Konrad Grevenkamp ist selbst Mieter. Damit mehr Menschen in Wohnprojekten leben können, sucht er gezielt nach Immobilien – und baut diese für sie um. Die „GoMokry“-Gruppe profitiert davon.

Ist Wohnen ein Grundrecht? Oder Luxus, der in gepflegtem Zustand nur den Stärkeren zugestanden wird und deshalb viele Menschen zum Verlassen ihres Stadtteils zwingt? Investoren im Immobilienbereich und Bewohner eines Stadtteils vertreten bei dieser Frage meist vehement diametrale Ansichten.

Doch ab und an findet sich unter den Investoren einer, der enorm viel Kapital, Energie, Fachwissen und Enthusiasmus aufwendet, um Wohnraum zu schaffen, der in erster Linie den Bewohnern zugutekommt – und ganz nebenbei kulturelle Strahlkraft entwickeln kann. Konrad Grevenkamp, Geschäftsführer der impuls21 Projektgesellschaft mbH, ist so jemand. Der unprätentiöse, weißhaarige Bauherr macht nicht viel Aufhebens um seine Person. Dabei packt er für einen privaten Investor etwas ziemlich Einzigartiges an: Er sucht gezielt nach leer stehenden Häusern, die sich für Wohnprojekte eignen, kauft dann diese Häuser und sucht oder initiiert dann Gruppen, die dort einziehen wollen. Ihre Wünsche berücksichtigt er von Anfang an gern. Fündig wird er oft in Wilhelmsburg. Alles mit dem Ziel, gemeinschaftliches Wohnen zu ermöglichen, für dessen Realisierung er viel Erfahrung und Engagement mitbringt.

Nun hat er den Zuschlag für ein weiteres seit Jahren leer stehendes Haus in Wilhelmsburg erhalten. Das große Haus an der Ecke Mokrystraße/Vogelhüttendeich wurde um die Jahrhundertwende gebaut und seitdem als Mietshaus mit Drei- bis Vierzimmerwohnungen genutzt.

Vor über 30 Jahren erwarb es die Nordelbe Grundstücksgesellschaft mbH. Immer größere Risse und Schäden am und im Gebäude und langjährige Diskussionen über Art und Umfang möglicher Sanierungsarbeiten veranlassten die 16 Parteien, nach und nach auszuziehen. Viele fanden Alternativwohnungen bei der gleichen Gesellschaft. „Gekündigt haben wir niemandem“, sagt Stefanie Wulff von Nordelbe. „Wir waren allerdings sehr froh, dass Herr Grevenkamp als möglicher Investor ins Spiel kam. Ein so altes Haus im Bestand zu sanieren ist sehr aufwendig. Dabei ist sanierter Altbau so viel schöner als ein gesichtsloser Neubau.“

Da das Haus auf dem weichen Marsch- und Kleieboden nach und nach einsackt, kümmert sich Grevenkamp zuerst um ein stabiles Fundament. Die tragenden Holzpfähle sind teilweise verrottet, und so müssen jetzt 60 bis 100 Pfähle zehn Meter tief in die Erde gebohrt werden. Um das Wohnhaus mit circa 1000 Quadratmetern Wohnfläche hatten sich drei Gruppen beworben. Den Zuschlag bekam die aus gut 40 Mitgliedern bestehende „GoMokry“-Gruppe, die sich nun voller Enthusiasmus in die Planungen stürzt. „Das überzeugende Konzept und die hervorragende Diskussionskultur dieser Gruppe waren für mich ausschlaggebend“, sagt Konrad Grevenkamp, der selber seit 35 Jahren in einem Mietshaus auf St. Pauli wohnt.

Die relativ junge Gruppe, in der niemand über Mitte 30 ist, plant nicht in starren Kategorien für Single, Zweier- oder Familienwohnraum, sondern ausschließlich in Gruppenform. So soll auf zwei Etagen jeweils eine Gruppe von zehn Personen leben, auf einer Etage wird es eine Vierer- und eine Fünferkonstellation geben, die sich für „klassische Familien“ eignet, und zusätzlich sind in Kooperation mit dem Verein Kemenate zwei kleine Wohneinheiten für je zwei wohnungslose Frauen geplant.

Küche und Bad mit neun anderen Mitbewohnern zu teilen ist nicht jedermanns Sache. „Dazu ist schon eine etwas größere Toleranz nötig als in einer Singlewohnung“, sagt der fröhliche 32-jährige Simon Frerk Stülcken, der zusammen mit Freunden aus seiner alten WG eine der beiden großen Etagen-WGs beziehen wird. „Ist die Küche gut geplant, funktioniert sie super – auch für zehn Personen. Wir werden allerdings für die Morgenmuffel eine kleine ,Muffelküche‘ realisieren, denn nicht jeder verträgt frühmorgens viele Menschen.“ Im Groben stehen die Grundrisse schon fest – die schönen, großen, sonnigen Eckzimmer werden Gemeinschaftswohnraum, die eigenen Zimmer sind eher klein. „Doch die Details werden die jeweiligen Gruppen wohl etagenbezogen planen“, sagt Björn Müller, der mit Simon zusammenziehen wird. Überhaupt werden die meisten Entscheidungen demokratisch gefällt: wie hoch – und damit wie teuer – der Keller werden soll, ob Balkone finanzierbar oder eine kleine Dachterrasse möglich sein werden und ob die gemeinschaftliche Anschaffung eines (größeren) Autos erforderlich ist.

Die Gruppe spielt außerdem mit dem Gedanken, in einem gemeinschaftlichen Gästezimmer unbegleitete jugendliche Flüchtlinge unterzubringen und in einem anderen Bereich „flexibles Wohnen“ zu ermöglichen. Das bedeutet, dass einzelne Räume rein als Schlafraum oder Kreativitätsraum genutzt werden, um Künstlern ein Überleben zu ermöglichen. Auch geplant: ein großer Bereich für Kinder zum Toben und Spielen.

„In einem anonymen Wohnhaus zu leben, ohne die Nachbarn zu kennen, ist für uns eine schreckliche Vorstellung“, bekräftigen die beiden jungen Männer. „Und wir wollen auch nicht nur für uns selber schön wohnen und unser Haus abschotten, sondern bewusst etwas ins Viertel tragen.“ Denn auch die Food-Coop und kulturelle Vereine werden ihren Platz im GoMokry-Haus finden und somit das Angebot besonders für Jugendliche im Viertel spürbar verbessern.

Der beginnenden Gentrifizierung möchten die zukünftigen Bewohner entgegentreten, indem sie auch auf lange Sicht bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wie der finanziert werden kann, steht auch schon fest. „Wir möchten gern die Sicherheit eines eigenen Hauses, da viele von uns schon die Erfahrung von Kündigungen wegen Sanierung oder Eigenbedarf gemacht haben. Deshalb möchten wir das ganze Haus kaufen.“ Möglich wird das durch das Mietshaus Syndikat – und private Kreditgeber für einen fest umrissenen Zeitraum. Die werden derzeit noch gesucht, damit der Einzug der engagierten Gruppe zeitgerecht im Herbst 2015 erfolgen kann und in Wilhelmsburg ein neuer Anziehungspunkt zum Leben erwacht.

Langweilt sich Konrad Grevenkamp jetzt, da die Gruppe gefunden ist und die Planungen und Umbauten so gut laufen? Mitnichten. Kurz vor Weihnachten hat er den Zuschlag für das ehemalige Rialto-Kino in Wilhelmsburg erhalten, da der Bezirk an dieser Stelle keine Möglichkeit für die Weiterführung eines Kinos sieht und ein neues Kino an anderer Stelle plant. Und hier beginnt jetzt alles wieder von vorne: eine Gruppe von 40 Menschen finden, sich einigen, planen, bauen – und Grevenkamp packt es begeistert an. Der erste Infotermin wird voraussichtlich Mitte Februar sein, ersichtlich auf seiner Seite www.impuls21.eu.

Wer der GoMokry-Gruppe mit gesicherten Krediten ab 500 Euro weiterhelfen möchte, findet Infos unter www.gomokry.blogsport.eu.