Berlin. Jeder Vierte fühlt sich einsam, bei Depressiven gar jeder Zweite. Das zeigt das Deutschland-Barometer Depression – und nennt Gründe.

Jeder vierte Bundesbürger in Deutschland fühlt sich sehr einsam – bei Menschen mit Depression verdoppelt sich die Zahl. Das geht aus einer bundesweiten repräsentativen Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention hervor, die in Berlin vorgestellt wurde. Die Gründe dafür sehen die Forschenden im krankheitsbedingten sozialen Rückzug.

Auffällig: Das Gefühl der Einsamkeit ist laut dem 7. Deutschland-Barometer Depression oft auch unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte. Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der erwachsenen Bevölkerung. Dafür wurden im September 2023 knapp 5200 Personen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren befragt.

Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, spricht von „objektiver und subjektiver Einsamkeit“. Er betont, dass ältere Menschen sich den Studienergebnissen zufolge trotz geringerer Sozialkontakte weniger häufig einsam fühlten als jüngere Menschen. Gleichzeitig räumt er ein, dass die Studie keine Aussage über die Qualität der Sozialkontakte zulasse.

Depression: Sozialer Rückzug durch Kraftlosigkeit und Erschöpfung

Die Gründe dafür, dass sich selbst Betroffene mit zahlreichen Sozialkontakten völlig isoliert fühlen, scheinen jedoch ohnehin deutlich tiefer zu liegen. Auch das zeigt die Studie. Immerhin berichtet mit 84 Prozent ein Großteil der Erkrankten, sich in der Depression wie abgetrennt von der Umwelt zu fühlen.

Sogar im Kreise der Familie oder Freunde fühlten sich viele Menschen in der depressiven Krankheitsphase isoliert „wie hinter einer Milchglasscheibe und können bei schweren Depressionen keine Liebe oder Verbundenheit empfinden“, erklärt Hegerl, der auch das Deutsche Bündnis gegen Depression leitet.

Hinzukommt der soziale Rückzug, über den gut 80 Prozent der betroffenen Befragten berichten. Als Gründe dafür werden an erster Stelle Kraftlosigkeit und Erschöpfung genannt, gefolgt von Sehnsucht nach Ruhe und dem Gefühl, eine Belastung für andere zu sein.

Das Gefühl der Einsamkeit besteht laut einer Studie oft auch unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte.
Das Gefühl der Einsamkeit besteht laut einer Studie oft auch unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte. © iStock | Edwin Tan

Gerade der letzte Punkt läge auch darin begründet, dass Menschen mit Depression oft sehr hilfsbereite, verantwortungsvolle und leistungsorientierte Typen seien, erklärt der Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Es sei sehr bewegend zu wissen, dass sich Betroffene zurückziehen, um andere zu schonen – nicht an sich selbst denken, sondern an die Familie und das Umfeld.

Einsamkeit „noch kein Grund für Alarmismus“

Menschen mit Depression empfiehlt Hegerl, sich beim Hausarzt, Psychiater oder Psychologischen Psychotherapeuten behandeln zu lassen. Nach dem Abklingen der Depression käme auch wieder Lust und Energie, um soziale Kontakte zu pflegen.

Grundsätzlich sei ein Gefühl von Einsamkeit aber „noch kein Grund für Alarmismus“, so Hegerl mit Blick auf die Studie. „Sich auch mal einsam zu fühlen, gehört zum Menschsein dazu.“ Nicht immer stecke eine Depression dahinter – insbesondere, wenn das Gefühl nur vorübergehend sei.

Insgesamt haben 86 Prozent aller Befragten das Gefühl, dass heute mehr Menschen einsam sind als vor zehn Jahren. Genaue Gründe dafür konnten nicht genannt werden. Möglich sei, so der Experte, dass hier auch die grundsätzlich höhere Sensibilität für das eigene Gefühlsleben und die eigene Gesundheit eine Rolle spiele.