Weine von den Ufern der Gironde sind für Händler und Kunden zum Problem geworden. Als Lösung entpuppt sich der „Cru Bourgeois“.

Manchmal muss es eben ein Bordeaux sein. Vor allem dann, wenn es festlich wird oder wenn man auch nur mal allein für sich ein gutes Glas Wein in Ruhe genießen möchte; einen schweren Rotwein mit hohem Tanningehalt, der häufig kräftige Ecken und Kanten hat und selbst für so manchen passionierten Weinkenner nicht immer einfach zu konsumieren ist. Und bevor ein solcher Bordeaux überhaupt erst geöffnet, vermutlich auch dekantiert und dann in ein ordentliches Weinglas eingeschenkt wird, muss man ihn ja überhaupt erst mal kaufen, doch schon damit beginnen die Probleme.

Viele Konsumenten fühlen sich von der Fülle der verschiedenen Jahrgänge und Lagen schlicht überfordert, und das betrifft ebenfalls nicht wenige Weinhändler und Weinimporteure, die lieber gleich die Finger von diesem südwestfranzösischen Anbaugebiet lassen. Denn die meisten Bordeaux sind alles andere als mainstreamtauglich. Sie sind eine Weinwissenschaft für sich.

Man könnte aber auch sagen: Diese Cuveés, die in den vielen berühmten Châteaus links und rechts der Gironde produziert werden, leiden seit Jahren unter einem mächtigen Imageproblem. Das allerdings ist hausgemacht.

Neu-Millionäre bezahlen pro Flasche lächelnd 2000 Euro

Denn zum einen mutierten die meisten dieser großen Weine seit Mitte der 90er-Jahre zu reinen Spekulationsobjekten, mit denen findige Anleger ex­trem hohe Renditen erzielen konnten (und dies bis heute immer noch tun), was zur Folge hat, dass zurzeit immer noch beinahe 90 Prozent der Lafites, Pomerols, Pauillacs, St.-Émilions und wie sie alle heißen nach Asien, teilweise auch nach Russland und in die USA exportiert werden; dorthin, wo es die meisten der neuen Millionäre und Milliardäre gibt, die auch schon mal 2000 Euro und manchmal noch viel mehr für eine einzige Flasche Bordeaux lächelnd bezahlen. Zum anderen verkostet stets ein undurchschaubares Netzwerk aus Weinautoren und -journalisten, Winzern und einigen wenigen ausgesuchten Privatleuten – zumeist zahlungskräftigen Weinsammlern – alljährlich den noch jungen Wein und bewertet dann die Qualität des jeweiligen Jahrgangs.

In diesem Zusammenhang fällt ein Name besonders häufig: Dabei handelt es sich um Robert Parker, einen amerikanischen Weinkritiker, der vor 30 Jahre ein numerisches Bewertungssystem für Wein erfunden hat, das heute den wohl größten Einfluss auf die Weinwirtschaft nimmt. Es prägt das Verhalten der Konsumenten entscheidend, was wiederum viele Winzer dazu veranlasste, Weine zu produzieren, die möglichst 90 bis 100 Punkte (die Höchstnote) erzielen konnten. Dabei handelte es sich in erster Linie um „dichte“, sehr fruchtige und opulente Rotweine, was jedoch vor allem den Geschmacksvorstellungen des Kritikers und seiner großen Anhängerschaft entgegenkam – und den wahnwitzigen Hype um die Bordeauxweine erst recht entfachte.

Der Handel, die Gastronomie – letztlich also die Kunden – müssen sich, ob sie wollen oder nicht, auf diese Bewertungen verlassen und ihre Bestellungen zum sogenannten Subskriptionspreis bereits zwei Jahre vor der eigentlichen Auslieferung der Ware abschließen. Salopp ausgedrückt: Man kauft die Katze im Sack (oder den Wein im Fass). „Da wird leider auch so mancher Wein – aus welchen Gründen auch immer – regelrecht hochgejubelt, sogar dann, wenn er es vielleicht gar nicht verdient hat“, sagt René Baumgart, Sommelier beim Hamburger Weinimporteur Johannes Kemnitz. „Darüber hinaus empfindet der normale Weinliebhaber den Bordeaux inzwischen häufig als zu überteuert.“ Kein Wunder, liegt doch der Durchschnittspreis, den Kunden in Deutschland für eine Flasche Wein zu bezahlen bereit sind, bei knapp unter drei Euro. „Dafür bekommen Sie natürlich keinen Bordeaux“, sagt Baumgart.

„Ein Cru Bourgeois ist der perfekte Einsteigerwein“

Seit einigen Jahren versuchen nun viele kleinere Winzer im Bordelais beziehungsweise Médoc, ihren Cuveés wieder mehr Charakter zu verleihen, indem sie sich auf ihre Tradition besinnen und einen gesunden Bezug zu ihren Böden, der Natur und zum Wesen ihrer Weine wiederherstellen. „Es geht diesen Weinproduzenten natürlich darum, neue, besonders jüngere Kunden zu gewinnen und sich so dem Druck der zumeist weicheren und süffigeren Rotweine aus Übersee entgegenzustemmen“, sagt René Baumgart, „die jüngeren Kunden wollen heute jedoch vor allem naturbelassene Weine trinken, die aus biologischem Anbau stammen.“

Dieses Herstellungskonzept – das gleichzeitig auch als hervorragendes Marketingkonzept funktioniert – trägt mittlerweile tatsächlich die ersten Früchte. Das ist hauptsächlich dem „Cru Bourgeois“ zu verdanken, dem „bürgerlichen Gewächs“, das zwar in der Hierarchie der strengen Qualitätskategorien hinter den „Grand Cru Classé“ eingeordnet ist, doch in puncto Geschmack sowie Preis-Leistungs-Verhältnis so manchem berühmten Château inzwischen praktisch in nichts nachsteht. „Ein Cru Bourgeois ist sicherlich der perfekte Einsteigerwein, wenn man sich dem Bordeaux annähern möchte“, sagt René Baumgart.

Fest steht, dass die Weinproduzenten dieser „kleinen Brüder des großen Bordeaux“ um perfekte Produktionsmethoden und eine gute Qualität ihres Weins sehr bestrebt sind. Und da bereits seit dem Jahr 1855 kein einziges Weingut im Bordeaux mehr die Auszeichnung „Crus Classés“ erhalten hat, gibt es heute nicht selten Überschneidungen zwischen diesen Qualitätssiegeln. So kann es passieren, dass ein sehr guter Cru Bourgeois besser ist und schmeckt als ein Wein eines Grand Cru Classé, der von einem berühmten Château stammt, das sich aber nicht mehr so viel Mühe mehr gibt und stattdessen auf seinen zugkräftigen Namen baut. Was man wohl auch als „arrogant“ bezeichnen darf.