Kairo. Der Rosetta-Stein ist der Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen. Heute steht er im British Museum. Doch er ist ein Politikum.

Nein, Napoleon schoss nicht mit Kanonen auf die berühmten Pyramiden von Gizeh, auch wenn das im aktuellen Ridley-Scott-Film über den französischen Feldherren und Kaiser so zu sehen ist. Die „Schlacht bei den Pyramiden“ zwischen Franzosen und Mamluken fand, anders als der Name vermuten lässt, viel zu weit weg von den altägyptischen Meisterwerken der Baukunst statt. Dafür spielte Napoleons Ägyptenfeldzug auf ganz andere Weise eine einschlägige Rolle für die Ägyptologie.

Einer seiner Soldaten stieß nämlich auf den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen: den Rosetta-Stein. Heute ist er das meistbesuchte Objekt im British Museum in London. Doch aus Ägypten kommen immer wieder Forderungen, den bedeutenden Stein zurückzuholen.

Und zwar von einer der schillerndsten Figuren der Ägyptologie: Zahi Hawass, der schon als „Indiana Jones der Ägyptologie“ und wegen seines umstrittenen Charakters als „der Pharao“ betitelt wurde. Der Netflix-Star sieht nicht ein, warum das bedeutsame Fundstück in London stehen sollte. „Aus dem British Museum wurden 2000 Artefakte gestohlen. Wie kann ich darauf vertrauen, dass der Rosetta-Stein als Ikone der ägyptischen Identität dort sicher ist?“, sagte Hawass im Gespräch mit unserer Redaktion.

Rosetta-Stein: Erster Schlüssel zu den Hieroglyphen

Als „Ikone der ägyptischen Identität“ wirkt der Rosetta-Stein im Vergleich zur Totenmaske des Tutenchamun oder der Büste der Nofretete erstmal unscheinbar. Er ist das Bruchstück einer Stele aus dunklem granitähnlichem Gestein und komplett mit einer Inschrift überzogen. Doch seine Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. „Ohne den Rosetta-Stein würden wir heute Hieroglyphen als seltsame Symbole betrachten und interpretieren, ohne sie zu verstehen“, so die renommierte Ägyptologin Salima Ikram von der American University in Kairo.

Der Rosetta-Stein im British Museum in London.
Der Rosetta-Stein im British Museum in London. © © Hans Hillewaert | Hans Hillewaert

Auf der Stele ist derselbe Text, ein priesterliches Dekret, gleich dreimal eingraviert: in Hieroglyphen, auf Demotisch und auf Altgriechisch. Hieroglyphen benutzten zu diesem Zeitpunkt – 196 v. Chr. – nur noch die Priester, Demotisch war die Schrift des Volkes und Griechisch war, seit der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen im Jahr 332 v. Chr., die Sprache der Herrscher. Diese Dreisprachigkeit erlaubte es dem französischen Sprachwissenschaftler Jean-François Champollion 1822 erstmals, das hieroglyphische Alphabet zu entschlüsseln.

Von Napoleons Armee ins British Museum?

Dafür musste der Stein aber erstmal wieder entdeckt werden. Die Osmanen verbauten ihn in der Wand einer Festung im heutigen Raschid, wo der Nil östlich von Alexandria ins Mittelmeer mündet. Die Franzosen nahmen diese 1799 ein, etwa ein Jahr nachdem sie in Ägypten gelandet waren. Dabei stieß der französische Offizier Pierre-François Bouchard auf die Stele und erkannte vor allem ihre Bedeutung.

Nachdem die Briten die Franzosen 1801 in Ägypten besiegt hatten, ging der Rosetta-Stein mit einer Reihe anderer antiker Objekte in deren Besitz über. Seit 1802 wird er im British Museum in London ausgestellt – mit nur einer Unterbrechung zum Ende des Ersten Weltkriegs, so das Museum.

Der Rosetta-Stein war nicht der einzige seiner Art. „Wir haben eine intakte Stele mit Hieroglyphen und Griechisch im Ägyptischen Museum in Kairo, aber klar wäre es schön, das ikonische Objekt in Ägypten zu haben“, so Ägyptologin Ikram, „auf der anderen Seite gibt es hier so viele Objekte, dass der Rosetta-Stein vielleicht sogar ein bisschen verloren wäre. An seinem aktuellen Ort im British Museum ist er ein Botschafter Ägyptens und eine Mahnung an den Kolonialismus, daran, was man nicht tun sollte“.

Ägyptologie-Star Hawass: „Museen praktizieren Imperialismus“

„Museen praktizieren heute noch Imperialismus“, sagt dagegen Zahi Hawass. „All unsere Denkmäler stehen in Museen, die bis heute Diebesgut kaufen“, klagt der Ägyptologe an. Unrecht hat er damit nicht, erst 2019 gab das New Yorker Metropolitan Museum (MET) einen vergoldeten Sarkophag an Ägypten zurück, der 2011 ausgegraben und über Dubai, Deutschland und Paris geschmuggelt wurde, bevor das MET ihn inklusive gefälschter Unterlagen kaufte.

Eine formale Anfrage der ägyptischen Regierung, den Rosetta-Stein zurückzuführen, habe man allerdings bis heute nicht erhalten, sagt ein Sprecher des British Museum auf Anfrage. „Wir pflegen eine langjährige Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Ministerium für Altertümer.“

Archäologie auf Netflix: Nur Sensationshascherei?

Hawass bekleidete 2011 selbst für wenige Wochen das Amt des Ministers für Altertümer. Noch vom damaligen Präsidenten Hosni Mubarak ernannt, wurde Hawass bei der nächsten Regierungsbildung nach der Revolution nicht erneut mit dem Posten bedacht. Auf die Revolution bezieht sich der 76-Jährige immer nur mit „die Probleme, die wir 2011 hatten“ und nennt sie als Grund, warum sich die Eröffnung des Grand Egyptian Museum um über 20 Jahre verzögert haben soll.

Heute verdient Hawass sein Geld mit Filmproduktionen für Netflix und National Geographic, die Kritiker als sensationalistisch bezeichnen. Dennoch finanziert er so seine Ausgrabungen und macht immer wieder wichtige Funde. Auch ohne offiziellen Posten komme man in der Archäologie in Ägypten nicht an ihm vorbei, heißt es aus seinem Umfeld.

Sensationelles ist an dem Ort, an dem einst ein französischer Offizier den Stein von Rosetta fand, heute nichts mehr. Die genaue Stelle, an der der Stein verbaut war, ist nicht bekannt. Raschid befindet sich abseits der gängigen Touristenhighlights und Nilkreuzfahrt-Routen. Und dennoch liegt hier die Geburt der Ägyptologie, wie wir sie kennen.

Zahi Hawass: Der Star-Ägyptologe würde den Rosetta-Stein lieber wieder zurück in Ägypten sehen.
Zahi Hawass: Der Star-Ägyptologe würde den Rosetta-Stein lieber wieder zurück in Ägypten sehen. © ZRB | Khaled Elfiqi

Napoleons Beitrag zur Ägyptologie

Napoleon habe mit seiner „Description d‘Égypte“, seiner Beschreibung Ägyptens, ein Bewusstsein für die Altertümer und die Kultur der alten Ägypter geschaffen, so Ikram, während die Osmanen die wertvollen Objekte als Baumaterial genutzt hätten. Anders sei es bei der Nofretete. „Es gibt eine wissenschaftliche Debatte darüber, wie sie Ägypten verlassen hat. Es ist wahrscheinlich, dass das kein legitimer Export war.“

Neben dem Rosetta-Stein und der Nofretete ist noch der Tierkreis von Dendera, ausgestellt im Pariser Louvre, eines der Herzstücke ägyptischer Altertümer im Ausland. Hawass scheint es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, diese Objekte nach Ägypten zurückzuholen. „Ich werde nie aufhören, danach zu fragen“, sagt er.

Zum aktuellen Napoleon-Film mit Hauptdarsteller Joaquin Phoenix hat Hawass auch eine klare Meinung. Zwar sei der ein Spielfilm und könne daher machen, was er wolle, historisch sei er aber völlig falsch. „Napoleon war an den ägyptischen Denkmälern gelegen“, sagt Hawass, „er hätte seinen Soldaten nie erlaubt, auf die Nase der Sphinx zu schießen.“ Dass deren Nase schon viel früher fehlte, ist tatsächlich bereits aus älteren historischen Quellen belegt.