Mit Physiotherapie lernen Patienten nach einer Operation gehen, Treppen steigen und stärken ihre Beweglichkeit

Der Hund von Rosemarie Nagel rannte an diesem Tag vor einem Monat etwas zu stürmisch auf sie zu. Er brachte die sportliche 68-Jährige aus dem Gleichgewicht. Sie fiel und brach sich den linken Oberschenkel oberhalb des Knies. Der sogenannte Trümmerbruch, wie Mediziner sagen, war ein Fall für die Unfallchirurgen. Wenige Tage später wurde sie in der Schön Klinik in Hamburg-Eilbek operiert.

Die Rentnerin hält zwei Gehstützen in der linken Hand, über Kreuz. Mit ruhigen Schritten geht sie die Treppe hoch und runter, die rechte Hand am Geländer. „Die eine Gehstütze soll Frau Nagel zum Stützen nehmen, sie darf ihr Bein noch nicht voll belasten. Und die andere Gehstütze muss mit in den ersten Stock, da sie dort mit zwei Gehstützen weitergehen soll. Das üben wir jetzt“, erklärt Sylvia Frese, die seit mehr als 25 Jahren in der Klinik arbeitet. Sie leitet die Abteilung für Physiotherapie und Physikalische Therapie. 32 Mitarbeiter gehören zu ihrem Team.

In diesen Jahren hat sich viel getan in der Orthopädie. Wer vor Jahren ein künstliches Hüftgelenk bekam, erhielt den Rat: das Gelenk nicht sofort weiter als 90 Grad beugen, nur langsam wieder in Bewegung kommen, ansonsten noch einschränken. „Das ist heute anders“, sagt die Therapeutin. „Aus Studien wissen wir: Die Einschränkungen bringen in vielen Fällen nichts, wir müssen die Menschen schnell wieder mobil bekommen und mit Physiotherapie anfangen.“ Dadurch würde auch Komplikationen vorgebeugt, die bei längerer Bettlägerigkeit vor allem ältere Menschen treffen können, wie etwa Thrombosen.

Sicheres Gehen ist enorm wichtig – ein erneuter Sturz wäre fatal

Seit 19 Jahren hat Rosemarie Nagel ein künstliches Gelenk in der linken Hüfte und seit zehn Jahren eines im linken Knie. Wegen einer früheren Knocheninfektion kann sie das linke Knie nicht über 90 Grad beugen. „Wir mussten der Patientin wegen der beiden Prothesen und des komplizierten Bruchs eine spezielle Metallplatte in den Oberschenkel einsetzen. Das war eine schwierige Operation“, sagt Prof. Florian Krug, Chefarzt der Unfallchirurgie und Leiter des Zentrums für Alterstraumatologie und Geriatrische Rehabilitation. Bereits am nächsten Tag war Rosemarie Nagel in der Lage, mit Hilfe ein paar Schritte bis ins Bad zu gehen.

„Das Aufstehen fiel mir nicht leicht nach der Operation“, sagt Rosemarie Nagel. Aber die Hoffnung darauf, schnell wieder fit zu sein, ließ sie den inneren Schweinehund überwinden. Sie ist Mitglied in einer Sportgruppe, macht viel Gymnastik und mit ihrem Ehemann mehrmals in der Woche ausgedehnte Radtouren. „Das sind dann immer 20 bis 30 Kilometer“, sagt die Rentnerin, die auf einem Hof mit Tieren in Mecklenburg-Vorpommern lebt.

Schon beim ersten Kontakt zu ihren Patienten denkt Physiotherapeutin Frese auch an die nächsten Monate und Jahre. Was ist wichtig für den Patienten, um sich wohlzufühlen? Welche Aktivitäten des täglichen Lebens wie Schuhe binden, duschen oder Essen zubereiten kann er selbst ausführen? „Wir kümmern uns nicht nur um die Stelle, die operiert wurde“, sagt Frese.

Bei Rosemarie Nagel heißt das: Weil sie für etwa sechs Wochen nach der Operation das Bein nur mit der Hälfte des Körpergewichts belasten darf, muss sie die Gehstützen verwenden. Dafür braucht sie starke Arm, Rumpf- und Schultermuskeln. Die trainiert sie an Fitnessgeräten in einem Trainingsraum in der Klinik. „Eigentlich versuchen wir ältere Menschen grundsätzlich so zu operieren, dass sie gleich beide Beine voll belasten dürfen“, sagt Unfallchirurg Krug. „Bei Frau Nagel waren wir wegen der beiden Prothesen etwas zurückhaltender.“ Aber glücklicherweise habe sie „genug Ausdauer, Koordination und Kraft“, dass sie an Gehstützen gehen und so mit das operierte Bein nur teilbelasten könne.

Allerdings gleicht Frau Nagel mit dem Oberkörper und dem Kopf beim Gehen aus und hält sich somit nicht gerade. „Wichtig ist, dass wir einer Fehlhaltung entgegenwirken und auch am Gleichgewicht arbeiten, damit sie später wieder sicher Rad fahren kann“, erklärt die Therapeutin und schaut ihrer Patientin beim Laufen zu. „Laien denken immer, wir gehen den ganzen Tag nur mit den Patienten spazieren. Wir analysieren dabei das Gangbild und stellen einen Behandlungsplan auf.“ Denn sicheres Gehen sei enorm wichtig – ein erneuter Sturz wäre fatal.

Zur Sturzprophylaxe nimmt Sylvia Frese auch die Füße der Patientin in Augenschein, während diese auf einer Liege im Behandlungsraum liegt. „Nach solchen Operationen setzen die Patienten ihre Füße oft anders ein als vorher. Deswegen müssen sie mit behandelt werden, damit die Patienten beim Gehen den Fuß richtig abrollen können und das Gehen leichter wird.“ Die Physiotherapeutin bewegt und massiert die Füße der Patientin. Sie dehnt Muskeln und Gewebe im Hüftgelenk, damit sie später größere Schritte machen kann als jetzt. Behutsam bewegt die Therapeutin das Kniegelenk mehr, als Rosemarie Nagel es sich derzeit alleine trauen würde – aus Angst vor Schmerzen.

Rosemarie Nagel hat in der Klinik ein volles Programm. Nach der OP lag sie zunächst auf einer unfallchirurgischen Station. Dann kam sie in die geriatrische Frührehabilitation, wo sie etwa zwei Wochen bleiben soll. Sie hat oft mehrere Termine am Tag: Physiotherapie allein, Gruppenangebote, Fitnessraum, Lymphdrainage und Ergotherapie. Zudem machen die Therapeuten umfangreiche Tests mit ihr: Kann sie sicher und frei stehen? Wie schnell kann sie aufstehen, eine Aufgabe erledigen und sich wieder hinsetzen? „Das ist zum Beispiel wichtig, um zu sehen, ob sie es bei Grün über die Ampel schaffen würde“, sagt Sylvia Frese.

Aufgrund ihrer früheren Operationen kennt Rosemarie Nagel eine Physiotherapie-Praxis in der nächstgelegenen Stadt, acht Kilometer entfernt. Ihr Mann bringt sie dann mit dem Auto dorthin. Wann sie wieder Fahrradtouren machen kann, ist jedoch noch offen.