Diakonie und BUND fordern den kostenlosen Nahverkehr. Studie: Finanzierung könnte durch jährliche Pro-Kopf-Pauschale getragen werden.

Ein Nulltarif für Busse und Bahnen – dem Klima würde er nützen, armen Menschen auch. Naturschützer und Diakonie-Experten sind dafür, Politiker sind skeptisch. In Hamburg sorgt das Gratis-Ticket für heiße Diskussionen. Hamburg (EPD). Einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Hamburg haben das Diakonische Werk, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Zukunftsrat Hamburg gefordert. Gratis-Tickets für den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) seien eine „äußerst gelungene Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Klugheit“, sagte Diakonie-Experte Wolfgang Völker bei einer Podiumsdiskussion mit Politikern aller Rathausfraktionen und einem HVV-Vertreter am Dienstagabend in der Hansestadt.

Ein Gratis-HVV würde den motorisierten Individualverkehr reduzieren, die allgemeine Mobilität erhöhen und auch sozial Benachteiligten mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, sagte Völker weiter: „Die Bewegungsfreiheit in der Stadt wäre weniger abhängig vom Geldbeutel.“ Gestützt wird diese These von einer Studie des „Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. “Hamburg könnte Verkehrsgeschichte schreiben, wenn ein solcher Schritt unternommen wird„, sagte Michael Kopatz, Verfasser der Expertise.

+++Talliner fahren gratis Bus - ein Modell für Hamburg?+++

+++Noch nie soe viele Fahrgäste bei Bus und Bahn wie 2011+++

Finanziert werden könnte ein kostenloser Nahverkehr der Studie zufolge entweder durch eine jährliche Pro-Kopf-Pauschale aller sozialversichert Beschäftigten oder durch den öffentlichen Haushalt. Die Studie bezieht sich dabei auf Berechnungen des Umweltbundesamtes, wonach der Autoverkehr in Deutschland “externe Kosten„ in Höhe von jährlich 53 Milliarden Euro verursacht, die von der Allgemeinheit aufgebracht werden müssten. Dazu zählten Unfall- und Umweltkosten für die Eindämmung oder Beseitigung von Lärm und Luftverschmutzung. Auf Hamburg umgerechnet bedeute dies, dass jeder Mensch vom Kleinkind bis zum Hochbetagten schon jetzt 629 Euro im Jahr für die Folgen des Autoverkehrs bezahlt.

Die meisten der anwesenden Politiker standen dieser Rechnung und dem Projekt skeptisch gegenüber. “Gar nichts„ von der Idee hält Wieland Schinnenburg von der FDP. Für Klaus-Peter Hesse (CDU) wäre ein Gratis-HVV “völlig unsozial und ungerecht gegenüber den Autofahrern„. Martina Koeppen von der SPD nannte den Vorschlag “charmant, aber nicht bezahlbar„, Till Steffen (Grüne) fand ihn “gut, aber schwierig umzusetzen„. Einzig Heike Sudmann von den Linken sprach sich für einen Gratis-HVV aus. Es bedürfe nur einer schmalen Erhöhung der Vermögenssteuer, dann ließe sich alles finanzieren, sagte sie. Es gelte, Visionen zu entwickeln, um die schädlichen Folgen des Autoverkehrs zu bekämpfen“. Ein kostenloser Nahverkehr könne „auch schrittweise“ eingeführt werden, etwa zuerst für Hartz IV-Empfänger.

Dirk Bestmann, Leiter der Vertriebs- und Verkehrswirtschaft im HVV-Mitgliedsunternehmen Hochbahn, bezeichnete das Gratis-Ticket als „nicht nötig“. In den vergangenen Jahren habe der HVV 37 Prozent mehr Fahrgäste gewonnen. Vor allem mit der Verbesserung der Qualität und Attraktivität des Angebots könne man Autofahrer zum Umsteigen bewegen. Er bezweifle, dass sich fehlende Fahrgasteinnahmen von rund 650 Millionen Euro jährlich durch andere Maßnahmen ausgleichen ließen. Ein kompletter Gratis-HVV müsse zudem massiv ausgebaut werden, durch mehr Personal, Bahnen und Busse sowie mit entsprechender Infrastruktur. Das mache möglicherweise „ein paar Milliarden Euro erforderlich“ und sei mithin „nicht finanzierbar“.

Die bloße Frage nach den Kosten habe schon manche Diskussion verstummen lassen, sagte Diakonie-Experte Völker. „Doch wir wollen nicht verstummen, sondern diskutieren.“ Darum werde die Forderung nach dem Gratis-HVV „auf der politischen Agenda bleiben“. In Hamburg gebe es nicht einmal mehr ein Sozialticket, sondern nur einen Rabatt von 18 Euro monatlich. Selbst bei der günstigsten Karte liege man damit immer noch 16 Euro über dem Betrag, der bei der Bemessung der Regelsätze für Hilfeempfänger errechnet wurde. „Wir werden weiter darüber reden müssen, wie wir uns ein besseres Leben für alle in Hamburg vorstellen.“