Der Beethoven-Zyklus des Belcea Quartets

"Es war ein sehr unerwartetes Abenteuer. Und definitiv das aufregendste und inspirierendste Abenteuer meines musikalischen Lebens." Krzystof Chorzelski erinnert sich gern an den Beginn des Belcea Quartets. Und wer das Ensemble heute, rund 15 Jahre später, auf der Bühne erlebt, kann das Feuer des Anfangs noch immer leuchten sehen. Denn ihr Abenteuergeist hat die vier Streicher nicht verlassen. Jedes Konzert - das war auch beim letzten Gastspiel in der Laeiszhalle Mitte Mai wieder zu hören - ist wie ein Ritt auf der Rasierklinge: Das Belcea Quartet spielt immer mit einem Energielevel von gefühlten 150 Prozent und mit messerscharfer Intensität. Weil diese atemberaubende Präsenz mit technischer Perfektion und großem Farbreichtum einhergeht, streicht das Quartett schon seit einigen Jahren an der Weltspitze der Kammermusik.

Die Belceas stehen sinnbildlich für eine neue Generation von Ensembles, bei denen die Regeln des letzten Jahrhunderts aufgehoben sind. Stammten die Mitglieder eines Streichquartetts früher fast immer aus denselben Nationen und musikalischen Traditionen, so sind hier vier sehr eigenständige Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern vereint. Eine rumänische Primaria, Corina Belcea und der französisch-schweizerische Geiger Axel Schacher an den Geigen, der polnische Bratscher Krzystof Chorzelski und der französische Cellist Antoine Lederlin bilden das Luxuspersonal der Formation, die sich am Londoner Royal College of Music gefunden hat.

Zu den Lehrern der Belceas gehörten unter anderem die früheren Mitglieder des Alban Berg und des Amadeus Quartetts. Eine prägende Erfahrung für Chorzelski und seine Kollegen. "Ich kann mir keinen wichtigeren Moment vorstellen - denn plötzlich trafen wir die Menschen, die wir bisher nur von Aufnahmen kannten und die wir so bewunderten. Sie gaben uns so viel Wärme, Inspiration und musikalische Ideen. Das war der entscheidende Punkt, als wir fühlten, was für eine wunderbare Welt sich uns da eröffnet."

Diese wunderbare Welt nahm das junge Ensemble mit offenen Armen auf. Zu den entscheidenden Karriereschritten gehörten Wettbewerbserfolge in Osaka und Bordeaux, ein Plattenvertrag mit der EMI und eine langfristige Residenz an der Londoner Wigmore Hall.

Einige Jahre und zahllose umjubelte Auftritte später hat Christoph Lieben-Seutter das Quartett nun als Residenzkünstler der Elbphilharmonie Konzerte engagiert - in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik. An sechs Abenden widmen sich die Belceas dem heiligen Gral aller Streichquartettfans und spielen sämtliche Quartette von Beethoven.

Die insgesamt 16 Gattungsbeiträge des deutschen Komponisten sind in einem Zeitraum von knapp 30 Jahren entstanden und umfassen eine gewaltige stilistische Spannbreite: Sie reicht von den klassischen Formen des frühen Zyklus op. 18 über die mitunter fast schon orchestral anmutende Klangfülle der mittleren Quartette bis hin zu einem rätselhaften Spätwerk, in dem die einzelnen Stücke durch ein subkutanes motivisches Netz miteinander verwoben sind. Durch ihren Beziehungsreichtum, die emotionale Tiefe und eine kaum fassbare Vielfalt an musikalischen Charakteren gelten die Kompositionen als Krönung der "Königsgattung" Streichquartett - auch für die Belceas: "Beethovens Streichquartette umfassen alles, was Musik überhaupt ausdrücken kann", sagen die Musiker unisono.

Dass ihr Marathon auf den Gipfel der Kammermusik, der über mehrere Monate verteilt ist, zu einem packenden Erlebnis werden kann, zeigte sich schon beim bereits erwähnten Konzert in der Laeiszhalle Mitte Mai. Da gab das Belcea Quartet mit seiner mitreißenden Darbietung von Beethovens spätem Meisterwerk op. 132 einen vielversprechenden Vorgeschmack auf die neue Saison: Die Interpretation hatte eine ungeheure emotionale Dichte und einen geradezu berstenden Spannungsbogen. Als wäre das Stück gerade frisch komponiert und das Ensemble eben erst gegründet. Freuen wir uns also auf aufregende und inspirierende Abenteuer mit Beethoven und den Belceas.

Das Beethoven-Projekt 2.10. und 7.12.2011, 24.1., 19.3., 28.4. und 17.6.2012, jeweils 20 Uhr, Laeiszhalle (Kleiner Saal). Karten unter T. 35 76 66 66