Der Belgier Hergé wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Mit seinen Comic-Helden Tim und Struppi sind ganze Generationen groß geworden.

Es war lange vor "James Bond 007" und irgendwann nach "Pippi Langstrumpf", als ich die abenteuerlichen Reisen des pfiffigen Reporters Tim und seines Foxterriers Struppi entdeckte. Ungefähr gleichzeitig mit Jim Hawkins aus der "Schatzinsel" und "Tom Sawyer" begeisterte mich der alterslose, mutige Junge mit der gelben Haartolle.

Wie Millionen andere Leser weltweit habe ich die Comicbände des belgischen Zeichners Herge verschlungen, bei den Abenteuern in Russland, auf dem Mond, in Tibet, im Kongo, in der Wüste oder an anderen exotischen Orten mitgezittert und davon geträumt, die Helden bei ihren fantastischen Reisen zu begleiten. Dann kam der Schock. In der französischen Tageszeitung "Liberation" sah ich den Hund Struppi ein letztes Mal aufjaulen. "Waaoouuu..." Dazu die Zeile: "Tim ist tot." Das war im Jahr 1983, als Comiczeichner Herge starb. Damit endete eine Comic-Serie, die das 20. Jahrhundert prägte wie kaum eine andere.

Doch der Mythos "Tim und Struppi" hat Herge überlebt. In diesem Jahr feiert alle Welt die Abenteuer des belgischen Zeichners, der am 22. Mai 2007 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Tim, nicht nur in Belgien, sondern auch in Frankreich ein Nationalheld, wird mit einer großen Ausstellung im Museum für moderne Kunst, dem Pariser Centre Pompidou, geehrt.

Wie beliebt "Tim und Struppi", französisch "Tintin et Milou", noch heute sind, zeigt die riesige Schlange vor dem Centre Pompidou für die Ausstellung "Herge". Ein gigantisches Transparent mit einer rot-weißen Rakete empfängt die Besucher, mit ihr sind Tim und Struppi zum Mond geflogen. Bruno Racine, Direktor des Centre Pompidou, sieht die Ausstellung über den 1907 in Brüssel geborenen Zeichner als Anziehungspunkt für "das große Publikum von 7 bis 77 Jahre". Auch als Künstler soll Herge neben berühmten Malern wie Matisse oder Picasso gewürdigt werden.

Der Belgier, der mit bürgerlichem Namen Georges Remi hieß, drehte einfach seine Initialen - französisch ausgesprochen - um und wurde so zu Herge. Sein erstes Abenteuer erschien schon am 10. Januar 1929, damals brach der jugendliche Held Tim mit seinem Foxterrier in "Tim im Lande der Sowjets" von Brüssel in die Sowjetunion auf.

Herge war für andere Künstler mehr als nur ein Comic-Zeichner

Mit seinen 23 Bänden ist Herge nicht nur zum wohl größten Abenteuererzähler seiner Zeit geworden, er dokumentierte auch die internationale Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Auflage von Tim und Struppi erreichte rund 200 Millionen Exemplare, die Bücher wurden in fast 60 Sprachen übersetzt. Auch in Frankreich besitzen 44 Prozent der Haushalte nach Angaben der Herge-Stiftung ein Album der legendären Gestalt. Sogar der ehemalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle sagte einmal schmunzelnd über diesen: "Mein einziger internationaler Rivale ist Tim. Wir lassen uns nicht unterkriegen von den Großen."

Herge begeisterte nicht nur Politiker, sondern auch Künstler wie Andy Warhol. Der fühlte sich von dem Belgier in gleicher Weise beeinflusst wie von Walt Disney "Für mich war Herge mehr als ein Comic-Zeichner. In seiner Arbeit gab es eine politische und satirische Dimension." Doch was macht die Faszination des Jungen mit dem eigenschaftslosen Ballongesicht aus, dem seine vielen Reisen weder Falten noch graue Haare einbrachten? Es ist nicht sein Charisma, sondern genau das Gegenteil: Seine Farblosigkeit. Er ist kaum mehr als eine schemenhafte Gestalt nur mit den Kennzeichen Kniebundhose und Haartolle. Gerade deshalb kann sich jeder mit ihm identifizieren. Er verkörpert Werte wie Freundschaft, Großzügigkeit und Mut, löst alle Geheimnisse, übersteht alle Dramen. Tims politische Einstellung wandelte sich im Laufe der Jahre. Vom Antikommunisten in der Sowjetunion wurde er zum tugendhaften Verteidiger der Schwachen und sozial Benachteiligten. Dabei schien sich Herge, der lange Jahre Mitglied der katholischen Pfadfinder war, mit Tim zu identifizieren, in Interviews sagte er immer wieder: "Tim - das bin ich." Seine Pfadfinder-Erfahrung inspirierte Herge auch zu seinem ersten Serienstar, einem Pfadfinder namens "Totor", aus dem dann Tim, der pfiffige Reporter wurde. Umstritten ist in Herges Leben nur seine Zeit als Kollaborateur der nationalsozialistischen Besatzer.

Neben Tim und seinem treuen Hund begeistern auch die skurrilen Nebenfiguren die Leser: etwa der trinkfreudige Kapitän Haddock mit seinen fast 2000 Flüchen, der schwerhörige Wissenschaftler Bienlein, die vom Pech verfolgten Zwillingsdetektive Schulze und Schultze oder die nervenraubende Opernsängerin Bianca Castafiore, eine schrille Callas-Figur.

Er war nicht nur Traumreisender, sondern auch ein Visionär

Exakt bis ins letzte Detail sind die Bilder von Herge gezeichnet. Er beeinflusste mit seiner Stilrichtung "ligne claire", den klaren Linien, die internationale Comicgeschichte. Wenn es überhaupt einen Zeichner gibt, der ihn inspiriert haben könnte, dann ist es der Amerikaner George McManus, der auch eine klare Linienführung hatte. Herge hat diesen Stil mit seinem realistisch gemalten Dekor perfektioniert, seine Zeichnungen erinnerten zunehmend an Filmszenen.

Zum Meister seines Genres wurde Herge mit der Episode "Der blaue Lotus" aus dem Jahr 1934, das die Herge-Stiftung im Original für die Pariser Ausstellung ausgeliehen hat. Darin geht Tim in Opiumhöhlen und Japan kämpft gegen China.

Herge träumte nicht nur vom großen Abenteuer, er war auch ein Visionär. Schon 1950 ließ er seine Gestalten in "Tim und Struppi - Schritte auf dem Mond" ins All fliegen.

Georges Remi hatte selbst immer davon geträumt, ein fliegender Reporter zu werden. Doch letztendlich blieb er lange Zeit seines Lebens in Belgien und schickte nur seine Helden um die Welt. Seine Arbeit unterbrach er mit einer Reise in die Schweiz, wo er sich von einem Nervenzusammenbruch erholte. Mehrfach wurde dieser Traumreisende schon geehrt. Die Belgische Astronomische Gesellschaft benannte kurz vor seinem Tod einen zwischen Mars und Jupiter entdeckten kleinen Planeten nach ihm. In diesem Jahr wird Herge mit Ausstellungen in Quebec, Barcelona und Stockholm sowie Spezialbriefmarken gefeiert. Das wichtigste Denkmal entsteht in seiner belgischen Heimat. Nahe Brüssel wird ein Herge-Museum gebaut, konzipert vom französischen Architekt Christian de Portzamparc, soll es im Jahr 2009 fertig sein. Dann werden sicher alte und junge Fans dorthin pilgern, um noch einmal in die abenteuerliche Welt von "Tim und Struppi" einzutauchen.