In Hamburg gibt es sowohl ein Frauen- als auch ein Männer-Fokolar. Die Mitglieder leben nach den Prinzipien Armut, Keuschheit und Gehorsam zusammen.

Armut, Keuschheit und Gehorsam, wer lässt sich heute noch freiwillig darauf ein? Eine überraschend fröhliche Runde hat sich in dem gemütlichen Haus des Frauenfokolars in Lohbrügge zusammengefunden, um über ihr Leben in der Fokolar-Bewegung Auskunft zu geben - von Weltfremdheit, von Frömmelei oder Sektierertum keine Spur.

Der Wunsch, nach dem Evangelium zu leben, eint die Menschen der katholischen Laienbewegung. "Ich versuche, die Menschenrechte zu verwirklichen", sagt Karin Windfelder (46). Die Lehrerin lebt seit 25 Jahren im Frauenfokolar.

In Hamburg teilen sich drei Frauen ein gemietetes Haus, sie haben Enthaltsamkeit gelobt, leben in Gütergemeinschaft, haben keinen privaten Besitz, und was von ihren Einkommen übrig bleibt, geht in die weltweite Gütergemeinschaft, die in Rom koordiniert wird. Hier wird Spiritualität geteilt, aber auch ganz normaler Alltag gelebt - der wohl größte Unterschied zu einem beschützten Leben im Orden.

Seit rund zwanzig Jahren gibt es das Fokolar in Hamburg. Zum Frauenfokolar gehören noch sechs verheiratete Fokolarinnen. Im Männerfokolar leben zwei Männer, dazu kommen noch drei verheiratete Fokolare. Rund hundert Personen gehören zu den Freiwilligen, und mehr als dreihundert stehen in Kontakt mit der Bewegung.

Viele unterschiedliche Lebensentwürfe haben Platz in der Fokolar-Bewegung, die sich ökumenisch versteht und gezielt den Dialog mit anderen Religionen und Kulturen sucht. "In unserem Leben versuchen wir das umzusetzen, was uns, trotz unserer Unterschiedlichkeit, schon eint", sagt Jean Moira Brusch (66), eine Freiwillige. "Unsere Wurzeln sind katholisch, aber wir verstehen unter Einheit die Einheit in der Vielfalt."

"Die Fokolar-Bewegung ist wie ein Baum", sagt Physiotherapeutin Felicitas Kloss (43), die im Frauenfokolar lebt. "Das Fokolar ist das Herz, der Stamm, der in die Bewegung hineinwirkt. Die Baumkrone, die Zweige und Früchte, das sind die Freiwilligen, Familien, Priester, Ordensleute, Menschen jeglichen Alters und Couleur, die nicht im Fokolar leben, aber die Spiritualität konkret ins Leben hinaustragen."

Wilfried Brusch (66), einer der Freiwilligen, ergänzt: "Wir leben nicht mehr parallele, getrennte Leben - ein weltliches und ein spirituelles Nebeneinander -, sondern erleben, dass das Wort Gottes uns verbindet."

So unterschiedlich wie die Menschen sind auch die Wege, auf denen sie zur Bewegung gefunden haben. "Bei uns gab es schon in der Familie Kontakte zum Fokolar, ich bin da quasi reingewachsen", sagt Christoph Behr (36), der im Männerfokolar in der Bundesstraße lebt. Andere berichten von prägenden Erlebnissen in der Pubertät, von intensiven Begegnungen auf christlichen Freizeiten. Karin Windfelder ging als Teenager auf Rockfestivals, fuhr Motorrad und hatte mit der Kirche nichts am Hut. Freunde lockten sie zu einem Konzert nach Rom und erzählten ihr erst kurz vor der Ankunft, dass es ein internationales christliches Jugendtreffen sei. Notgedrungen ging sie mit, war fasziniert von den Begegnungen und begriff: "Gott liebt mich, wie ich bin. Ich muss mich nicht ändern."

Warum sie sich für ein Leben im Fokolar und nicht für eine Partnerschaft entschieden hat? "Bis dahin war mein Leben nicht befriedigend. Gott hat es mit Liebe ausgefüllt, und dadurch wurde es für mich authentisch", sagt sie schlicht.

Diese Liebe wollen die Fokolare teilen - im Alltag, in der Gemeinschaft. "Ich behandle Menschen so, wie ich selbst gern behandelt werden möchte", sagt Christina Mucks (27), eine junge Hebamme.

Nicht immer wird die Entscheidung für ein Leben im Fokolar leicht akzeptiert. Der Vorwurf, die Bewegung entfremde junge Menschen ihren Familien und Freunden, wiegt schwer und schürt gerade bei Außenstehenden Ängste. "Für meine Eltern war meine Entscheidung zuerst schwer zu ertragen", sagt Karin Windfelder. "Sie dachten, sie hätten mich an eine Sekte verloren."

Detlev (38) und Anja (37) Dördelmann haben eine kleine Tochter, Eva (5), und sind verheiratete Fokolare. Sie leben als Familie in ihrem Umfeld, sind jedoch in der Berufung des Fokolars verwurzelt. Die Kritik, die Geschlechtertrennung zerstöre Familien, lassen sie nicht gelten. "Manchmal ist man hin- und hergerissen und möchte in beidem leben", sagt Anja Dördelmann. "Und doch erfahre ich immer wieder, dass sich beide Realitäten gegenseitig befruchten, denn das Maß der Liebe, das ich im Fokolar erfahre, das nehme ich mit in meine Familie."