Die Kunsthalle zeigt mit “Politik“ den dritten Teil der Ausstellung “Sigmar Polke. Wir Kleinbürger!“.

Große Anerkennung wurde vor Kurzem der Kunsthalle zuteil. Die deutsche Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbandes AICA kürte "Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen" zur "Ausstellung des Jahres". Das Lob wiegt gleich doppelt, denn es wurde vergeben, noch bevor der letzte Teil der auf zehn Monate angelegten Schau eröffnet wurde.

Nach "Clique" und "Pop" wird Polkes zehnteiliges Werk "Wir Kleinbürger" zurzeit unter dem Stichwort "Politik" kontextualisiert. Wie schon in den ersten beiden Teilen, erforscht auch der dritte und letzte Teil Polkes künstlerische Aktivitäten und die seiner Kollegen während der 70er-Jahre. Eine Vielzahl an Werken, Dokumenten, Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten zeugen von der subversiven Stimmung, die sich unter den Künstlern breitgemacht hatte. Einen Namen hatte sich Polke bereits in den 60er-Jahren gemacht. Sein humorvoll subtiler Umgang mit den ästhetischen Errungenschaften des Kleinbürgertums in Form von Tapeten oder Tischdeckenmustern, sein spielerisches Kontern gegen überkommene Genievorstellungen hatten der Kunst wieder das Lachen beigebracht.

Autoren wie Walter Grasskamp orteten darin sogar eine "kleinbürgerliche Revolution in der Malerei", die Polke zum "wichtigsten politischen Künstler weit und breit" kürten. Doch mit Beginn der 70er-Jahre wurde es merklich ruhiger um den einstigen Vertreter des Kapitalistischen Realismus. Selbst inszenierte Gerüchte seiner Abwesenheit schwebten durch die Kunstlandschaft. Es war schwer, in diesen Tagen hinter die Maske eines Künstlers zu schauen, der gerade dabei war, neue subversive Strategien auszuhecken. Polke hatte sich weder von der Kunst verabschiedet noch auf Reisen begeben, auch wenn er hin und wieder die Ferne aufsuchte. Stattdessen zog es ihn in den Jahren 1972 bis 1978 auf einen niederrheinischen Bauernhof - den Gaspelshof bei Willich.

Hier entstand nicht nur die zehnteilige Bildfolge "Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen", sondern auch eine offene Künstlergemeinschaft. In verschiedenen Konstellationen schuf Polke mit Kollegen wie Achim Duchow, Katharina Sieverding und Klaus Mettig gemeinsame Werke, die aktuell in der Kunsthalle unter dem Aspekt des Politischen präsentiert werden. Gemeinsam suchte man Eröffnungen auf, die, so ein Chronist, sich zu "anarcho-fascho-chaotischen Großereignissen entwickelt" hatten, mit Polizei-Aufgebot und zu diesen Zeiten noch beeindruckender eklatschwangerer Aufregung.

Mit den "Kleinbürgern" entwarf Polke über mehrere Jahre hinweg zehn großformatige Werke, die sich durch ihre teils verwirrenden Überlagerungen mehrerer Motive, aber auch durch ihre Materialien wie fluoreszierende Leuchtfarbe auszeichnen. Die Motive entstammen Comics, Presse, ebenso Trivial-Quellen. Petra Lange-Bernt, Dorothee Böhm und Dietmar Rübel, Kuratoren der Ausstellung, nennen die Kleinbürger von daher "mediale Bastarde, die aus einem unreinen Gebrauch künstlerischer Verfahren hervorgegangen sind". Nach einer ersten Präsentation in den 70er-Jahren werden sie nun zum ersten Mal wieder gemeinsam in der Öffentlichkeit ausgestellt.

Mit dem Thema des Kleinbürgers knüpfte Polke nicht nur an seine eigene Vergangenheit an, er stand offensichtlich auch unter dem Eindruck von Martin Enzensbergers gleichnamigem Aufsatz. In ihm verweigert der Autor das bislang ausschließlich negativ gezeichnete Bild des "petit bourgeois", in dem er auch den modernen Künstler auf dessen Seite schlägt. Die vorbildliche Klasse, wie Enzensberger das Kleinbürgertum nennt, "besorgt die Innovation. Sie legt fest, was für schön und erstrebenswert gilt. ... Sie ist die einzige Klasse, die Kunst und Mode, Philosophie und Architektur, Kritik und Design erzeugt." Polke aber ist bemüht, sich aus dieser Dialektik zwischen dem Kleinbürger und seinem künstlerischen Alter Ego zu entfernen. Er verweigert sich dem tradierten Selbstverständnis dieser Klasse.

Er versucht Autorschaft zu untergraben, Ununterscheidbarkeit einzuführen oder auf die bildlichen Mittel des damaligen politischen und weitestgehend linken Protestes zurückzugreifen, etwa dem Sprühen mit Schablonen. Sein Bild "Giornico" der "Kleinbürger" zeigt die rot besprühten Transparente eines schweizerischen kommunistischen Demonstrationszuges zusammen mit einem berühmten National-Monument, das an einen historischen eidgenössischen Sieg über die Italiener erinnert. Polke kombiniert, arrangiert, konfrontiert, lässt aber jegliche Eindeutigkeit zugunsten einer politisierten Stimmung weit zurück.

Wie Beatrice von Bismarck im Katalogbuch vermerkt, sucht Polke zwar die soziale Gemeinschaft, nicht aber die gemeinsame ästhetische Handschrift. Auf diese Weise hofft er, die "Anforderungen an ein Künstlersubjekt zu unterlaufen: kohärente Entwicklung, fortdauernde Schöpferkraft, Marktkompatibilität, außerordentliche Befähigung". In seinen Bildern wie auch im künstlerischen Umgang mit seinen Kollegen, den Mitbewohnern auf dem Gaspelshof, hatte Polke damit seine eigene makro- und mikropolitische Strategie entwickelt. Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Susanne und Michael Liebelt-Stiftung.

Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen Teil 3: Politik, bis 17.1.2010, Kunsthalle, Glockengießerwall, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr