Bochum. Manchen Kindern fällt es schwer, sich von den Eltern zu lösen – etwa wenn sie in die Kita gehen. Eine Therapie kann helfen.

Wenn der einjährige Levin sich immer wieder ängstlich zu seinen Eltern dreht und auf dem Arm der Tante wie wild schreit, steckt er wahrscheinlich in der Fremdelphase. Meist fremdeln etwa ein- bis etwa zweijährige Kleinkinder besonders stark. Diese Phase ist in der Entwicklung völlig normal und legt sich von ganz alleine. Aber was, wenn das Kind auch in der Schule nicht alleine bleiben will oder sich mit acht Jahren nicht zum Fußball traut?

Ausgeprägte Trennungsängste können dem Kind, aber auch den Eltern, das Leben schwer machen. „Ängste sind dann krankhaft, wenn sie das Kind daran hindern, Dinge zu unternehmen, die andere Altersgenossen ganz selbstverständlich tun können“, sagt die Psychologin Karen Krause, Geschäftsführende Leiterin des Zentrums für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. Trennungsängste führen bei den Kindern zu anhaltenden Sorgen, die sich bis in die Panik steigern können.

Das Gedankenkarussell kreist um Sorgen wie: „Meiner Mama könnte etwas passieren“, „Wir sehen uns nachher nie wieder“, „Ich schaffe das ohne meine Eltern nicht“. Manchmal sind die Ängste so stark, dass betroffene Kinder nicht alleine in ihrem Zimmer bleiben oder alleine in ihrem Bett schlafen wollen. „Dann gibt es jeden Abend großes Theater darum, ins Bett zu gehen“, sagt Karen Krause. Nicht immer sagt ein Kind mit Trennungsangst, wovor es sich fürchtet. Je nach Alter können Kinder ihre konkreten Ängste auch noch gar nicht benennen. Der Stress zeigt sich dann auch in körperlichen Symptomen. „Häufig haben sie Kopfschmerzen oder Bauchweh“, sagt Karen Krause. Manche Kinder müssten sich sogar übergeben. Mit den psychosomatischen Beschwerden beginnt häufig ein Kreislauf, der ohne professionelle Hilfe schwer zu durchbrechen ist.

In der Verhaltenstherapie lernen Kinder, Angst zu beherrschen

Das Kind wird nicht in den Kindergarten geschickt, nicht in die Schule, weil es krank ist. Damit beginnt ein Vermeidungsverhalten, das die Ängste zusätzlich positiv bestärkt. Für die Eltern ist die Situation ebenso belastend: Wer will sein schreiendes Kind gegen seinen Willen wegschicken? „Viele Eltern haben Angst, ihr Kind zu traumatisieren“, weiß Karen Krause aus Beratungsgesprächen. Nicht nur die Kinder werden psychologisch betreut, auch die Eltern werden je nach Alter des Kindes miteinbezogen. Ob und wie stark die Eltern in die Therapie mit eingebunden werden, hänge vom Einzelfall ab, sagt Psychologin Krause. Manchmal sei es gut, wenn die Eltern auch in Sitzungen dabei sind, in anderen Fällen sei es wiederum genau richtig, mit dem Kind alleine zu sprechen, damit es das Erfolgserlebnis habe, etwas alleine zu schaffen. Bei der Verhaltenstherapie lernen die kleinen Patienten, was Ängste sind, damit sie lernen, damit umzugehen. „Dann wird das Ganze schon mal greifbarer“, so Krause. Denn Ängste sind mitunter abstrakte Konstrukte, die das Leben schwer machen und die Gedanken völlig einnehmen.

Am Ende steht jedoch die langsame Konfrontation mit Situationen, die angstbesetzt sind. Ein Unterfangen, welches viel Einfühlungsvermögen und kleine Schritte verlangt. Hier ist es zudem wichtig, die Eltern einzubinden – gerade bei den kleinen Kindern. „Das fängt zum Beispiel damit an, dass die Kinder alleine in ihrem Zimmer spielen und die Mutter im Nebenraum ist. Dann wird es gesteigert, indem die Tür mal angelehnt wird oder die Mutter kurz in den Keller geht.“ Am Ende sollen Erfolgserlebnisse stehen: „Ich schaffe das ganz alleine“ und „Ja, ich habe Angst vor der Situation, aber ich kann darüber bestimmen und sie meistern“. Die Eltern sollten die Ängste ihrer Kinder auf jeden Fall ernst nehmen und nicht abtun. Wichtig sei es, so Krause, dem Kind Gedanken zu vermitteln, die Mut machen.

Für Trennungsängste gibt es nicht den einen Grund

Warum manche Kinder unter so starken Trennungsängsten leiden, während ihre Altersgenossen unbeschwert auf Übernachtungspartys gehen, hat nicht die eine Ursache. „Es ist meist ein Zusammenspiel aus dem Temperament des Kindes, der Umwelt und manchmal auch aus belastenden Situationen, die es erlebt hat“, sagt Karen Krause. Dabei leiden nicht nur schüchterne, augenscheinlich klammernde Kinder unter Trennungsängsten. Laute, schreiende Kinder tarnen ihre Angst durch auffälliges Verhalten.

Wird starke Trennungsangst nicht behandelt, können immer mehr Ängste hinzukommen. Ein Zusammenhang zwischen kindlicher Trennungsangst und Angststörungen im Erwachsenenalter ist durchaus möglich. Auch aus diesem Grund kann es für die Entwicklung des Kindes wichtig sein, das Problem so früh wie möglich aktiv anzugehen.