Fälle von Depression und Erschöpfung nehmen zu. Experten sagen, wie man frühzeitig gegensteuert und so zur eigenen Mitte zurück findet.

Die acht Teilnehmer des Seminars "Zurück zur Mitte - Leben in Balance" stehen im Kreis, jeder auf einem Bein. Es geht bei dieser Übung um die Fragen: Wie ist es, nur noch eine "Säule" zu haben? Wie fühlt sich ein fester, sicherer Stand an? Bin ich gut aufgestellt?

Die Seminarleiterin stellt bereits in dieser kleinen Übung bei den Teilnehmern eine enorme Leistungsorientierung fest. "Selbst bei unangenehmer Wahrnehmung oder Schmerzen geben sich einige nicht die innere Erlaubnis, die Übung zu beenden." Zu Stefanie Althans kommen Menschen, die sich vom Alltag, von den Anforderungen in Beruf und Familie unter Druck, gehetzt und überfordert fühlen. "Oft sind es Menschen, die im Beruf nahezu perfektionistisch unglaublich viel leisten und in ihrem Umfeld hilfsbereit, versorgend und unterstützend wirken. Für sich selbst finden sie dagegen kaum eine ruhige Minute", sagt die Trainerin, die als NLP-Master, Sozialpädagogin und Theatertherapeutin arbeitet. Ihre Grundannahme lautet: Erschöpfung entsteht, wenn wir mehr an Kraft und Energie geben, als wir uns durch Entspannung, nährende Kontakte und positive Erfahrungen zuführen. Althans: "Viele Menschen nehmen Erwartungen und Forderungen von außen sehr stark wahr und versuchen, diesen hundertprozentig gerecht zu werden - erst dann gibt es die innere Erlaubnis, sich um sich selbst zu kümmern und zu entspannen. So geraten sie aus dem inneren Gleichgewicht." Häufig sei dies der Anfang eines Teufelskreises bis zu Erschöpfung.

Die Zahl derer, die wegen psychischer Krankheiten eine berufliche Pause einlegen müssen, nimmt zu. Laut AOK-Statistik wurden im vergangenen Jahr bundesweit rund 100 000 Menschen mit Burn-out-Symptomen behandelt. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa fühlen sich acht von zehn Arbeitnehmer vom zunehmenden Druck an ihrem Arbeitsplatz belastet.

Als Kernproblem neben übersteigertem Erfolgsdruck bezeichnet der Coach Dirk-Oliver Lange vermindertes Selbstwertgefühl. In seinen Coachings gehe es deshalb um Bewusstseinserweiterung. So sollen sich seine Klienten bis zu 20 Minuten auf ihren Kaffee konzentrieren. Oder auf ihrem Weg zur Arbeit eine Bushaltestelle früher aussteigen. Damit werde der herkömmliche Weg neu entdeckt. "Es geht darum, sich selbst bewusster wahrzunehmen und zu verinnerlichen, dass ich der wichtigste Mensch bin, um in der Folge positive Gewohnheiten zu schaffen", sagt Lange, der seit zehn Jahren Menschen mit Ängsten, Burn-out und Erschöpfungssyndrom betreut. So sei es ein schlechte Gewohnheit, täglich zu spät aufzustehen und ohne Frühstück das Haus zu verlassen. "Bin ich mir so wenig wert?", fragt Lange.

Um unseren Bedürfnissen gerecht werden zu können und unser Leben kreativ, selbstbestimmt zu leben, müssen wir mit unseren Wahrnehmungen und Emotionen in Kontakt kommen. Zwar wisse der Verstand schon genau, dass wir uns mehr bewegen, mehr entspannen und öfter mal Nein sagen sollten. Diese Erkenntnisse reichen jedoch oft nicht aus, wenn die alten Muster im Denken, Fühlen und Handeln schon viele Jahre funktioniert haben.

So erhalten die Teilnehmer in Stefanie Althans' Seminar durch die praktischen Übungen Informationen und Impulse, um etwas verändern zu können. "Es wird erlebbar, warum es so schwer ist, Grenzen zu setzen, zu uns selbst fürsorglich zu sein oder andere um Hilfe zu bitten", sagt die Trainerin. Bezeichnend nach der Gleichgewichtsübung sei gewesen, dass die Ansage, es sich danach gut gehen zu lassen, kaum gehört wurde. Keiner der Teilnehmer setzte oder legte sich hin. Diejenigen, die zuletzt noch standen, berichteten sogar, dass sie gar nicht aus der Übung aussteigen konnten, weil sie sich selbst keinen Endpunkt setzen konnten. Althans: "Sie hätten eine Anweisung von mir gebraucht, um aufhören zu dürfen."

Wichtig sei bei Lebensfragen immer der Grundsatz: Das Was kommt vor dem Wie - das Ziel müsse vor Erreichen klar definiert werden, um zum Wie zu kommen. Ebenso rät der Coach bei Problemen am Arbeitsplatz: Fragen Sie sich nicht, ob Sie Ihrer Ziele würdig sind, sondern: Sind meine Ziele meiner würdig? So sei der Gedanke "Hoffentlich genüge ich den Anforderungen auf diesem Arbeitsplatz" negativ für das Unterbewusstsein und dränge in die Opferrolle. "Es könnte doch auch sein, dass die Ziele sogar zu klein sind", gibt Lange zu bedenken. In seinen Einzel-Trainings, die etwa drei Monate dauern, lernen die Teilnehmer innere Denk-Blockaden zu überwinden. "Bei jeder bewussten Entscheidung bildet sich ein neuronales Netzwerk", sagt Lange. Zu seinen Lehren gehört der Leitsatz: Es gibt nur zwei Möglichkeiten - entweder bestimmt mich die Situation oder ich bestimme sie.

Das gelte ebenfalls für Angst. "Wir können auch Angst ablernen", sagt der Coach. Angst sei eine Gewohnheit, die wir zugelassen haben, "eingeengtes Bewusstsein", das starr mache und so Entscheidungen blockiere. "Auch Sorgen sind negative Gedanken, die um die Zukunft kreisen. Wenn ich diese in Vorsorge umwandle, treffe ich eine bewusste Entscheidung."

Einen anderen Beitrag zum inneren Gleichgewicht leistet eine dankbare Geisteshaltung. Untersuchungen belegen, dass dankbare Menschen zufriedener sind. So notierten Versuchspersonen, wofür sie täglich dankbar sind. Der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen empfiehlt, ein sogenanntes Glückstagebuch zu führen. "Damit können wir uns die guten Dinge bewusster machen", sagt die Psychologin Eva Wlodarek. "Das Positive am Tag verflüchtigt sich schnell. Erst beim Aufschreiben wird mit bewusst, wie viel Schönes mir tatsächlich begegnet ist."

Nach der Theorie der Work-Life-Balance müssen vier Lebensbereiche miteinander harmonieren, um das innere Gleichgewicht zu gewährleisten: Unser Leben muss in den zentralen Bereichen Beruf und finanzieller Erfolg, Freunde und Familie, Körper und Fitness in Balance sein; ebenso Lebenssinn und persönliche Visionen. Dirk-Oliver Lange hat für seinen Coaching-Ansatz das Vier-Säulen-Programm entwickelt, das aus Life Balance, Bewegung, Ernährung und Entspannung besteht. "Das Wechselspiel dieser Kräfte ist im Prinzip zugleich ein Appell an die Langsamkeit", sagt Lange. So stehe im Mittelpunkt seines Coachings, sich auf das Wesentliche im Hier und Jetzt zu konzentrieren. "Nur etwa fünf bis zehn Prozent unserer Gedanken betreffen jedoch die Gegenwart. Die meiste Zeit grübeln wir über Vergangenes, das wir nicht mehr ändern können." Zum bewussten Leben im Jetzt gehöre, eine Mahlzeit zu genießen, ohne dabei fernzusehen oder E-Mails zu beantworten.

Nach ihrem Erholungsverhalten befragte das Psychologische Institut der Sporthochschule Köln 5000 Frauen und Männer. Fast 75 Prozent entspannen nach der Arbeit nicht ausreichend. Der notwendige Ausgleich scheitert an fehlender Zeit und Planung.

Dieser Ausgleich ist jedoch lebensnotwendig und kein Luxus, sagt Institutsleiter Professor Henning Allmer. Der Mensch brauche einen steten Wechsel und eine Balance aus Aktivität und Ruhe. Überaktivität töte Kreativität. Nur Ruhe dagegen mache schwerfällig und träge. Der wöchentliche Ruhetag sei ein wesentlicher Schlüssel zu einem Leben in Gelassenheit.