In reiferen Jahren muss man nicht auf Liebe verzichten. Experten sagen, welche Wege sinnvoll und erfolgreich sind

„Mir fehlen Berührungen. Ich lebe seit 20 Jahren allein“, sagt Martha Schneider. Die Dame mit dem weißen Haar spricht ihre Wünsche deutlich an, und ihr Gegenüber ist sichtlich überrascht. Beide sind etwa Ende 70, ähnlich wie die weiteren zwölf Beteiligten. Die 14 Senioren nehmen an einem Speeddating für ältere Menschen teil, bei dem alle sieben Minuten der Gesprächspartner wechselt. Diese Gespräche sind Inhalt des Films „Altersglühen“, der kürzlich im Ersten lief.

„Die Gespräche sind durchaus realistisch im Film dargestellt“, sagt die Journalistin Hanne Huntemann, die zusammen mit Angela Joschko das Buch „Liebe auf den späten Blick. Partnersuche 60plus“ geschrieben hat. Die Autoren testeten für ihr Buch Flirt- und Dating-Kurse für Senioren, sprachen mit Psychologen und vielen Menschen im Alter von 60 bis über 90 Jahren.

Die wichtigste Erkenntnis: Für die Liebe ist es nie zu spät. Zumal die Menschen mit 60 und aufwärts nie so gesund und finanziell so gut gestellt waren, wie es heutzutage der Fall ist. „Mit diesem Selbstbewusstsein und der Freiheit, sich und anderen nichts mehr beweisen zu müssen, gehen diese Senioren anders an eine Beziehung heran als frühere Generationen“, sagt Hanne Huntemann. Auf die Idee für das Buch kamen beide, als sich ihre 80-jährige Freundin Anne-Marie über das Internet in den fünf Jahre älteren Max verliebte. „Es war wunderbar. Sie sagte: ,Eine solche Nähe hatte ich noch nie.‘ Bei unserer Recherche stellten wir dann fest, Anne-Marie ist absolut keine Ausnahme“, sagt Huntemann.

Die heutige ältere Generation habe einen anderen Anspruch an Partnerschaft und Liebe entwickelt als ihre Eltern und sehe nicht ein, jenseits der 60 auf Zärtlichkeit zu verzichten. „Warum auch? Und deshalb sind so viele Singles zwischen 60 und 90 auf der Suche nach einer Partnerschaft. Und siehe da, es klappt bei so vielen, dass wir bei der Recherche für unser Buch nur gestaunt haben“, so die Autorin.

Mögliche Wege, um einen Partner zu finden, sind Kontaktanzeigen in Zeitungen, Online-Partnerbörsen, Partnerschaftsvermittlungen, aber zunehmend auch Speeddating sowie Flirtkurse für Senioren oder spezielle Veranstaltungen für ältere Singles. „Ob Kochen oder ein Stammtisch für Singles, auch für ältere Menschen wird viel angeboten“, sagt Dorothee Döring, Autorin des Buches „Warum allein bleiben. Erfolgreiche Partnersuche im Alter“. Man müsse jedoch aktiv werden, Zeit und Ideen investieren sowie Geduld und etwas Durchhaltevermögen bei der Suche mitbringen.

Und Dorothee Döring nennt ebenfalls positive Beispiele aus ihrer Beratung dafür, dass die Suche nach einigen Mühen erfolgreich sein kann. Ein Paar ist Anfang 60, das andere über 80 Jahre alt. Beide haben sich vor einigen Jahren über Kontaktanzeigen kennengelernt und in diesem Jahr geheiratet.

Dennoch gibt es bei der Partnersuche im Alter einiges zu bedenken. Die meisten Partnersuchenden scheitern, so Döring, weil sie dieses wichtige Projekt dem Zufall überlassen. „Wer in reifen Jahren auf Partnersuche ist, dem fällt es schwer, seinen gewohnten Trott zu verlassen und auf fremde Menschen zuzugehen. Viele fürchten sich vor Ablehnung und verbringen ihre Zeit mit einem Haustier oder vor dem Fernseher. Dort wird man aber nicht entdeckt.“ Die wenigsten Partnersuchenden befassen sich zuvor mit sich selbst, was eine Voraussetzung dafür sei, eine Entsprechung zu finden. „Ein kritischer Selbstcheck ist unerlässlich“, sagt Döring. „Man muss wissen, wer man ist, und darf nicht aus einer Notlage (ich kann nicht allein sein) heraus suchen.“

Bei den Online-Partneragenturen sind die über 60-Jährigen übrigens die Altersgruppe, die in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen hat, stellt Hanne Huntemann fest. „Und noch etwas hat uns bei der Recherche erstaunt. Uns haben die meisten Paare, die sich im Alter gefunden haben, dasselbe berichtet wie Anne-Marie: dass sie eine solche Intensität und Nähe noch nie erlebt haben. Das liegt vor allem daran, dass man ab einem gewissen Alter weiß, dass man keine Zeit mehr zu verlieren hat, und deshalb eine neue Liebe viel mehr schätzt.“

Zwar gelte der Satz „Das Herz bekommt keine Falten“, sagt die Diplom-Psychologin Eva Wlodarek, die Senioren ebenfalls Mut macht. Als Erstes sollte man sich klarmachen: „Für Verliebtsein und Liebe gibt es kein Alterslimit.“ Allerdings seien auch einige innere Blockaden zu überwinden: Denn mit den Lebensjahren seien auch die Ansprüche gewachsen, und das mache oft überkritisch. „Da hilft nur ein liebevoller Blick auf den potenziellen Partner oder die Partnerin. Schließlich ist man selbst ja auch nicht perfekt. Außerdem haben ältere Menschen häufig Eigenheiten entwickelt und lassen sich ungern einschränken. Doch ohne Kompromisse geht es nicht“, sagt die Autorin des Buches „Passt genau. Endlich den richtigen Partner finden“.

Jeder Suchende sollte überdies die eigene Attraktivität erhöhen. Wlodarek: „Äußerlich ziehen Stil und Gepflegtheit an, in der Kommunikation wirken Charme, Optimismus und Aufgeschlossenheit.“ Schaffe man dann noch Gelegenheiten, pflege ein Hobby und nutze Partnerschaftsbörsen im Internet, fehle nur noch etwas Glück.

Natürlich kommt es auch auf die innere Einstellung an. „Ältere Menschen gehen viel zielgerichteter und ernsthafter vor“, stellt Hanne Huntemann fest. „Die Chance, einen Partner zu finden, ist im Alter sogar noch größer.“ In jedem Fall gehört Mut dazu und das tiefe Bedürfnis, sich noch einmal auf einen (fremden) Menschen einzulassen, wenn man die späte Liebe finden will.