Absurder Tierschutz: Eine Schnepfe wird zum Bauverhinderer, EU-genormte Zäune schützen unsichtbare Vögel und ein pupsender Fisch kostet Arbeitsplätze. Das geht selbst Naturschützern zu weit.

Es gibt diese aufmunternde Poesiealbumweisheit, die besagt, dass wenn gar nichts mehr geht, von irgendwo her schon ein rettendes Lichtlein kommen wird. Diese Hoffnung beflügelt auch den Widerstand gegen unliebsame Bauprojekte. Wenn gar nichts mehr geht, kommt von irgendwoher rettender Beistand geflogen, geflattert, gekrochen, gekrabbelt oder auch geschwommen.

Es sind bedrohte Tiere, die in Kombination mit dem deutschen und europäischen Recht zu einem schlagkräftigen Instrument gegen Bauvorhaben werden. Wo Wachtelkönig, Feldhamster oder Juchtenkäfer auftauchen, droht neuen Brücken, Autobahnen oder Bahnhöfen die Blockade, wenn nicht gar das endgültige Aus. Die Zeiten, in denen Bagger und Bulldozer stets Vorrang hatten, sind längst vorbei. Das Verhältnis des Menschen zur Natur hat sich verändert, die Akzeptanz für den Naturschutz wird immer größer.

Deutschland hat die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt unterzeichnet. Schon 2007 hat die damalige schwarz-rote Bundesregierung 430 konkrete Maßnahmen zur Rettung bedrohter Arten beschlossen. Ein Drittel der 48.000 Tierarten in Deutschland ist gefährdet. Kein Wunder also, dass Naturschützer bei umstrittenen Großprojekten genau hinschauen – um im Namen einer bedrohten Tierart in letzter Minute noch Einfluss nehmen zu können.

Wo der Knutt rasten will, steht alles still

Die Liste solcher tierischen Baustopper ist inzwischen lang, und immer neue Tiere kommen hinzu. Jüngster Neuzugang ist der afro-sibirische Knutt, ein Schnepfenvogel, der die geplante Elbvertiefung zwischen Hamburg und Cuxhaven verhindern könnte. Auf seinem Frühjahrszug von der Westküste Südafrikas zu seinen Nistplätzen in der sibirischen Tundra legt er auch nahe der Elbemündung im Dithmarscher Watt eine Rast ein.

Naturschützer befürchten, dass ein Ausbaggern der Fahrrinne die Strömungen an der Nordsee so verändern würde, dass es zu längeren Überflutungen im Wattenmeer kommen könnte – was auch den seltenen Knutt gefährden würde. Wegen der drohenden Auswirkungen auf die gesamte Region haben der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Naturschutzbund (Nabu) Hamburg gegen die seit Jahren umstrittene Elbvertiefung geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig muss nun klären, ob die auf 700 Seiten aufgeführten Bedenken der Verbände berechtigt sind – und das Projekt gegebenenfalls stoppen.

Denn steht eine seltene Art erst einmal auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten, ist sie nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Wo so ein seltenes Tier frisst, wohnt und seinen Nachwuchs aufzieht, sind Schutzgebiete auszuweisen. So schreibt es die strenge Europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) vor. BUND-Präsident Hubert Weiger nennt diese bedrohten Tierarten den „letzten Rettungsanker des Naturschutzes“.

Ein EU-genormter Zaun für unsichtbare Vögel

Allen voran der Wachtelkönig ist bundesweit zu einem Synonym für den Widerstand gegen Großprojekte geworden. Der lärmempfindliche Vogel fühlt sich wohl in hohem Pfeifengras. Sein knarrender Gesang ist oft der einzige Hinweis auf seine Existenz. Die Tiere sind scheu. Nur ausdauernde Vogelbeobachter haben ihn je zu Gesicht bekommen.

Im Süden Hamburgs waren die Vogelbeobachter offensichtlich besonders hartnäckig und zählten 15 Exemplare der seltenen Tiere. Das waren genug, um den Neubau von 1250 neuen Wohnungen jahrelang zu verzögern. Zum Schutz der Vögel wurde die Fläche des Neubaugebiets halbiert. Es musste zudem ein EU-genormter Zaun angelegt werden, um die Vögel vor streunenden Haustieren zu schützen.

Auch der possierliche Feldhamster hat es zu bundesweiter Berühmtheit gebracht. Zwischen 200 und 650 Gramm schwer ist er, aber bereits zu einem politischen Schwergewicht geworden. In Göttingen stand er einem Neubau der Universität im Weg, bei Aachen durfte seinetwegen ein Gewerbegebiet lange nicht bebaut werden. Bei Würzburg musste ein Möbelhaus eine ganze Hamster-Kolonie umsiedeln, um mit den Bauarbeiten beginnen zu können. „Wir wollen Bauvorhaben nicht verhindern, sondern die Auswirkungen auf die Natur minimieren“, versichert Weiger.

Instrumentalisierung der tierischen Freunde

Als auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Stuttgarter Tiefbahnhof auf dem Gelände der Großbaustelle einzelne Exemplare des seltenen Juchtenkäfers auftauchten, reichten Naturschützer Klage gegen das Projekt ein. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg verhängte zunächst einen Baustopp, damit die Rettung der Tiere organisiert werden konnte. Die Bäume, unter deren Rinde die gerade einmal vier Zentimeter großen Tiere leben, dürfen nicht gefällt werden. Was bleibt, ist der Verdacht, die Käfer könnten gezielt ausgesetzt worden sein.

Beim Bundesamt für Naturschutz (BfN) sieht man die tierischen Baustopper denn auch durchaus mit gemischten Gefühlen. Natürlich muss auch bei großen Bauprojekten Rücksicht auf bedrohte Arten genommen werden. So schreibt es das Gesetz schließlich vor. Wie aber einzelne Arten dabei regelrecht instrumentalisiert werden, gefällt BfN-Präsidentin Beate Jessel gar nicht: „Die Art und Weise, wie Wachtelkönig und Co. in vielen Fällen benutzt werden, zieht den Naturschutz eher ins Lächerliche und schadet ihm damit.“

So entsteht in der Bevölkerung schnell der Eindruck, der Schutz bedrohter Tiere sei wichtiger als die Schaffung neuer Arbeitsplätze. In Dresden etwa verzögerte die Kleine Hufeisennase, eine Fledermausart, den Bau der Waldschlößchenbrücke über die Elbe. In Reichshof bei Köln durchkreuzte das Große Mausohr die Pläne für einen Klinikneubau. Fledermäuse haben auch den Weiterbau der A20 von Segeberg in Richtung Westen vorerst gestoppt. Die Beispiele lassen sich fortsetzen.

Der „Gewitterfurzer“ kostet Zeit und Geld

Im thüringischen Zeulenroda bringt gerade die seltene Zauneidechse den Zeitplan zum Bau einer neuen Molkerei durcheinander. Der Europäische Schlammpeitzger – ein Fisch, der wegen seiner pupsenden Geräusche auch „Gewitterfurzer“ genannt wird – droht in Hamburg-Harburg die Ansiedlung eines Logistikparks zu verhindern. Und wenn es darum geht, einen unerwünschten Windpark zu verhindern, wird in letzter Zeit gern der Rotmilan angeführt. Von den seltenen Greifvögeln gibt es nur noch 25.000 Brutpaare weltweit, rund die Hälfte davon lebt in Deutschland.

Mit ihrem Klagen im Namen bedrohter Tiere schöpfen Naturschützer die Möglichkeiten aus, die ihnen der Gesetzgeber einräumt. Im Jahr 2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung das Verbandsklagerecht im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Noch allerdings haben die tierischen Baustopper nach Angaben des BfN kein Großprojekt auf Dauer verhindert. Lediglich in Hessen scheiterte die Anlage eine Golfplatzes am Feldhamster. In vielen Fällen aber haben die Klagen der Naturschützer dazu geführt, dass Trassen verlegt oder alternative Standorte gesucht wurden. Das aber kostet Zeit und oft auch sehr viel Geld.

Damit es möglichst gar nicht erst zu Streitigkeiten mit dem Naturschutz kommt, muss bei Planung von Bauvorhaben auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. So können schon frühzeitig Probleme erkannt – und gelöst werden. So wurden bei den Vorbereitungen zum Bau der neuen U-Bahn in die Hamburger Hafencity in einem Hafenbecken seltene Muschelarten entdeckt. Sie mussten aus dem Wasser gefischt und umgesiedelt werden – erst dann durften die Bauarbeiten beginnen.