Der Opernregisseur Otto Schenk kehrt mit einer allerletzten Arbeit an die Wiener Staatsoper zurück. Ein Gespräch über nuschelnde Schauspieler, Wotans Aktenkoffer und Richard Wagner als Märchenonkel.

Der Wiener Otto Schenk ist selbst ernannter „Theaterer“ und Feinmechaniker in der Kunst des Blödelns. Und dabei immer auch Melancholiker. Er, der an der New Yorker Metropolitan Opera seit 1968 so oft inszeniert hat wie kein anderer, der die Rampe liebt, aber auch über darüber zu reflektieren versteht, ist nach 25 Jahren an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt. Als allerletzte Produktion hat er Leoš Janáčeks lebenskluges Tiermärchen „Das schlaue Füchslein“ ausgesucht. Wir treffen den Intendant, Schauspieler, Autor, Theater-, Film- und Opernregisseur in seiner Wiener Innenstadtwohnung. Die tropische Hitze kann seinen sprudelnden Gedanken nichts anhaben.

Die Welt: Schaut man mit 84 Jahren anders auf das Leben?

Otto Schenk: Für mich ist das Leben immer auch Theater gewesen und geblieben. Ich habe dem gegenüber eine Art dramaturgische Einstellung. Ich beobachte wie ein Staatsanwalt, der immer im Dienst ist. Denn ich fühle mich bemüßigt, zuzuschauen und zu beobachten, auf den Bühnen der Realität wie denen der Illusion. Doch ich empfinde auch dabei, so wie in einer Rolle. Da muss man mitfühlen, sich verraten, um als Schauspieler wirklich gut zu sein.

Die Welt: Und wie geht man um mit dem berühmten Gegensatz zwischen Realität und Theater?

Schenk: Ich bin ja kein Wahnsinniger, der das miteinander verwechselt! Vom Leben habe ich aber mehr gelernt. Ich halte nix von den weltfremden Künstlern. Das ist eine Arbeit. Wo man mit beiden Füßen auf den Brettern steht. Und hinterher wartet die Steuererklärung, und man sagt: Mahlzeit. In einer guten Oper versteht man immer, dass die Leute singen müssen, weil sie sich sprechend nicht mehr weiter ausdrücken können. Im Gegenteil, ich störe mich inzwischen sehr an übertriebener Schauspielersprache, an diesem Burgtheaterdeutsch, das, wenn es nicht sowieso nur noch Nuscheln ist, dort die großen Lautstärken durch besondere Deutlichkeit zu überbrücken versucht.

Die Welt: Wieso das?

Schenk: Ich wurde am Theater in der Josefstadt geprägt. Dort herrschte ein natürlicher Ton. Es war unter Todesstrafe verboten, anders zu sprechen. Kein Haus ist so klein, dass das Nuscheltheater zum Klingen kommt.

Die Welt: Wie sind Sie zur Oper gekommen?

Schenk: Ich war ein in der Oper lebendes Kind. Und ich hatte einen Opernnarren als Vater, der mir vor dem Schlafengehen statt Märchen Libretti erzählte. Ich kannte also „Salome“ und „Götterdämmerung“ vor „Schneewittchen“ und „Zwerg Nase“. Dazu wurde dann mit krächzender Stimme gesungen. Ich war also sehr gut vorbereitet. Und ich war nie ein Freund der einfachen Opern, ich habe gleich kompliziert begonnen, mit „Elektra“ und den „Meistersingern“. Die sind heute noch mein Lieblingsstück. Ich freue mich, meine New Yorker Inszenierung von 1993 im November noch einmal aufzunehmen. Mein Märchenonkel war eben Wagner, nicht die Gebrüder Grimm.

Die Welt: Ist die Wagner-Liebe je abgeflaut?

Schenk: Nie! Mozart habe ich hingegen erst bei der Arbeit lieb gewonnen. Ob ich ihn verstanden habe, weiß ich bis heute nicht. In den germanischen Göttern habe ich hingegen gleich das Menschliche entdeckt. Meine Annäherung an die Tetralogie hat das erleichtert, ich hatte nämlich einen Eid im Himmel geschworen, dass ich zwei Werke aus Verehrung, ihnen mit meinem Können kaum gewachsen zu sein, nie inszenieren werde, den „Faust“ und den „Ring“. Ich bin dann aber doch schwach geworden, wurde überredet und verführt, beide Male.

Die Welt: Wer hat Sie verführt?

Schenk: Das Werk selbst. Obwohl man ja erst mal ein ganz anderes Gebirge vor sich hat, wenn man sich mit einem solchen Ding beschäftigt, als wenn man es nur liest oder lebt. „Mein „Ring“-Zugang war dort, wo er mich anging, die menschlichen Beziehungen. Es ist dann doch ein Vater, der mit seiner Tochter ringt, egal ob die Wotan und Brünnhilde heißen, es sind am „Rheingold“-Anfang drei wilde Mädels, die einen alten, geilen Kerl verführen wollen, und Siegfried ist ein unerziehbares, schlimmes Kind, an dem ein auch charakterlicher Zwerg scheitert.

Die Welt: Ihr naturalistischer „Ring“ mit Riesen und Drachen, der von 1986 bis 2009 an der Metropolitan Opera lief, ist heute ein Klassiker.

Schenk: Ich hänge den alten Sachen nicht nach, bin aber heute noch froh, einen so großartigen Miterfinder gehabt zu haben wie meinen Bühnenbildner Günther „Schneisi“ Schneider-Siemssen. Der hat immer gebastelt. Der hat mir die Räume des „Rings“ erklärt. Und er fand auch heraus, wie wichtig das Wetter ist. Wagner hat es fast immer vorgegeben. Er war sehr wetterfühlig. Es deutet Handlung voraus und verstärkt Stimmungen.

Die Welt: Sie werden oft gebeten, alte Inszenierungen wieder aufzufrischen. Macht das Spaß?

Schenk: Es ist merkwürdig. Ich mache das aber nur, wenn ich eine nostalgische Beziehung zu dieser Arbeit habe. Manches mochte ich schon nach der Premiere nicht mehr, aber die sind zum Glück längst ausrangiert. Bei meinen beiden „Rosenkavalieren“ dem von 1972 in München und dem einige Jahre älteren in Wien, behagt mir beispielsweise die Verpackung des Wieners nicht mehr so. Aber anderseits gibt es da eine Patina, die mag auch mit diesem Werk zu tun haben, die könnte man gar nicht künstlich erzeugen. Also lass ich es, poliere nur auf. Was dabei aus dem Heute mit hereinspielt, merke ich nicht, denn auch ich bin ja – hoffentlich – von heute.

Die Welt: Warum gibt es keine Aktualisierungen bei Otto Schenk?

Schenk: Mir leuchtet einfach nicht ein, warum man etwa „La Bohème“ unbedingt ins Heute transformieren muss. Eine tuberkulöse Mimi braucht nur ein paar Pillen Penicillin schlucken, und alles wäre gut. Wenn da ein modernes Mädel herumrennt, fragt man doch immer: Warum singt die so altmodische Melodien? Und eine Kerze würde ihr bestimmt auch nicht ausgehen, die hat doch einen Lichtschalter! Ich habe mich selbst als Schauspieler ganz gern verkleidet, nur falsche Kostüme habe ich zeitlebens gehasst. Und mein Ehrgeiz war und ist es, die Schlamperei zu entdecken und zu gestalten. Denn nur dann stimmt es, es darf nie aseptisch aussehen. Das Theater und die Oper beschneiden sich einer großen Kraft und eines großen Amüsements, wenn sie diesen Maskenball der Ewigkeiten nicht mittanzen. Den ganzen, plötzlich wieder so hochaktuellen Schnitzler gibt es ohne Duell einfach nicht. Auch in Michael Hanekes „Das weiße Band“ kann jeder Satz, jede Geste nur so, Anfang des 20. Jahrhunderts in einer dörflichen Gemeinschaft, geschehen. Freilich, manchmal hat das mit dem Aktualisieren funktioniert. Aber nur bei echten Genies der Regie. Und was gut gelingt, geht immer in Ordnung, auch wenn es falsch ist.