Vorlesen kann kleine Kinder ruhig machen. Viele Kinderbücher bieten Elemente, die zum spielerischen Lernen animieren

Ab wann interessieren sich Kinder für Bücher? „Sobald sie sitzen können, kann man sie auf den Schoß nehmen und ihnen Bilderbücher zeigen“, sagt der Entwicklungspsychologe und Frühpädagoge Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten. „Die Eltern sind die Moderatoren und können ihrem Kind eine magische Welt erschließen, denn die Lesekultur wird in frühester Kindheit entwickelt“.

Das bestätigt auch Dorothea Kyrieleis, die regelmäßig in der Kindertagesstätte Krokophantsie in Hamburg-Altona vorliest: „Oft entstehen beim Vorlesen magische Momente, in denen alle Kinder ganz ruhig sind und zuhören. Dabei entwickeln sich oft Gedanken und Gespräche wie: Warum macht die Stiefmutter das nur?

Die ersten Bücher werden wortwörtlich über den Mund aufgenommen: angesabbert und probiert. Mit 12 Monaten sind die Areale des Gehirns, die den Spracherwerb ermöglichen, ausgereift. Durch gemeinsames Betrachten eines Bilderbuches lernt das Kind neben dem räumlichen Sehen besonders die Sprache – und dafür ist der Dialog unverzichtbar, sagt Professor Kasten. Durch das frühe Vorlesen und Erzählen wird emotionale Differenzierung geübt.

Besonders gerne betrachten 12 Monate alte Kinder Gleichaltrige. Zur Identifizierung und Wiedererkennung rudimentärer Gefühle und täglicher Vorgänge wird das Büchlein „Kennst Du das? Dein Körper“ (Duden) heiß geliebt.

Auch alles, was mit Verstecken und Entdecken zu tun hat, ist jetzt reizvoll. In „Das kleine Wunder – schau mal rein!“ (Coppenrath) findet man einfache Bilder mit großen, gut zu greifenden Klappen. Hinter der Eierschale versteckt sich das Küken – ein Riesenspaß. Diese Klappen oder „Schiebetüren“ sind beliebte „Action-Elemente“ für kleine Kinder, die ganz nebenbei die Auge-Hand-Koordination fördern, denn die Jüngsten begreifen ihre Umgebung durch Anfassen.

Das richtige Platzieren der Tiermagneten wie in „Der magnetische Bauernhof“ (Beltz & Gelberg) erfordert eine gewisse Feinmotorik. Die um den dritten Geburtstag herum stattfindende Wortschatzexplosion wird hervorragend durch die „Wimmelbücher“ (Gerstenberg) unterstützt. Entdecken und finden sind auch Thema der „Pip & Posy“-Bücher (Carlsen). Toll ist auch die Reihe mit der Taschenlampe (Fischer: Meyers Kleine Kinderbibliothek), in der Dinge in der Dunkelheit „beleuchtet“ werden können.

Nicht nur das Hinsehen wird durch Kinderbücher gefördert, auch das Hinhören, denn die Verlage setzen verstärkt auf akustische Zusätze. Das wirft die Frage auf, ob ein Buch neben all dem Lärm um uns herum jetzt zusätzlichen „Lärm“ produzieren muss. Haben Lesen und Vorlesen nicht in erster Linie mit Ruhe zu tun? Dezente akustische Untermalung kann jedoch als spannende Ergänzung wirken: In „Hör mal Unsere Vögel“ (Carlsen) ertönen sechs heimische Vögel.

Die Weiterentwicklung der einfachen Geräusche sind Bücher, die mittels interaktivem „Hörstift“ gehört werden können. Neben der gedruckten Geschichte können durch Berührung von bestimmten Symbolen auf der Seite zusätzliche Geschichten, Informationen, Geräusche, Dialoge oder Spielanleitungen und Lieder aus dem Stift erklingen. Das funktioniert mittels eines optischen Sensors, der unsichtbare Codes in akustische Signale umwandelt.

Zwei Hörstiftsysteme sind derzeit auf dem Markt: TING vom TING Verlag, der für Bücher von aktuell 25 verschiedenen Verlagen verwendet werden kann, und tiptoi von Ravensburger, der bei den eigenen Produkten funktioniert.

Bertelsmann präsentiert zwei gelungene TING-angepasste Brockhaus-Ausgaben über Tiere: einen für kleine Kinder und einen echten Wälzer für Ältere, die schon gut lesen können. Beim Ersten lässt der Stift die Tiere rufen, stellt Reimfragen und lässt Kinderlieder ertönen. Bei der großen Ausgabe liefert der TING kurze, interessante Zusatzinformationen, doch der Schwerpunkt liegt auf dem Geschriebenen.

In „Hurra! Ich habe Geburtstag!“ (Bertelsmann) wird der aufregende vierte Geburtstag von Theo durch TING richtig lebendig: Menschen und Tiere sprechen und lachen passend zur Handlung, und am Schluss singen alle.

Die beliebte WiesoWeshalbWarum-Reihe (Ravensburger) ist nun auch als „audiodigitales Lernsystem“ für den tiptoi auf dem Markt. „Wir lernen Englisch“ ist nach frühestens drei Jahren Grundschul-Englischunterricht praktikabel. In typischen Lebensräumen kann man die Menschen (mit schönem britischen Akzent) sprechen lassen. Für die Kinder Spiel, für die Erwachsenen Lernen. Die Grenze verläuft fließend.

Mehrere Stunden lang kann man sich mit der „Expedition Wissen – Musik“ (Ravensburger) beschäftigen. Die Kinder können die Geschichte von Ben und Juli lesen, die ein Notenblatt finden und einen Fälscher entlarven. So weit die geschriebene Geschichte. Durch den tiptoi kann man nun unglaublich viele Informationen über Musikaufnahmen, Instrumente, Orchester, Noten und Komponisten hören. Tippt man noch einmal auf die Stelle, weiß der tiptoi noch mehr. Auch die allerwichtigsten Werke aus klassischer Musik und Oper sind in Auszügen hörbar und bleiben somit ganz leicht im Gedächtnis.

So werden viele Bücher inzwischen „smart“ gemacht. Verdrängen sie nach und nach das klassische Bilder- und Kinderbuch? Jutta Lux, Geschäftsführerin der Buchhandlung im Schanzenviertel, stellt das nicht fest. „Für unser Sortiment hochwertiger Kinderbücher sind sie eine gute Ergänzung, sie fungieren als gleichwertiges Medium.“ Die Titel sind bei den Kunden sehr beliebt und werden häufig angefordert.

Braucht man nun unbedingt solche Smart Books? Richtiges Vorlesen ersetzen sie nicht. Man kann die interaktiven Elemente als zusätzliches Schmankerl benutzen, muss es aber nicht. Zum Lernen „nebenbei“ machen sie wirklich Spaß, und so können auch die Eltern unauffällig all die englischen Wörter des täglichen Lebens lernen, von denen sie noch nie gehört haben.