Die BallinStadt führt ihren Besuchern die Schicksale der Auswanderer vor Augen - teilweise mit originalen Dokumenten.

Von 1850 bis 1939 sind fünf Millionen Menschen über Hamburg ausgewandert. Diese Zahl steht für eine historische Entwicklung, die soziale, politische und ökonomische Ursachen hat. Sie steht aber auch für fünf Millionen einzelner Schicksale. Was hat es den Menschen bedeutet, die Heimat, die Familie, die Freunde, die vertraute Umgebung zu verlassen, sich auf eine gefahrvolle und beschwerliche Reise zu begeben, um in einem fernen Land ein völlig neues Leben zu beginnen?

Die BallinStadt Auswandererwelt Hamburg, die vor zwei Jahren auf dem historischen Gelände der Hapag-Auswandererhallen eröffnet wurde, dokumentiert nicht nur die historische Entwicklung der massenhaften Emigration, sondern zeigt auch auf, welche Schicksale damit verbunden waren. Im Sommer 2008 standen die Biografien von Auswanderern im Mittelpunkt einer Ausstellung, die auch von vielen Menschen besucht wurde, die selbst einmal ausgewandert sind. "Erzählen Sie uns Ihre Geschichte" - diese Aufforderung stand auf einer Holzkiste am Ende der Schau. "Die Resonanz war erstaunlich. Wir bekamen zu vielen Auswanderern persönlichen Kontakt, erfuhren ihre Geschichten und erhielten manchmal wertvolle Fotos, Briefe und Dokumente als Leihgabe oder gar als Geschenk", sagt BallinStadt-Mitarbeiterin Maja Berends.

Zumeist handelt es sich dabei um die Lebenszeugnisse von Menschen, die in den 50er-Jahren aus Deutschland ausgewandert sind und nun zu Besuch in die alte Heimat kommen.

Mitunter erhalten die BallinStadt-Mitarbeiter aber auch Dokumente, die in jene Zeit zurück reichen, in der die Auswandererhallen auf der Veddel noch ihrer eigentlichen Bestimmung dienten.

Im Dezember 2008 erhielt die BallinStadt Post aus den USA. Das Kuvert enthielt einen zweieinhalb Seiten langen Originalbrief, den eine junge Deutsche am 26. September 1923 in den Auswandererhallen auf der Veddel an ihre zurückgebliebene Mutter geschrieben hat.

"Liebe Mutter! Momentan geht es uns gut, wir können uns nicht beklagen. Wir wohnen zusammen in den Auswandererhallen, die in Hamburg-Veddel liegen, mit dem Vorortzug drei kleine Stationen von Hamburg. Wir werden täglich dreimal abgefüttert, um 8, um 12 und abends um 5. Das Essen ist gut, vorgestern Mittag gab es Nudelsuppe und dann Reis mit Gulasch, Fleisch so viel bald wie du sonntags für die ganze Familie kochen kannst."

Die Frau, die diese Zeilen schreibt, ist damals Mitte 20 und heißt Ida Graupner. Sie wandert gemeinsam mit ihrem Bruder Karl aus, der Vater hat die beiden noch nach Hamburg gebracht und sich wohl auch um die Erledigung der ersten Formalitäten gekümmert. "Es hat einige Stunden gedauert, bis wir unsere Papiere hatten. Dann sind wir nach Veddel gefahren. Dort war große Raubtierfütterung, dann bekamen wir Wohnraum angewiesen. Danach ging es zur Impfung, Untersuchung, Haarwaschen und was sie mit einem dort anstellen. Überall muss man so lange warten, dass man kaum noch Zeit findet für Hamburg", schreibt Ida Graupner, die dann aber doch noch die Möglichkeit hat, sich Hamburg anzusehen.

Recht begeistert schreibt sie: "Wir waren an der Alster, auf dem Rathausmarkt, auf dem Gänsemarkt, Jungfernsteg. Hamburg ist eine sehr schöne Stadt und hat ein wundervolles Rathaus und Gebäude, da wird man gar nicht fertig mit dem Schauen. Heute Nachmittag wollen wir zum Elbtunnel und nach St. Pauli. Aber alles was es hier gibt, können wir doch nicht sehen, denn morgen geht's ab. Wir müssen um vier Uhr morgens aufstehen, dann geht's mit der Bahn nach Cuxhaven, das sind 119 Kilometer von hier, ein nettes Stückchen Bahnfahrt."

Ida Graupners Brief zeugt nicht von Heimweh, sie scheint auch keine Angst vor der Überfahrt zu haben. Und über das neue Leben in der neuen Welt schreibt sie keine Zeile. Wahrscheinlich wird sich die junge Frau gedacht haben, dass sie die Dinge schon meistern würde. "Die nächste Nachricht von uns bekommt ihr aus Southampton. Bis dahin recht herzliche Grüße an euch alle. Ida und Karl", heißt es am Ende des Briefs, der nun wieder dorthin gelangt ist, wo er vor mehr als 80 Jahren geschrieben wurde. Ida Graupner ist vor einigen Jahren gestorben, ihr Bruder Karl lebte hochbetagt in den USA. Er sprach und schrieb noch auf Deutsch.

Auch der Kontakt zu dem in Deutschland gebliebenen Teil der Familie ist lange nicht abgerissen. Idas Brief ist als authentisches Zeugnis in die Ausstellung integriert worden, gesprochen von Idas in Braunschweig lebender Nichte in einer Hörstation in der Halle 3, in der es um das alltägliche Leben in den Auswandererhallen geht.

In diesem Teil der Ausstellung hat es einige Veränderungen gegeben. "Wir erfahren, dass sich unsere Besucher auch hier mehr interaktive Elemente wünschen. Deshalb erzählen jetzt auch Puppen stellvertretend für Personen aus der damaligen Zeit ihre Geschichten über den Aufenthalt in den Auswanderhallen der Hapag. Ida Graupner ist nur ein Beispiel dafür, aber ein besonders schönes und authentisches", sagt Maja Berends.

Ebenfalls neu ist eine erweiterte Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Oliver Hermann. Von jetzt an führt er die Besucher als virtueller Begleiter durch die gesamte Ausstellung. Am Schluss tritt er aus seiner Rolle als Schauspieler heraus und erzählt den Besuchern, wie er ganz persönlich seinen heutigen Alltag auf der multikulturellen Veddel erlebt.

BallinStadt Auswandererwelt Hamburg: Veddeler Bogen 2, Mo-So 10-18 Uhr; www.ballinstadt.de .