Mit EINSATZ und Fingerspitzen-Gefühl: Tobias Weinowski ist Sanitäter im FSJ. Er will die Arbeit weitermachen.

Bringen Sie Sicherheitsschuhe mit", sagt Tobias Weinowski am Telefon. "Sonst kann ich Sie nicht mitnehmen." Aha.

Die Sicherheitsschuhe entpuppen sich als klobige schwarze Stiefel, feuerfest und mit Stahlkappen geschützt. Sie im Dienst zu tragen ist Vorschrift, wirklich gebraucht werden sie nur selten, zum Beispiel dann, wenn es am Einsatzort brennt. Man weiß schließlich nie, was der Tag bringt - ein Satz, der exemplarisch für Weinowskis Sanitäterjob steht: Es gibt keine festen Termine, Einsätze kündigen sich spontan per Fax oder Notruf an. Sicher ist: Man kommt zum vorgeschriebenen Dienstbeginn in die Wache, tauscht Jeans und Turnschuhe gegen Arbeitskleidung - außer der Sicherheitsschuhe sind das eine weiße Cargohose und ein dunkelblaues Poloshirt mit der Aufschrift "Rettungsdienst" - und parkt acht Stunden später den Rettungswagen auf dem Hinterhof. Und dazwischen? Dazwischen wird man von der Wache ins Krankenhaus, vom Krankenhaus zur Patientenwohnung, von der Patientenwohnung in die Dialysepraxis geschickt. Eine Stunde dauert ein solcher Einsatz im Durchschnitt.

Weinowski ist Rettungssanitäter beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). In zwei Wochen endet sein Freiwilliges Soziales Jahr, aber weil sich der 21-Jährige im Anschluss zum Rettungsassistenten ausbilden lässt, stehen für ihn noch acht Wochen Krankenhauspraktikum, acht Wochen Schule und 320 zusätzliche Stunden im Rettungsdienst an. "Mir macht der Job eben Spaß", sagt Weinowski dazu. "Und mit den Leuten von der Wache komme ich sehr gut klar." Dass es menschlich zwischen den Kollegen stimmt, ist wichtig, schließlich arbeitet man immer im Team: Ein Rettungsassistent mit einem Rettungssanitäter. Weinowski teilt seine Schicht in dieser Woche mit dem 39-jährigen Martin Burkart. "Wenn wir Patienten versorgen, muss das Zusammenspiel einwandfrei funktionieren", sagt Weinowski. Und das tut es: Die beiden verstehen sich wortlos, nie fällt ein Satz wie "Hilfst du mir mal?" Wenn Weinowski eine Patientin im Rollstuhl schiebt, läuft Burkart nebenher und klärt mit der Frau die W-Fragen des ASB: Wie ist der gesundheitliche Zustand? Wer versorgt die Patientin? Wie wird der Transport abgerechnet? "Ein bisschen Bürokratie machen" nennt Weinowski das.

Einer allein könnte den Job kaum machen; schon für den Transport der Patienten braucht es zwei Träger. Kräftige Träger. Weinowski stemmt die hinteren Griffe des Tragestuhls, der rund 18 Kilo wiegt, Müller packt vorne an. "Bitte falten Sie die Hände vor dem Bauch", bittet er die Patientin. "Sie dürfen nicht ins Geländer packen - auch nicht, wenn es ein bisschen schaukelt." Die Patientin ist klein und schmal, wiegt höchstens 50 Kilo, doch selbst dieses Gewicht ist über drei Stockwerke hinweg anstrengend. "Und wenn man einen 90-Kilo-Brocken bis unters Dach tragen muss, platzen einem fast die Oberschenkel. Das ist die Hölle", sagt Weinowski, als er wieder am Steuer sitzt und das AK Altona ansteuert.

In der Ottenser Wache - die beiden anderen Hamburger Dependancen sind in Niendorf und Osdorf - riecht es nach Desinfektionsmittel und Zwiebeln; nach Letzteren wohl nur vorübergehend, denn die Frühschicht hat gekocht. Nudeln mit Spinatsoße. Und weil die Leitzentrale noch keinen Einsatz gemeldet hat, wird um kurz nach drei Uhr erst mal gemeinsam zu Mittag gegessen. Außer der Früh- und Spätschicht sitzen noch jene FSJ-ler am Tisch, die Blutkonserven und Gewebeproben ins Krankenhaus und ins Labor fahren. Die "Blutleute" sagt man hier. Aus dem Flur ertönt ein leises Brummen, die grüne Lampe auf dem Hof flackert dreimal auf. Ungerührt kauen alle weiter, bis Weinowski gemächlich in den Flur schlendert und mit einem Fax aus der Leitzentrale zurückkommt. "Wenn der Notfallmelder piepst, dann springen wir schon auf. Wenn ein Fax kommt, dann müssen wir nur normale Krankentransporte fahren", sagt er. Weil die Sanitäter bei den meisten Einsätzen nicht mit Blaulicht anrücken, passiert es manchmal, dass einige Patienten sie pampig begrüßen: "Na, noch gefrühstückt?" Mit den meisten könne man aber nett reden, sagt Weinowski. Überhaupt, reden: Das muss er in seinem Job ständig. Er plaudert, damit die Patienten Vertrauen fassen, er hört zu und sagt "Na so was!" und "Das ist ja unschön!", wenn die Patienten erzählen, was sie im Krankenhaus erlebt haben. Und er fragt sie ein bisschen aus, um zu erfahren, wie es ihnen gesundheitlich geht. "Wir müssen uns absichern, dass der Patient überhaupt transportfähig ist und kein Notarzt gebraucht wird", erklärt er. Das alles ist für Weinowski und Burkart längst Routine, für die meisten Patienten ist es das nicht. Deshalb reißt man sich jeden Tag aufs Neue zusammen, findet auch bei der hundertsten Krankheitsgeschichte ein nettes Lächeln und hält Händchen, wo es sein muss.

Zu einigen Patienten haben die Sanitäter einen engeren Kontakt. Meist zu denen, die sie regelmäßig dreimal in der Woche zur Dialyse fahren und wieder abholen. Oder das eben nicht mehr tun müssen. "Wie uns heute mitgeteilt wurde, ist unser langjähriger Dauerpatient heute Nacht verstorben. Dies nur zu Ihrer Kenntnis", steht auf einem Fax, das an diesem Nachmittag in die Wache geschickt wird. Weinowski liest es, fährt sich durch seine rötlichen Stoppelhaare und schweigt drei, vier Sekunden lang. "Hätte ich nicht gedacht", sagt er dann. "Bei einigen denkt man, dass sie den Transport nicht überstehen, und die leben dann noch Jahre. Und bei anderen passiert es doch unerwartet." Auch im Umgang mit dem Tod hat er eine gewisse Routine entwickelt. "Es funktioniert nicht, wenn man mit jedem mitweint. Dann wird man depressiv in diesem Job." Einige Erlebnisse bleiben trotzdem im Gedächtnis, dagegen kann man nichts tun. Eine missglückte Reanimation zum Beispiel. "Der Patient hatte kaum Überlebenschancen, wir haben alles versucht, aber irgendwann die Wiederbelebung leider abgebrochen. Wenn man die Nulllinie auf dem EKG sieht, ist das schon heftig", erzählt Weinowski. Da hilft es, wenn man Kollegen hat, mit denen man über das Erlebte sprechen kann. Denen Ähnliches passiert ist und die wissen, das einen so was eine Weile nicht loslässt.

Und wie hat der Job ihn verändert? Weinowski überlegt. "Ich möchte niemals alt und gebrechlich werden", sagt er am späten Abend dann und stellt den Motor aus. So würde ich nicht leben wollen, habe er während der vergangenen Monate beim Anblick vieler Patienten gedacht. "Ich habe eine krasse Einstellung zu Alter und Krankheit entwickelt." Er sagt das nicht resigniert, eher sachlich und lacht gleich schon wieder. "Wir machen Feierabend", gibt er um 23 Uhr über Funk an die Leitstelle durch. Feierabend, das heißt: den Krankenhausgeruch abduschen und später ein Bier trinken gehen - und den Kopf frei bekommen, um sich am Montag wieder einsatzbereit zu melden.