Bis zu 40 Prozent aller Kinder schlafen schlecht. Sie sind überfordert, grübeln über Probleme oder die Schlafumgebung ist schlecht.

Köln. Jannis kann nicht einschlafen: Wenn seine beiden jüngeren Geschwister schon lange friedlich schlummern, liegt der zehn Jahre alte Junge aus Köln noch immer wach im Bett und grübelt. Alle zehn Minuten steht er wieder auf, um zur Toilette zu gehen oder etwas zu trinken. Zwischendurch ruft er immer wieder mal nach seinen Eltern: Mal möchte er noch einen Gute-Nacht-Kuss, mal verlangt er ein Wärmekissen, weil er angeblich Bauchschmerzen hat. Oder es fällt ihm auf, dass in seinem Zimmer noch dringend Sachen aufgeräumt werden müssen. Oft vergehen ein bis zwei Stunden, bis Jannis endlich schläft. Er ist kein Einzelfall.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Gerd Lehmkuhl von der Uniklinik Köln geht davon aus, dass bei bis zu 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen Schlafstörungen vorkommen. Von einer Schlafstörung geht man dann aus, „wenn die Schlafprobleme über einen längeren Zeitraum mehrmals in der Woche auftreten“, erläutert Lehmkuhl, der Mitautor von Ratgebern zum Thema Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter ist. Nach einer Kölner Studie aus dem Jahr 2003, für die 6.000 Eltern befragt wurden, kämpft im Einschulalter jedes siebte bis achte Kind mit Schlafproblemen.

Jannis’ Eltern reagieren zunehmend genervt auf seine Einschlafprobleme, sie möchten abends nach einem anstrengenden Alltag endlich mal ihre Ruhe. Zudem machen sie sich Gedanken, dass Jannis am nächsten Tag nicht ausgeschlafen ist.

„Wir haben alles Mögliche versucht“, sagt seine Mutter, „haben ihm erklärt, dass er durch das Aufstehen nur noch wacher wird. Wir haben ihm sogar verboten, so häufig aufzustehen – alles hat nichts geholfen.“ Wenn aus der Schlafstörung Schwierigkeiten im Alltag entstehen, wenn es etwa zu familiären Auseinandersetzungen kommt oder wenn das Kind in der Schule unkonzentriert wirkt, sollte man professionelle Hilfe suchen, rät Lehmkuhl.

Annmarie Kramer, Leiterin der Schlafmedizin an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana Klinikum Lichtenberg in Berlin, berät in einer Schlafsprechstunde betroffene Familien. „Kinder mit Ein- oder Durchschlafstörungen haben keine organischen Störungen“, sagt sie: „Die grübeln, oder es gibt äußere Einflüsse, die sie wach halten.“

Etwa nach der Einschulung, einem Schulwechsel oder bei besonderen Anforderungen reagierten Kinder oft mit Schlafstörungen. „Und das nimmt tendenziell zu“, sagt Kramer. Es sei wichtig herauszufinden, was das Kind beschäftige: „Viele haben das Tagesgeschehen noch nicht verarbeitet.“

Vor dem Zubettgehen dürften keine aufregenden Fernsehsendungen oder Computerspiele konsumiert werden, denn oft sei die unkontrollierte Mediennutzung schuld: „Das sind dann Überforderungserscheinungen.“ Der eigene PC oder Fernseher im Kinderzimmer führe dazu, dass viele Eltern gar nicht mehr mitbekämen, wie viel und was sich Kinder ansähen.

Essenziell sei auch, dass Kinder und Jugendliche immer zur selben Zeit ins Bett gingen: „Das ist wichtig für den Schlaf-Wachrhythmus.“ Kinder mit einer stabilen Schlafroutine hatten in der Schlafstudie deutlich weniger Einschlafprobleme und waren tagsüber seltener müde.

Gerd Lehmkuhl hält auch ein gutes Abend- und Schlafritual für wichtig: „Es sollte feste Abläufe geben, die es dem Kind erleichtern, in den Schlaf hineinzukommen.“ Stresssituationen und Auseinandersetzungen sollten abends vermieden werden, das Kind sollte weder zu viel noch zu wenig gegessen haben. Das Abendritual kann aus gemeinsamen Erzählen oder dem Vorlesen einer Geschichte bestehen. Ältere Kinder und Jugendliche wollen oft noch allein etwas im Bett lesen. „Das Schlafritual sollte jedoch nicht länger als 30 Minuten sein“, sagt Lehmkuhl.

Auch eine gute „Schlafatmosphäre“ sei wichtig: Ein angenehmer und gemütlicher Schlafbereich ohne störende Licht- oder Lärmquellen. Eltern sollten im Kinderzimmer niemals rauchen, das Kind vor dem Schlafengehen keine Medikamente nehmen, die den Schlaf stören. Auch Entspannungsübungen können das Einschlafen fördern.

Und Eltern sollten auch sich selbst im Auge haben. Denn: „Oft sind es unbewusst die Eltern selbst, die die Schlafstörungen ihrer Kinder fördern“, sagt Annmarie Kramer. Kinder entwickelten oft raffinierte Methoden, um den Schlaf hinauszuzögern. Hier seien Eltern pädagogisch gefordert und müssten deutliche Grenzen setzen. „Es darf sich für das Kind nicht lohnen, nachts nach den Eltern zu rufen und sie an seinem Bett erscheinen zu lassen.“ Jannis’ Eltern bringen ihn nun ins Bett und gehen nach dem Gute-Nacht-Sagen auf weitere Wünsche nicht mehr ein – seitdem findet er schon besser in den Schlaf.