine ungewöhnliche Häufung von Patienten mit Magenkrämpfen und blutigem Durchfall gibt", so drückte sich Wissenschaftsredakteur Marc Hasse vorsichtig aus. Und dass Dr. Cornelia Werner, die Medizinredakteurin des Abendblatts, sich nicht erinnern könne, wann es eine solche Situation im Zusammenhang mit EHEC und HUS schon einmal gegeben habe.

Als Ressortleiterin entschied ich, das bisher eingeplante große Thema der Wissen-Seite für den kommenden Tag zu kippen und stattdessen auf die aktuellen Geschehnisse zu setzen.

Zurück in der Redaktion, stellte sich heraus, dass auch in Niedersachsen die Lage bereits sehr angespannt war. Ein Arzt der Medizinischen Hochschule Hannover sprach von teils "sehr schweren Verläufen" der Erkrankung. Eine letzte Frage der Chefredaktion: Ob wir wirklich sicher seien, dass eine Magen-Darm-Erkrankungswelle unser wichtigstes Thema sei? Ja, waren wir. Die erste Geschichte zum Thema EHEC in Hamburg erschien am nächsten Tag unter der Überschrift "Seltene Infektion beunruhigt den Norden".

Wir alle hätten uns gewünscht, dass es beim Beunruhigen geblieben wäre. Doch stündlich erkrankten mehr Menschen. Wir hatten mit Ärzten zu tun, die keine Erklärungen für die schweren neurologischen Ausfälle der HUS-Patienten hatten. Mit erschöpften Pflegekräften, die 48-Stunden-Schichten schoben, um für die vielen Schwerkranken da zu sein. Mit verzweifelten Angehörigen. Und mit Kollegen, die hofften, bei uns die besten Informationen zu bekommen, was sie tun und lassen sollen, um sich nicht selber zu infizieren.

Wir konnten nur weitergeben, was wir an Informationen von Fachleuten erhielten. Für viele blieb es eine Glaubensfrage, ob man Tomaten, Salat und Gurken essen sollte - oder nicht. Als Kollegen erkrankten, als Kinder ins Koma fielen und bis dahin gesunde Jugendliche starben, spätestens da unterschied sich die Berichterstattung für uns von dem, was seit vielen Jahren unser Alltag war.