Experten raten Angehörigen und alten Menschen zu Wachsamkeit. Beanstandungen sollen offen angesprochen werden.

Betrug, Fehler und Misshandlungen bis zur Gewalt in der Pflege sind ein Tabuthema. Dennoch kommt all das immer wieder vor. So verurteilte das Amtsgericht Hannover einen Pfleger im Mai 2006 wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe. Zudem wurde der Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes mit einem lebenslangen Berufsverbot für den Bereich der Altenpflege belegt. Nach Erkenntnis des Gerichts hatte der Mann eine allein lebende schwer demenzkranke 86 Jahre alte Frau systematisch gequält.

Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen geben rund 40 Prozent der befragten ambulanten Pflegekräfte an, innerhalb eines Jahres mindestens in einem Fall eigenes problematisches Verhalten gegenüber Pflegebedürftigen zu erkennen. Am häufigsten treten Formen verbaler Aggression, psychische Misshandlung und pflegerische Vernachlässigung auf. Das können Beschimpfungen, Drohungen oder grobes Anfassen sein. Pflege findet mit 70 Prozent überwiegend zu Hause statt. Die häusliche Pflege ist geprägt von persönlichen Beziehungen. Abhängigkeiten, Hilflosigkeit, Überforderung und Zeitnot können mit zunehmender Dauer zu einer unerträglichen Anspannung führen.

Beschwerdetelefon Pflege bietet Hilfe an

Dass in der Pflege Fehler und Gewalt vorkommen, bestätigen Petra Kupfer vom Beschwerdetelefon Pflege sowie Rico Schmidt, Sprecher der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz. "Bundesweit werden immer wieder Fälle von Gewalt in der Pflege bekannt oder Fälle von schlechter Pflege, die zu gesundheitlichen Schäden führt. Dabei geht es beispielsweise um nicht genehmigte freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierungen oder eine schlechte Pflege, die zu Dekubitus-Geschwüren führt", sagt Schmidt. "Wichtig ist, dass so etwas möglichst frühzeitig festgestellt und offen damit umgegangen wird." Neben Aufsichtsinstanzen wie der internen Qualitätssicherung der Pflegeeinrichtungen oder dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung seien vor allem Pfleger und Angehörige zur Wachsamkeit aufgerufen.

"Bürger können sich bei Verdacht auf Pflegefehler an die Pflegekasse, die Wohn-Pflege-Aufsicht oder das Beschwerdetelefon Pflege wenden", sagt Schmidt. Zudem könne es zu Fehlern kommen, wenn Angehörige die Pflege übernehmen. "Diese sind in den meisten Fällen eine Folge von Überforderung mit der Pflege und den Begleitumständen. Hier können Beratung und Entlastungsmaßnahmen sowie die Pflegetelefone in den Bezirken helfen."

Auch die Polizei hat sich mit Fällen von Gewalt in der Pflege zu beschäftigen. "Ältere Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, befinden sich dann plötzlich in einer Situation, in der ihre körperliche Unversehrtheit verletzt oder ihre Wehrlosigkeit ausgenutzt wird", sagt Frank Erkelenz, Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt (LKA). "Sie erleben als Opfer von Straftaten in der Pflege häufig Leid, Not und tiefe Verzweiflung." Mögliche Tatbereiche sind: verbale Übergriffe (Beleidigungen), psychische Gewalt (Verweigerung von Hilfe), körperliche Gewalt in allen denkbaren Formen (Schlagen, Kratzen, falsche Arzneimittelgabe, Behandlung ohne Einwilligung), Freiheitsberaubung (Einschließen, Fixierung am Bett ohne vormundschaftliche Genehmigung), Vermögensdelikte (Diebstahl, Unterschlagung).

Das Hauptproblem sei jedoch das Erkennen der genannten Delikte, sagt Erkelenz, da diese in der Regel hinter verschlossenen Türen stattfinden. "Gibt es Hinweise, besteht zudem die Gefahr, dass diese nicht ernst genommen werden, da sie durch Außenstehende mit dem Krankheitsbild in Verbindung gebracht werden." Überdies werde nur selten Anzeige erstattet. "Scham- und Schuldgefühle, Isolierung und diverse Abhängigkeitsverhältnisse können aufseiten der Opfer dazu führen, dass keine Hilfe gesucht wird und somit die Taten nicht angezeigt werden", sagt Erkelenz, der zusammen mit Experten von zwei Krankenkassen und der Verbraucherzentrale die Broschüre "Pflege zu Hause - Schutz vor Gewalt, Betrug und Pflegefehlern" verfasst hat. Sie ist kostenlos bei der Verbraucherzentrale erhältlich und auch als Download unter www.vzhh.de oder www.polizei.hamburg.de verfügbar.

Die Autoren geben viele konkrete Tipps für Gepflegte und deren Angehörige. Sie raten: Seien Sie als Angehöriger wachsam und beobachten Sie den Zustand der gepflegten Person. Achten Sie auf Missstände, offensichtliche Verletzungen oder Anzeichen von Verwahrlosung, wenn Ihr Angehöriger von einem Pflegedienst betreut wird. Scheuen Sie sich nicht, den Pflegebedürftigen, die Pflegekraft oder den Pflegdienstleiter auf Ihre Beobachtungen anzusprechen.

Die Patienten haben das Recht, ihre Pflegedokumentation einzusehen

Fragen Sie immer nach der Ausbildung der Pflegekraft. Bestimmte pflegerische Maßnahmen dürfen nur von Pflegefachkräften ausgeführt werden. Lesen Sie Ihren eigenen Patientenbericht und prüfen Sie, ob Sie sich in der Beschreibung wiederfinden. Sollte ein Verdacht auf einen Pflegefehler aufkommen, fordern Sie beim Pflegedienst eine Kopie der dort aufgeführten Pflegedokumentation an. Haben Sie keine Hemmungen: Sie haben ein Recht auf Einsicht in Ihre Unterlagen. Auch Angehörige können die Unterlagen anfordern. Hierfür müssen sie beim Pflegedienst eine Erklärung des Gepflegten vorlegen, mit der er den Pflegedienst von dessen Schweigepflicht entbindet. Für medizinische Fragen wenden Sie sich an den Hausarzt oder die Krankenkasse, die den Medizinischen Dienst einschalten kann, um den Sachverhalt im Hinblick auf Pflegefehler - kostenlos - zu begutachten.

Bei Behandlungsfehlern, Tätlichkeiten und Eigentumsdelikten informieren Sie die Polizei, die Hinweisen auf Straftaten nachgehen muss. Sollte es zu unüberwindbaren Konflikten mit dem Pflegedienst kommen, kann der Pflegevertrag gekündigt werden - und zwar fristlos. Das geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs hervor (BGH, 9.6.2011, III ZR 203/10). Das Kleingedruckte im Pflegevertrag ist dabei unerheblich.