“Politische Bildergeschichten von Albrecht Dürer bis Art Spiegelman“ im Kunstverein.

Die vorrangige Aufgabe des Bildes sei es zu erzählen, forderte Leon Battista Alberti 1435 in seinem Traktat "De pictura". Damit formulierte er eine Bildauffassung, die bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit hatte. Der Hamburger Kunstverein schließt sich nun mit der Ausstellung "Wo ist der Wind, wenn er nicht weht? - Politische Bildergeschichten von Albrecht Dürer bis Art Spiegelmann" dieser Auffassung an. Die große Schau, verteilt über beide Ausstellungsräume des Hauses, zeigt Zeichnungen, Grafiken und Objekte von mehr als 80 Künstlern, beginnend im 15. Jahrhundert bis heute.

Der kleine Raum im Untergeschoss bleibt Künstlern der Frührenaissance bis zur Klassischen Moderne vorbehalten. Zu sehen sind dort etwa Werke von Albrecht Dürer, Hans Holbein d. J., Jacques Callot, William Hogarth, Francisco de Goya oder Lyonel Feininger und Pablo Picasso. Im oberen Stockwerk stehen die jüngeren Bildergeschichten des 20. und 21. Jahrhunderts im Zentrum. Neben Künstlern wie Jörg Immendorff, Öyvind Fahlström, Jake und Dinos Chapman integriert die Ausstellung auch Autoren und Illustratoren. So sind Zeichnungen zu Paul Austers "Stadt aus Glas" oder George Orwells "Animal Farm" zu sehen. Das breite Spektrum dieser Schau schließt selbstverständlich auch Comics und Karikaturen mit ein. Von e.o. plauens "Vater und Sohn" aus dem Jahr 1934 bis zu Gerhard Seyfrieds "Flucht aus Berlin" von 1990.

Dank einer umfassenden Recherche ist es Kunstvereinsdirektor Florian Waldvogel gelungen, erstmals einen umfassenden Einblick über politisch motivierte Bildergeschichten seit der Erfindung der Buchdruckkunst zu geben. Die interdisziplinär angelegte Schau ("hohe" Kunst steht hier neben Populärkultur) hat auch ein demokratisches Anliegen. Alle Bevölkerungsgruppen sollen angesprochen werden. Man braucht kein Kunstwissen, um Zugang zu den Werken zu finden.

"Im Medium der Bildergeschichte bricht der Künstler die passive Haltung des Rezipienten durch ein ästhetisches Angebot auf", sagt Florian Waldvogel. "Die Bildergeschichte ist die demokratischste aller Kunstformen, weil jeder sie lesen und verstehen kann."

Seminare, Vorträge, Workshops und kostenlose Führungen informieren darüber hinaus über soziale und ökonomische Entstehungsbedingungen der Werke. So gibt die Schau nicht nur einen Überblick über eine spezifische Kunstform, sondern auch über gesellschaftliche Entwicklungen im Laufe von mehr als 500 Jahren.

Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst im 15. Jahrhundert waren die Bedingungen zur massenhaften Verbreitung von Texten und Bildern geschaffen. Der erzählerische Bilderzyklus emanzipierte sich von der Kirchenwand und erlangte auch mit weltlichen Themen Popularität. Bebilderte Flugschriften bereiteten der Aufklärung den Boden. Im 19. Jahrhundert erhob eine wachsende Schaulust Bilderbögen, Kalender und illustrierte Magazine zur Alltagserscheinung. Eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Bildergeschichte spielte der Aufstieg der Tageszeitung. Illustrierte Unterhaltungsbeilagen, 1889 von Joseph Pulitzer in Amerika eingeführt, erfreuten sich großer Beliebtheit. Dazu gehörte auch Lyonel Feiningers "The Kin-der-Kids" aus dem Jahre 1906. Das Bild half, in dem ethnischen Gemisch der wachsenden Ballungszentren Amerikas das Gefühl einer gemeinsamen Identität zu erzeugen.

Im 20. Jahrhundert findet sich eine Vielzahl von Beispielen, in denen Künstler an die Form historischer Beispiele anknüpfen, ihre Arbeiten in die Nähe populärer Bildergeschichten rücken und beides mit einer politischen Haltung verknüpfen. So zeichnet Picasso etwa 1937 eine comicartige Bildfolge mit dem Titel "Sueno y mentira de Franco / The dream and lie of Franco". Gegenwartskünstler wie Jake und Dinos Chapman verlagern das Erzählerische hin zu einem Spiel der Zeichen.

Noch bis zum 22. November haben Besucher die Möglichkeit, einen Blick auf die Arbeiten von Kostis Velonis, Karla Black und der Filmemacherin Ursula Mayer zu werfen. Auch der "Sleeping Buddha" von Daniel Milohnic wird danach durch Wandzeichnungen des Hamburger Künstlers Stefan Marx ersetzt.

Wo ist der Wind, wenn er nicht weht? Politische Bildergeschichten von Albrecht Dürer bis Art Spiegelman 19.12. bis 14.3.2010, Eröffnung 18.12., 19 Uhr, Der Kunstverein, seit 1817, Klosterwall 23, Di-So 12-18 Uhr