An was glauben Sie? Der Musiker Roger Cicero ist ein spiritueller Mensch. Er glaubt aber vor allen an sich selbst und an die eigene Kraft. Seit der Geburt seines Sohnes hat der Sänger sein Leben neu justiert

Er kommt zu spät. 15 Minuten - oder um es in Taten auszudrücken: einmal dem Sohn die Windeln wechseln und zweimal Tschüss sagen. Zeiteinheiten, die für einen Musiker wie Roger Cicero auf den ersten Blick ungewöhnlich klingen. Noch vor der Begrüßung klärt er auf: "Louis wollte mich nicht gehen lassen."

Seit der Geburt seines Sohnes am 1. Mai 2008 ist im Leben des Sänger, Komponisten und Entertainers nichts mehr wie es vorher war. Dinge, die zuvor ganz oben auf der persönlichen Rangliste gestanden hatten, rückten unweigerlich einen Platz nach unten. "Man ist in vielen Sachen wie ausgewechselt", sagt der Künstler. "Auf einmal ist man ständig um jemanden besorgt und will ihn beschützen. Wenn ich heute Nachrichten gucke und vom Leid dieser Welt erfahre, denke ich, oh Gott, wenn Louis das passieren würde. Das nimmt mich jetzt alles sehr viel mehr mit." Louis hat die Prioritäten seines Vaters verschoben. "Früher war ich ganz rigoros. Musik war mein Ding. Das ist zwar immer noch so, aber jetzt ist etwas hinzugekommen, was mindestens ebenso wichtig ist, wenn nicht noch wichtiger." Jede freie Minute verbringt der Musiker mit seinem Sohn und seiner Lebensgefährtin Kathrin. Aus dem Frauenschwarm Roger Cicero ist ein Familienmensch geworden. Einer der nachts aufsteht und am Bett seines Sohnes Louis wacht. Der malt, bastelt, verstecken spielt. Und Musik mit und für ihn macht. Der Song, den er für seinen Sohn komponierte, heißt "Für `nen Kerl".

Wir treffen uns im Literaturhaus-Café. Weil das für Cicero ein Ort zum Innehalten ist. Ein Platz, an dem man zur Ruhe kommen kann. Denn genau das ist es, was der 40-Jährige, für seine Musik mit Echo, Platin und Goldener Stimmgabel ausgezeichnet, nach wochenlangen Tourneen, nach Studioaufnahmen und Fernsehauftritten braucht. Ruhe, um in sich hineinzuhorchen. "Die leise innere Stimme zu hören", wie er es formuliert.

Das ist seine Form vom Glauben. Nicht einer Religion zugewandt, sondern frei von Institution und Konfession. "Meine innere Stimme, das ist mein Gott", sagt er. "Sie gibt mir Kraft, sagt, wohin ich gehen muss und was richtig für mich ist." Dieser Stimme ist er in all den Jahren gefolgt, hat Prioritäten gesetzt, Entscheidungen getroffen. Für die Musik zum Beispiel. Geprägt wurde sie diese von seinen Eltern, dem Jazzpianisten Eugen Cicero und seiner Frau Lilli. Bereits mit vier Jahren setzten sie den kleinen Roger ans Klavier. "Sie wollten einen kleinen Mozart aus mir machen", sagt er. "Ich fand Musik schon spannend, brauchte aber einen anderen Zugang", sagt er. Diesen fand er wenig später in Gesang und Gitarre.

Der erste Song, den er mit seinem Vater auf der Bühne vortrug, war Gilbert O'Sullivans "Alone Again". Ein trauriger Song, den Roger als Musikerkind getrennt lebender Eltern gut nachvollziehen konnte. Seinen Vater sah er nur in den Ferien. Und dennoch war er es, der ihn die Liebe zur Musik gelehrt hat. Der ihn mit auf die Bühne nahm, später beim Musikstudium an der Amsterdamer Hochschule der Künste unterstützte und schließlich beim Abschlusskonzert begleitete. Es war der letzte gemeinsame Auftritt.

Der Tod seines Vaters 1997 kam plötzlich. Mit 57 Jahren starb er. "Was übrig blieb, war ein merkwürdiges, unscharfes Gefühl, nicht alles geklärt, nicht richtig Abschied genommen zu haben", schreibt Cicero in seinem kürzlich erschienenen Buch "Weggefährten - Meine Songs fürs Leben". Darin erfährt man viel über den Menschen und Musiker Cicero. Über die Lieder, die ihn geprägt haben, über berufliche und private Entscheidungen, die er oftmals in seinen Songs zu verarbeiten sucht. Für seinen Vater schrieb er den Titel: "Ich hätt' so gern noch Tschüss gesagt".

An ein Leben nach dem Tod im biblischen Sinne glaubt er nicht. Nur, "dass es irgendwie weitergeht". Überhaupt gebe es für ihn wie in so vielen Glaubensfragen keine eindeutige Antwort. Wichtig sei doch nur, dass jeder einen Gott habe, jeder glauben könne. "Wie dieser Gott aussieht, das bleibt jedem selbst überlassen. Bei mir ist es eine Kraft, die will, dass es mir gut geht."

Diese Kraft nutzt er, um sich selbst zu hinterfragen. Er nutzt sie, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, so wie die vor fünf Jahren, als er als Gastgeber von "Angie's Nightclub" auf der Reeperbahn das Handtuch warf. Bis zu vier Abende pro Woche hatte er dort auf der Bühne gestanden. Irgendwann war dem Sänger klar: "Die Menschen kamen zum Feiern, nicht zum Zuhören."

Cicero nahm sich eine Auszeit, fuhr zu einer Freundin nach Amsterdam. Sie legte das Lied "From The Morning" von Nick Drake auf. "Der Song hat mir Mut gemacht. Irgendwann kommt der nächste Morgen, irgendwie wird es auch bei mir weitergehen." Das Erlebnis war für Cicero von großer emotionaler Tiefe. "Ich habe gelernt, auf mein Herz zu hören. Es gibt keine höhere Macht, die es richten wird. Man muss sein Leben selbst in die Hand nehmen." In seinen Liedern singt er humorvoll von Banalitäten: von Beziehungskonflikten und Männernöten. Seine Botschaft ist einfach wie wirkungsvoll: "Nimm die Dinge nicht so ernst." Weil vieles im Leben anders läuft, als geplant. Und weil eben nicht alles vorgefühlt und berechnet werden kann.

Auch vor dem Dalai Lama ist er bereits aufgetreten, als dieser 2009 Deutschland besuchte. Durchaus eine Herzensangelegenheit von Cicero, der allerdings kein Buddhist ist: "Ich finde aber einige buddhistische Anschauungen sehr ansprechend. Was ich am Buddhismus mag, ist, dass es keine Religion ist, sondern eine Einstellung. Ich bin überhaupt kein religiöser, aber durchaus ein spiritueller Mensch. Es gibt aber keine Religion, die ich vorbehaltlos annehmen könnte. Ich bin zwar getauft, aber in keiner Kirche." Um seinem Sohn einen Willkommenssegen zu erteilen, ließ er ihn in einer buddhistischen Zeremonie von einem Lama segnen. Und er versucht ihn den Glauben zu lehren, den Glauben an sich selbst.

Roger Cicero: "Weggefährten, meine Songs fürs Leben", rororo, 12 Euro. Die DVD "Roger Cicero - Live at Montreux 2010" erscheint am 16. 11. ..