Berlin. Drei Monate nach dem Auftreten der Vogelgrippe grassiert ein weiterer Erregertyp unter Geflügelbeständen. Warum handelt es sich genau?

Die Keulung von 30.000 Hühnern dauert nur eine Nacht. Mitarbeiter einer Spezialfirma töten die Tiere durch Stromschläge: Die Vogelgrippe grassiert. Knapp drei Monate nach dem ersten Auftreten sehen die Forscher keine Anzeichen für ein Abklingen. Im Gegenteil: Mit dem Virustyp H5N5 gibt es jetzt einen weiteren gefährlichen Erreger – vor wenigen Tagen wurde er erstmals in einem Hausgeflügelbestand in Schleswig-Holstein festgestellt. Der Subtyp soll sich ähnlich aggressiv ausbreiten wie H5N8.

Insgesamt 200 Ausbrüche der Vogelgrippe registriert das Tierseucheninformationszentrum des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) derzeit bundesweit. Betroffen sind 15 Bundesländer, 23 europäische Staaten sowie drei Kontinente – Tendenz steigend. Mehr als 300.000 gehaltene Puten, Hühner und Enten fielen der Notschlachtung bisher zum Opfer.

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    Warum gibt es einen neuen Erreger?

    Neben dem hochansteckenden Erreger H5N8, der im November erstmals in Deutschland nachgewiesen wurde, ist inzwischen mit H5N5 ein zweiter gefährlicher Vogelgrippeerreger aufgetaucht. Den Erkenntnissen zufolge zirkuliert der H5N5-Erreger seit Mitte Dezember 2016 unter Wildvögeln. So sei der Erreger bei einem Schwan in Leipzig, einer Nonnengans in Schleswig-Holstein und einer Graugans in Niedersachsen nachgewiesen worden. Auch andere europäische Länder wie die Niederlande und mehrere Balkanstaaten hätten Nachweise von H5N5 gemeldet. Bei der neuen Variante handle es sich wahrscheinlich um ein Mischvirus auf der Basis von H5N8, wie der Biologe Prof. Thomas Mettenleiter vom Friedrich-Löffler-Institut erklärt. „Influenza-Viren sind generell sehr veränderbar, das ist Teil ihrer Überlebensstrategie.“

    Demnach entstehen Mischviren, wenn ein Tier zeitgleich von Viren zweier verschiedener Subtypen infiziert ist, diese ihr Erbmaterial austauschen. Der H5N5 scheine genauso krank zu machen wie der H5N8, so Mettenleiter. Die Forscher des Friedrich-Löffler-Instituts versuchen nun, in Infektionsversuchen mehr über das Mutantenvirus herauszufinden.

    Wie werden H5N8 und H5N5 übertragen?

    Vögel scheiden das Vogelgrippevirus mit dem Kot aus und übertragen die Krankheit so auf andere Vögel. Wildvögel können den Erreger über weite Strecken weitertragen. Nach Einschätzung des Friedrich-Löffler-Instituts wird die Seuche vor allem durch Zugvögel verursacht. „Da es sich hier um ein Infektionsgeschehen im Wildvogelbereich handelt, sind Regionen, die in Einzugsgebieten von Zugvögeln liegen, besonders betroffen“, sagt Mettenleiter.

    Tierschützer sind anderer Meinung: Der Naturschutzbund (Nabu) hält es für „sehr wahrscheinlich“, dass das Virus über internationale Warenströme der Geflügelwirtschaft eingeschleppt worden ist – insbesondere weil einige der betroffenen Haltungen offensichtlich Handelsbeziehungen auch nach Süd­korea pflegen.

    Auch das von Züchtern ins Leben gerufene Bündnis Vogelfrei glaubt, dass sich das Virus vor allem durch Tiertransporte und Dünger aus tierischen Abfällen weltweit verbreitet – und so auch Wildvögel ansteckt. Nabu-Chef Leif Miller wirft dem Friedrich-Löffler-Institut „Scheuklappen-Mentalität“ vor und fordert genauere Untersuchungen der Geflügelindustrie. „Andernfalls werde die Chance verspielt, zukünftigen Ausbrüchen einen Riegel vorzuschieben“, sagt Miller.

    Welche Gefahr besteht für den Menschen?

    Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind Infektionen von Menschen mit dem Influenzavirus H5N8 und des Subtyps H5N5 bisher nicht beobachtet worden. Dies könne aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Infektionen mit dem schon vor einigen Jahren aufgetauchten Influenza-Typ H5N1 sind indes in verschiedenen Ländern Asiens, Afrikas und im Nahen Osten aufgetreten. Mehr als die Hälfte der 800 erkrankten Menschen starb. Die meisten Erkrankten hatten engen Kontakt zu dem infizierten Geflügel, hatten verunreinigte Staubpartikel eingeatmet oder hatten sich nach dem Anfassen nicht ausreichend die Hände gewaschen.

    Im April 2013 hat die Weltgesundheitsorganisation erstmals über Vogel­grippe-Fälle aus China berichtet, die durch ein neues Virus verursacht worden sind. Mit diesem H7N9 haben sich insgesamt rund 600 Menschen infiziert, die meisten davon in China. Bei etwa jedem fünften Erkrankten verlief die Erkrankung tödlich. Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts können diese Viren vermutlich leichter auf Menschen überspringen als die H5N1-Viren.

    Außerdem können manche Erreger über rohe Eier oder verseuchtes, rohes Geflügelfleisch verbreitet werden. Da das Virus aber beim Durchgaren zerstört wird, gilt eine Ansteckung über das Essen als unwahrscheinlich. Aufgrund der Schutzmaßnahmen gehen die Behörden zudem nicht davon aus, dass infizierte Produkte in den Handel geraten.

    Was bedeutet die Keulung für die Geflügelwirtschaft?

    Bei einer Notschlachtung zahlt in der Regel die Tierseuchenkasse – sowohl für Tierwert, Räumung und Leerstand. Betroffene Betriebe berichten allerdings, dass nicht alle Kosten immer vollständig gedeckt werden.

    Unterdessen fordern Tierschützer von den Behörden, die gesunden Tiere leben zu lassen. Im rheinischen Wörth konnten Züchter eine angeordnete Keulung von 500 Vögeln per Gerichtsbeschluss stoppen. Genaue Tests zeigten dann: Die kranken Tiere haben eine weniger ansteckende Vogelgrippe als das berüchtigte H5N8. Für sie reicht vorerst Quarantäne statt Tod für alle, entschieden die Richter. Das soll kein Einzelfall bleiben. „Wörth war möglich, weil wir uns gewehrt haben“, sagt Mathias Güthe vom Aktionsbündnis Vogelfrei. Die Mitglieder sind vor allem kleine Züchter, deren Tiere eigentlich draußen leben und die „nicht mehr bereit sind, die sinnlosen Massentötungen hinzunehmen“. (epd)