Eigentlich wollte Laura Salm-Reifferscheidt (30) in Indien nur Urlaub machen. Doch dann wurde die Hamburger Journalistin für den Film “entdeckt“. Ein Erfahrungsbericht aus Bollywood.

Mumbai. Die Rolle der schönen indischen Prinzessin, die ein Prinz vor dem Bösewicht rettet, habe ich nicht bekommen. Leider. Nun muss ich eine Prostituierte spielen. Eine Möglichkeit, die mir verschwiegen wurde, als ich auf Mumbais Touristenmeile Colaba Causeway von Anabell angesprochen wurde: "Willst du bei einem Bollywood-Film mitspielen?"

Klar wollte ich das! Schließlich bin ich ein absoluter Fan der Kitsch-Filme aus Mumbai - dem Hollywood Indiens. Daher auch der Begriff Bollywood, eine Kreation aus dem ehemaligen Namen der Stadt Bombay und Hollywood. Mehr als 300 Filme werden hier pro Jahr produziert, ein Drittel aller indischen Filme. Rund sieben Milliarden Menschen besuchen jährlich die mehr als 13000 Kinos in Indien. Aber auch bei uns werden die Herz-Schmerz-Filme mit indischen Mega-Stars wie Shah Rukh Khan ("Und ganz plötzlich ist es Liebe") oder Aishwarya Rai ("Liebe lieber indisch") immer populärer.

Make-up und Glitzer machen aus der Fabrik eine Glamourwelt

Anabell ist Casterin, spezialisiert auf ausländische Statisten. Und sie hat wirklich gute Arbeit geleistet. Als ich gegen sieben Uhr abends bei einer verfallenen Fabrik ankomme - einem Außen-Studio der Produktionsfirma Vishesh Films - merke ich, dass ich nicht die einzige Ausländerin bin, die "entdeckt" wurde. Der Film soll in Europa spielen. Nordische Typen sind gefragt, und das in rauen Mengen. Über zwanzig Touristen warten auf ihren Auftritt.

In zwei primitiven Baracken warten die Masken- und Kostümbildner auf uns. Sunny, der Chef der Truppe, mustert mich von oben bis unten und zieht dann mit einem Handgriff mein Kostüm aus einem Haufen Klamotten am Boden. Minuten später stecke ich in einem hautengen, viel zu kurzen Leoparden-Fummel und neongelben Hot Pants. Gar nicht wie eine wunderschöne indische Tänzerin in einem goldbestickten Seidensari, der im Wind weht. Für Schuhe scheint das Budget nicht mehr zu reichen. Ich behalte meine Flipflops an. Mit abgeknicktem Handgelenk und spitzem Schrei ruft mir Sunny zu: "Du siehst entzückend aus!" Und zu seinen Assistenten: "Für sie nur ganz dezentes Make-up!" Das Ergebnis: grellroter Lippenstift, knallrote Wangen, Hocksteckfrisur mit pinkfarbenen Kunststoffblumen.

Stolz betrachten Sunny und sein Team ihre Kreation. Cancan-Tänzerinnen, Clowns, Zuhälter, Prostituierte, halbgottartige Wesen: Hier ist alles dabei. "Kunstwerke, ihr seid Kunstwerke!", rufen die Stylisten. Dabei sind wir nichts als ein Haufen knallbunt bemalter, verwirrter Touristen. Es ist heiß und schwül, die Schminke beginnt zu verlaufen. Von den großen Stars haben wir noch niemanden gesehen, von Glamour keine Spur. Wir sitzen auf wackligen Stühlen, essen von Plastiktellern. Einer der Mitarbeiter vertickt Raubkopien der neuen Kinofilme, um ein bisschen Geld dazu zu verdienen.

Das Budget unseres Films liegt bei 50 Millionen Rupien (rund eine Million Euro), eine Low-Budget-Produktion. Ein Film mit Mega-Stars wie Shah Rukh Khan und Top-Regisseuren wie Yash Chopra kostet schon mehr als 150 Millionen Rupien (rund drei Millionen Euro). Dank einer Regelung der indischen Regierung, die seit 1998 das Filmemachen als eigenständige Industrie anerkennt, können Produzenten bei den Banken Kredite aufnehmen. Zuvor, wird gemunkelt, soll die indische Mafia einer der größten Geldgeber gewesen sein. Nach zwei Stunden Wartezeit geht es endlich los. Ein Aufnahmeleiter scheucht uns auf das Set. Wir betreten eine andere Stadt in einem anderen Land auf einem anderen Kontinent: Zürich, Rotlichtviertel. Neonschriftzüge wie "Erotic Night Show" und "Tantra Club" prangen an den Häuserattrappen einer nachgebauten Straßenfront. Fotos von nackten Frauen schmücken die Schaufenster. Allerdings sind die Geschlechtsteile großzügig mit weißen Balken versehen, die Frauen sind kaum mehr zu erkennen. In einem Land, wo schon eine Kuss-Szene Skandale auslösen kann, ist Nacktheit nicht erwünscht. Absurd: Die obligatorische und oft vollkommen zusammenhanglose Szene mit einer Frau, deren Sari vom Regen klatschnass am Körper klebt, fehlt dennoch in fast keinem Film. "Wo sind wir hier gelandet? Ich kann doch nicht in einem Porno-Film mitspielen!", protestiert eine entsetzte Engländerin, doch schon werden wir entlang der Straße aufgestellt, sollen herumlungern, mit angewinkeltem Bein an der Wand lehnen. Eine dicke Ratte läuft an meinen Füßen vorbei. Ein alltäglicher Anblick in der Stadt mit fast 13 Millionen Einwohnern.

Es spricht sich herum: Wir sind in einem Pornofilm gelandet

Nur zwei Meter von mir entfernt sitzt der schöne Emraan Hashmi, laut Maskenbildner der beste Küsser von ganz Bollywood. In seinem verstaubten gelben Cabrio rekelt sich Schauspielerin und Sängerin Deepal Shaw in einem kessen, knappen Lederoutfit. Die beiden würdigen uns keines Blickes. "Und los!", brüllt der Regisseur Mohit Suri. Der Wagen setzt sich in Fahrt, Hashmi rammt seinen Fuß in die Bremsen, packt Shaw am Kinn, diese wendet sich angeekelt weg und steigt aus dem Wagen. "Stop!", schreit der Regisseur, "ihr müsst tanzen, los tanzt! Bringt den Statisten Musik, die sollen tanzen!" Ohrenbetäubende Musik ertönt, wir tanzen. Im Blut liegt mir das Tanzen nicht, kein Vergleich zu den eleganten Bewegungen der Inderinnen. Doch die anderen Statisten können es auch nicht besser, hüpfen ungelenk auf der Stelle herum. Vom Nachbar-Set ertönt noch lautere Musik. Dort wird ein anderer Film gedreht. Fließbandarbeit.

Sehr langsam spricht sich bei uns herum, in was für einem Film wir eigentlich mitspielen. Ein frisch vermähltes indisches Paar wird in der Hochzeitsnacht heimlich beim Sex gefilmt. Das Video kursiert kurze Zeit später im Internet. Aus Scham begeht die Braut Selbstmord. Er, gespielt von Jungstar Kunal Khemu, nimmt den Kampf gegen Pornografie und Prostitution auf. Keine Facette des klassischen Masala-Films (was so viel heißt wie Gewürzmischung) wird ausgelassen: die dramatische Liebesgeschichte, Spannung sowie Gesangs- und Tanzszenen. Schon der geplante Titel des Streifens "Blue Film" ("Soft-Porno") führte zu einem Skandal in der Stadt. Aus Angst das Familienpublikum zu verschrecken, wurde der Film auf Drängen des Produzenten Mukesh Bhatt in "Kalyug: To Hell and Back" ("Einmal zur Hölle und zurück") umbenannt.

Nach der ersten Tanzszene darf ich mein Schauspieltalent unter Beweis stellen. Ich sitze auf dem Rücksitz eines neongelben fahrenden Cabrios und winke. Wir müssen die Szene viermal wiederholen. Mal kommt der Fahrer mit der Gangschaltung nicht zurecht, mal gefällt dem Regisseur mein Winken nicht. Plötzlich fallen die ersten Tropfen vom Himmel. Regenzeit. Zwei der aufgeheizten Scheinwerferlampen zerplatzen. Sekunden später bin ich bis auf die Haut durchnässt.

"Schluss für heute!", brüllt der Aufnahmeleiter durch sein Megafon. Es ist drei Uhr morgens. Erschöpft trotten wir vom Set. An einem Kunststofftisch in einer der Baracken sitzt ein Mann, fächert sich mit einem dicken Geldbündel Luft zu. Unsere Gage. Jeder Statist bekommt einen 500-Rupien-Schein in die Hand gedrückt. Das sind umgerechnet zirka 10 Euro.