120 Jahre Kreuzfahrt: Noch nie waren Seereisen so beliebt wie heute. Die clevere Idee, zum Spaß an Bord zu gehen, hatte der Reeder Albert Ballin.

Auf ihre Art waren sie echte Pioniere. 241 begüterte Menschen, die am 22. Januar 1891 an Bord der "Augusta Victoria" den Hafen von Cuxhaven in Richtung Mittelmeer verließen. Knapp zwei Monate waren sie unterwegs, schlürften Austern und Champagner und schrieben dabei Geschichte. Die Passagiere des 144,80 Meter langen und 16,62 Meter breiten Doppelschrauben-Schnelldampfers "Augusta Victoria" gelten als die ersten zahlenden Gäste, die aus purem Selbstzweck eine luxuriöse Seereise unternahmen.

An Bord auch der Initiator der Reise, Albert Ballin. Der Generaldirektor der "Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft", kurz Hapag, hatte eigentlich nur einen Weg gesucht, seine Schiffe, die im Winter nur halb ausgelastet auf der Nordatlantik-Strecke nach Amerika unterwegs waren, besser zu nutzen. Er konnte nicht ahnen, dass er mit seiner cleveren Idee einer Industrie den Weg bereiten sollte, von der heute weltweit Hunderttausende von Menschen leben.

120 Jahre nach Ballins erster Kreuzfahrt stechen jährlich mehr als eine Million Deutsche aus purem Vergnügen in See. Tendenz steigend. 1 219 473 Hochseekreuzfahrten wurden 2010 in Deutschland gebucht, fast 200 000 mehr als 2009. Dazu kommen 432 766 Flusskreuzfahrten, im Jahresvergleich ein Plus von 9,3 Prozent. Kreuzfahrten sind die Wachstumstreiber der Touristik und machen mittlerweile 11,7 Prozent des deutschen Tourismus-Marktes aus - was einem Umsatz von rund zwei Milliarden Euro entspricht.

Und der dürfte sich noch gewaltig steigern lassen, denn laut einer Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen planen bis 2013 noch 9,9 Millionen Deutsche eine Kreuzfahrt. Den typischen Durchschnittsgast für Ozeanliner haben die Statistiker auch ermittelt: Er oder sie ist 48,4 Jahre alt, hat die Koffer für 9,3 Tage gepackt und 1696 Euro ans Reisebüro überwiesen. 2009 hätte der Passagier im Schnitt noch 185 Euro mehr bezahlt.

Unter den Seereisenden sind immer mehr Familien mit Kindern. Der Anteil der unter 14-Jährigen sowie die Altersgruppe 26 bis 55 Jahre sind gewachsen, während bei den Älteren der Statistikpfeil nach unten zeigt: 66 Jahre und älter sind 17,6 Prozent der Hochseereisenden, 1,7 Prozentpunkte weniger als 2009. Das sieht bei den Flusskreuzfahrten völlig anders aus: Etwa vier von zehn Gästen sind dort "66plus" - im Vergleich zu 2009 ein Anstieg um zwei Prozentpunkte.

Alexa Wehmer, Leiterin Kreuzfahrten bei Thomas Cook: "Schiffsreisen haben heute einen ganz anderen Stellenwert als noch vor zehn Jahren. Das Angebot ist breit gefächert, von der klassisch-eleganten Seereise im kleinen Kreis über hochmoderne Schiffe mit beeindruckender Angebotsvielfalt bis hin zum Erlebnis Großsegler - da findet jeder Gast sein ganz persönliches Traumschiff."

Weltweit befindet sich der deutsche Kreuzfahrtmarkt auf dem dritten Platz. Im europäischen Vergleich verzeichnet nur Großbritannien höhere Zahlen.

Viele Reedereien bauen ihre Flotten weiter aus. TUI Cruises beispielsweise stellte erst im Mai dieses Jahres mit der "Mein Schiff 2" einen Neuzugang in Dienst. 2014 soll die Flotte weiter vergrößert werden. Auch Hapag-Lloyd, die zweite Kreuzfahrtmarke der TUI AG, verfolgt mit "Columbus 2" und dem Neubau des Luxusliners "Europa 2" einen Expansionskurs. Marktführer Aida Cruises fügt den derzeit acht Clubschiffen bis 2016 acht weitere hinzu. Auch Städte profitieren von dem Boom. Hamburg zum Beispiel: Die Hansestadt ist die Bühne der Kreuzfahrtindustrie - und die Elbe der rote Teppich.

"Aida Mar", das neunte Schiff der Aida-Flotte, wird ebendort eine besonders pompöse Feier bekommen: Begleitet von "Aida Luna", "Aida Blu" und "Aida Sol" soll sie am 12. Mai 2012 getauft werden. Auch MSC "Lirica", MS "Deutschland" und "Queen Mary 2" kreuzen zum gleichzeitig stattfindenden 823. Hamburger Hafengeburtstag auf. Letztere kehrt dann auch noch mal am 15. Juli mit ihrem Schwesterschiff "Queen Elizabeth" zum Doppelanlauf zurück. Und wieder werden Tausende Schaulustige am Hafenbecken Spalier stehen - und vielleicht bald selbst eine Kabine auf einem Ozeanliner buchen.

Das Phänomen Kreuzfahrt als Massenspektakel - das hätte sich der gute alte Albert Ballin, dessen Reederei im Jahr 1970 mit dem Norddeutschen Lloyd zur Hapag-Lloyd AG fusionierte, sicher nicht träumen lassen. Zu seiner Zeit blieben die Lustreisen zur See nur den vermögenden Kreisen vorbehalten. Das mehrmals tägliche Umziehen war Programm. Im Verlauf einer Reise kleideten sich die Herren sogar immer dunkler. Zuerst trug der Mann von Welt einen hellgrauen Anzug. Dann einen grauen, später einen dunkelgrauen, bis er schließlich ganz in Schwarz erschien. Damit symbolisierte er seine Trauer darüber, dass die Fahrt zu Ende ging.

Was indes einige Herren von heute ausdrücken möchten, die auf Schiffen in T-Shirt, kurzen Hosen und Sandalen mit Klettverschluss zum Abendessen schlurfen, wird man wohl selbst in 120 Jahren nicht entschlüsseln können.