Auf 500 Quadratmetern bietet die Schau ein vielschichtiges Bild, das sich nicht in der Vergangenheit erschöpft, sondern auch den Platz der Indianer in der Gesellschaft der Gegenwart aufzeigt.

Ein riesiges Panoramabild vermittelt einen Eindruck von der schier unendlichen Weite der Prärie. Davor steht ein Tipilager - eine Installation, die mit Klischees spielt, mit Sehnsüchten und Träumen. Man kann es aber auch anders sehen, denn die Prärie-Indianer, die im 19. Jahrhundert auf Pferden unterwegs waren, in Tipis lebten und Bisons jagten, gab es tatsächlich. Aber so sehr sie auch die europäische Vorstellung dominierten, sie waren doch nur Teil einer enorm vielgestaltigen Kultur.

"Indianer Nordamerikas - eine Spurensuche" heißt die große Sonderausstellung, in der das Museum für Völkerkunde ein möglichst vielschichtiges Bild vom Leben der nordamerikanischen Ureinwohner vermitteln will. Dabei geht es natürlich auch um die dunklen Seiten der Geschichte, um den Genozid, den die Weißen an den First Nations, wie die Indianer heute genannt werden, verübt haben. Thema ist vor allem die enorme Überlebenskraft, der kulturelle Reichtum und der Stolz dieser Völker, die sich seit mehreren Jahrzehnten immer stärker ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Traditionen besinnen.

"Wir wollen die Indianer nicht in einer Opferrolle zeigen. Wir haben es satt, immer wieder das Bild der an die Seite gedrängten Indianer, der Verlierer zu zeigen. Natürlich gab und gibt es das, aber das ist nur ein Ausschnitt einer viel größeren und vielschichtigeren Wirklichkeit", sagt David Seven Deers von der Ethnie der Skwahla-Stó:lo-Halkomelem aus Kanada. Der indianische Künstler, der vor einiger Zeit den Totempfahl vor dem Völkerkundemuseum schuf und seine Skulpturen in den vergangenen Jahren schon mehrfach im Haus an der Rotenbaumchaussee gezeigt hat, ist jetzt erneut nach Hamburg gekommen, um das Ausstellungsteam zu beraten.

Er spricht von positiven Entwicklungen, die sich vor allem in Kanada vollzogen haben. "Im Juni hat sich der Premierminister bei den Indianern für das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, im Parlament entschuldigt. Er hat gesagt: 'Die Regierung Kanadas entschuldigt sich aufrichtig und bittet die Ureinwohner dieses Landes um Vergebung.' Das war eine wichtige Geste, die einen gemeinsamen Neuanfang ermöglicht", sagt David Seven Deers und erzählt von den mehr als 150 000 Kindern der First Nations, die man bis vor wenigen Jahrzehnten von ihren Eltern getrennt und in Internate gezwungen hatte, wo sie oft von Schulleitern und Lehrern missbraucht wurden. Dieses dunkle Kapitel der kanadischen Geschichte soll jetzt von einer Wahrheitskommission untersucht werden.

Doch Seven Deers spricht nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über ein neues Verhältnis zwischen weißen Kanadiern und Indianern. "Inzwischen gibt es in der Bevölkerung sehr viel mehr Interesse an unserer Kultur, die nun auch als wichtiger Teil einer gemeinsamen Geschichte gewürdigt wird", sagt der Indianer und erzählt zum Beispiel von der kanadischen Botschaft in Berlin, deren Konferenzraum in Form eines Tipis gestaltet ist und in deren Gebäude zahlreiche indianische Kunstgegenstände zu sehen sind.

In der Ausstellung, deren Exponate zum größten Teil aus der reichen Sammlung des Völkerkundemuseums stammen, teilweise aber auch eigens dafür beschafft wurden, geht es nicht um Romantik, sondern um Realität. In sechs großen Komplexen werden den Besuchern ganz unterschiedliche Themen vorgestellt. Es geht zum Beispiel um Sprache und Kommunikation. Hier wird auch die komplizierte indianische Zeichensprache thematisiert. Prof. Wulf Köpke, der Direktor des Museums, berichtet von einer enormen Sprachenvielfalt und stellt einen verblüffenden Vergleich an. "Goethe hatte einen aktiven Wortschatz von etwa 80 000 Wörtern. Der Wortschatz eines durchschnittlichen Sioux beträgt 1,5 Millionen Wörter."

Die Schau räumt mit vielen Irrtümern und Vorurteilen auf. Das betrifft u. a. die Frage, wovon die Indianer in früheren Zeiten gelebt haben. Nämlich keineswegs nur von der Bisonjagd, sondern auch vom Ackerbau. So bildete zum Beispiel der Maisanbau für die Irokesen die Lebensgrundlage. Viele Kulturpflanzen, die erst im 16. Jahrhundert nach Europa kamen, wurden zunächst von amerikanischen Ureinwohnern angebaut. Eine in Originalgröße aufgebaute Schwitzhütte führt zu dem Ausstellungsbereich, in dem es um traditionelle Heilkunst und Gesundheit geht. Die hölzernen Palisaden eines Forts symbolisieren die Konfrontation zwischen Weißen und Indianern, die einerseits kriegerisch war, andererseits aber auch Phasen friedlichen Handels und Austauschs kannte.

"Es wird auch gestalterisch eine sehr intensive und sinnliche Ausstellung. Wir haben für jeden Bereich ein starkes Bild gefunden - vom Tipi über die Schwitzhütte, das Fort bis hin zu dem indianischen Cadillac, der das moderne Leben zeigt und daran erinnert, dass auch die Indianer am amerikanischen Lebensgefühl teilhaben", sagt die Kuratorin Christine Chavez, die darauf hinweist, dass viele interaktive Elemente in die Ausstellung einbezogen werden. So gibt es Ton- und Filmaufnahmen mit historischem und aktuellem Material, zum Beispiel eine Roadshow mit Indianer-Musik, die man in dem Cadillac erleben kann.

Zu den großen Schätzen des Museums gehört die riesige Sammlung von Indianer-Fotografien, die auch Teil der Ausstellung sind. Zu sehen sind Bilder von der Mitte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, die von Forschern, Abenteuern, Kaufleuten, aber auch von professionellen Fotografen aufgenommen wurden. Das Spektrum reicht von Landschaften über die Dokumentation von Kulthandlungen bis hin zum Leben in den Städten und Reservationen. Einen Schwerpunkt bilden Indianer-Porträts. Die Fotografien sind sowohl fotohistorisch als auch ethnografisch interessant. Bei etwa der Hälfte des Bestands handelt es sich um Negative und Originalabzüge der Fotografen. Diese arbeiteten zwar meist mit dokumentarischem Anspruch, gleichwohl spiegeln ihre Fotografien nicht nur Realität, sondern zugleich stets eine subjektive Wahrnehmung wider. Und so verraten die Indianerbilder mindestens ebenso viel über die Weißen, die hinter der Kamera gestanden haben. Befremdlich erscheinen zum Beispiel die Fotos von Johan A. Jacobsen, der ab 1877 im Auftrag von Carl Hagenbeck als Impressario von "Völkerschauen" durch Europa reiste und deren Teilnehmer - zum Beispiel Oglala-Sioux-Indianer - häufig in "typischen Posen" ablichtete. Völlig anderes und viel natürlicher wirken die Angehörigen derselben Ethnie auf den Fotos von Frederick Wygold, der 1909 in South Dakota Oglala-Sioux besuchte, ethnografische Objekte kaufte und den Alltag in der Reservation fotografierte. Da er bereits mit kürzeren Belichtungszeiten und ohne Stativ arbeitete, begegneten ihm die Indianer viel ungezwungener als auf den gestellten Bildern der Fotografen des 19. Jahrhunderts, die noch auf die großen Stativkameras mit ihren zieharmonikaartig gefalteten Balgen angewiesen waren.

Eines der interessantesten Ausstellungsstücke ist ein spirituelles Langhaus mit den einzigartigen Masken, die von der Nordwestküste Amerikas stammen. David Seven Deers, der das Ensemble gestaltete, bezeichnet das spirituelle Fundament des indianischen Lebens als den Roten Faden, der sich durch das große Panorama der Ausstellung hindurchzieht.

"Das Spirituelle spielt bei den Heilriten eine ebenso große Rolle wie bei der Frage nach der Herkunft der Indianer. Ich bin froh, dass wir in der Ausstellung sowohl die europäisch-amerikanische Forschungsmeinung als auch die indianischen Schöpfungsmythen gleichberechtigt nebeneinanderstellen", sagt der indianische Künstler, der über die konzeptionelle Beratung hinaus auf eine sehr unmittelbare und persönliche Weise zu der Ausstellung beiträgt: Bereits in Kanada, in der von ihm begründeten Sculpture Art Academy, hatte er begonnen, aus schwarzem Basalt die Skulptur des mythischen Raben Heelah zu formen. Das zwei Meter hohe und 1400 Kilogramm schwere Kunstwerk wurde mehr als 8000 Kilometer weit nach Hamburg transportiert und zunächst im Innenhof aufgestellt, wo der Künstler weiter an ihm arbeitete. Die abschließenden Arbeiten wird Seven Deers nach Ausstellungsbeginn vor den Augen des Publikums im Eingangsbereich vornehmen. "Heelah ist mir im Traum erschienen. Und ich bin immer dem Rat meiner Träume gefolgt", sagt der Künstler, der über den Raben spricht wie über ein vertrautes Wesen. "Heelah hat mich gebeten, ihm einen Platz in der Ausstellung zu geben, damit er als Botschafter unserer Kultur und unserer Spiritualität zu den Menschen sprechen kann", sagt Seven Deers.

Wer mehr darüber erfahren will, kann gern mit dem indianischen Künstler ins Gespräch kommen. Während der Laufzeit der Ausstellung wird er Gravuren an Heelah anbringen und den Besuchern zum Gespräch zur Verfügung stehen. Er spricht übrigens hervorragend Deutsch und ist mit europäischen Denkweisen bestens vertraut.


Indianer Nordamerikas - Eine Spurensuche Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64. Eröffnung der Ausstellung am 21.12., 11 Uhr, Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr geöffnet. Infos im Internet unter: www.voelkerkundemuseum.com .