Das Hamburger Abendblatt spricht heute auf einer Sonderbeilage über sich selbst. Menschen sollen sichtbar werden. Hinter den Zeilen und dazwischen.

Das Hamburger Abendblatt spricht heute auf einer Sonderbeilage über sich selbst. Menschen sollen sichtbar werden. Hinter den Zeilen und dazwischen. Das ist ungewöhnlich. Aber die Redaktion ist oft und mit einem gewissen Recht dazu aufgefordert worden. So hat sie es einmal versucht, obwohl sie sich gar nicht so wichtig nimmt.

Das Hamburger Abendblatt hält nicht viel von Programmen und Ideologien. Nicht, solange noch Schutthaufen am Straßenrand liegen. Nicht, solange noch Flüchtlinge verelenden. Nicht, solange das Leben noch von Furcht und Not beherrscht wird. Es hält dagegen viel vom Menschen. Sogar alles! Der einzelne Mensch ist das Zentrum. Bei ihm muß man anfangen. Von ihm muß man ausgehen. Zu ihm muß man sprechen.

Und mit ihm darf man heute einmal - da überall Bilanz gezogen wird - überlegen, was denn sie zusammengeführt hat und zusammenhält: das Hamburger Abendblatt und seine 350 000 Leserfamilien, in dieser Welt voll Angst und Selbstsucht und Rechthaberei. Es sind: eine Parole und eine Politik! Die einfache Politik des Herzens und die Parole: nett zueinander sein! Das war ein neuer Ton. In vollen Akkorden ist er von den Lesern zur Zeitung zurückgekommen.

Freilich - mit zugespitzten Meinungen hat das Hamburger Abendblatt seine Freunde verschont. Aus Respekt und aus Überzeugung. An Kampfparolen ist kein Mangel. Wohl aber an echtem menschlichem Zuspruch. Der hat gefehlt. Nach dreißig Jahren Krieg und Inflation und Diktatur und wieder Krieg sind im Grunde alle Menschen hierzulande überanstrengt und schonungsbedürftig. Sie brauchen Ruhe. Streit und Hader verursachen ihnen geradezu körperliche Schmerzen.

Es kommt aber darauf an, die Menschen zueinander zu führen. Alle sitzen in einem Boot. Wenn alle sich vertragen. Rücksicht nehmen, vernünftig miteinander reden, werden auch dunkle Tage überwunden.

Das ist auch eine Meinung und gewiß nicht die schlechteste. Das Hamburger Abendblatt bringt sie durch seine Haltung zum Ausdruck. Eine Haltung, die aus jeder Zeile spricht. Denn: "Ein bißchen Liebe von Mensch zu Mensch ist mehr wert als alle Liebe zur Menschheit."


Ein ungewöhnliches "Menschlich gesehen" in eigener Sache - erschienen am 31. Dezember 1951