Hamburg. Martin Kurzhals, Vater der Tigerbox, spricht über die Kunst, Vorlesen und Hörspiele richtig zu dosieren und Vorbild zu sein.

podcast-image

Muss ich mir Sorgen machen, wenn mein Kind immer wieder das gleiche Hörspiel anhört und währenddessen ununterbrochen das CD-Cover mit dem lachenden Elefanten fixiert? Wie viel Zeit sollte die Zehnjährige vor dem Computer verbringen? Wann dürfen unsere Kinder auf dem Handy oder Tablet daddeln? Wie viele Hörspiele in der Woche?

Die Frage danach, wie die Mediennutzung unserer Kinder aussieht, ist gerade in diesen Tagen, in denen das Coronavirus alle Menschen mehr an mobile Endgeräte drängt, hochaktuell. Doch wie viel Zeit sollten Kinder und Heranwachsende womit verbringen? Wie wichtig ist dagegen aktives Lesen und vorgelesen zu bekommen? Zu diesem Thema ist Martin Kurzhals zu Gast in unserem Familien-Podcast „Morgens Zirkus, abends Theater“.

Medien: Kinder halten Dinge anders

Kurzhals hat sich ausgiebig mit bekannten und neueren Medien und deren Nutzung beschäftigt, arbeitete lange Zeit im Kinder- und Jugendbuchverlag Friedrich Oetinger und hat als Weiterentwicklung des geliebten Vorlesens mit seinem Co-Gründer Till Weitendorf die Tigerbox entwickelt. Gemeinsam mit seinen eigenen zwei Kindern übrigens.

„Kinder halten Dinge ganz anders, haben andere Fingerlängen und sehen Dinge, die ich nicht gesehen hätte“, erklärt Kurzhals die praktische Seite. Doch auch inhaltlich waren sie in der Anfangszeit die schärfsten Kritiker. „Heute ist mein Sohn 15, meine Tochter ist zwölf, dementsprechend ist das Thema Hören noch ausgeprägt, sie hören aber eher Chartslieder und sind bei Instagram unterwegs“, sagt er.

Streambare Bibliothek mit 6000 Kinder-Titeln

Die Tigerbox ist eigentlich ein minimalistisch designter Würfel, der eine streambare Bibliothek voll mit 6000 Kinder-Titeln enthält. Von den Olchis und Bibi und Tina über Kinderlieder, Englisch-Lernen, Hörspiele und Bücher, die von den Kindern ohne Werbung per Touchscreen bedient werden können. Zuvor legen die Eltern jedoch per App den Rahmen für die Nutzung fest, beispielsweise kann das Alter eingestellt und Titel ausgewählt werden, die dann zur Verfügung stehen.

„Es geht ja darum, wie die Kinder digitale Medien im Kinderzimmer konsumieren, wie das die Erwachsenen ja über ihr Handy auch tun. Es ist die neue Generation von CD-Playern, die Analogie war ein Bibliotheksbesuch, bei dem Kinder nur Bücher mitnehmen können, die für ihr Alter bestimmt sind.“

Eigenständigkeit als wichtiger Schritt in digitalen Zeiten

Man könne sein Kind nicht vor 6000 Medien einfach alleine lassen, sondern müsse dafür sorgen, dass es nur das konsumiere, was altersgerecht vorher kuratiert wurde. Innerhalb des von den Eltern gegebenen Ausschnitts können sich die Kinder dann jedoch frei bewegen und eigenständig auswählen, was sie gern anhören möchten. Die Eigenständigkeit als wichtiger Schritt in digitalen Zeiten.

Doch wie lange wovon ist gesund? „Ich halte nichts von knallharten Vorgaben, 17 Minuten am Tag davon, so und so viel Screen ­Time. Es muss ein Mix sein, und wir als Eltern haben die Pflicht einzugreifen und zu sagen, wenn es zu exzessiv wird“, sagt Kurzhals. „Macht den Mix“, ist seine Empfehlung. Die Eltern müssten mitwirken, indem sie ihre eigenen Kinder beobachteten.

Mediendefizit bei Schulantritt vermeiden

„Oft ist da auch die Angst, weil Eltern nicht wissen, wie etwas funktioniert oder wenn sie nicht wissen, welchen Einfluss es auf die Kinder hat, dann wollen sie es verstecken, um die Kinder zu schützen. Einfach mal ausprobieren, mit den Kindern ansehen und dann dosieren, falls die Kinder angefixt sind.“

Um ein Mediendefizit beim Schulantritt zu vermeiden, müssen Eltern sich alles anschauen und über alle neuen Entwicklungen in Bezug auf alle Medienformen Bescheid wissen. „Es gibt so viele neue Möglichkeiten, Wissen zu vermitteln“, sagt er. Auf YouTube gibt es Videos, auf Tablets interaktive Geschichten.

Die eigene Vorbildfunktion ist wichtig

Alles Wege, die er seinen Kindern nicht verwehren möchte. Wenn das Smartphone allerdings „vor dem Gesicht festgewachsen ist“, dann müsse es auch mal weggenommen werden. „Denn dann kommt die Langeweile als Kreativitätstool.“ Jedoch: Ohne Streit zuvor, harte Diskussionen (und mit zunehmendem Alter werden die Kinder ja auch immer eloquenter) und Aufbegehren ginge es selten.

Auch die eigene Vorbildfunktion sei wichtig, nicht selten ertappt sich Kurzhals dabei, wie er – Achtung Fachbegriff „second screen“ – also mit Bildschirm vor dem Bildschirm, mit Handy vor der Nase Fernsehen schaute. Er geht so weit, den Medienkonsum mit einer Droge zu vergleichen. „Die Kinder sind selber dankbar, denn die exzessive Nutzung macht sie unterschwellig unzufrieden. Sie sind zwar voll drin und würden auch nicht freiwillig aufhören, aber wenn man sie dann davon entbindet, begehren sie kurz auf, aber wenn dann die Kreativitätsphase einsetzt, dann sind sie dankbar.“

Familiendynamik provozieren

Man müsse eine Familiendynamik provozieren, um die ununterbrochene Nutzung einzuschränken. Familienyoga, zum Beispiel. Wichtig findet es Kurzhals jedoch, neben aller Diskussion um die neuen Medien, ganz früh regelmäßig „intensiv vorzulesen“, nicht nur zwei Minuten. Es sei „im doppelten Sinne gut, denn ich konnte abschalten, musste mich jetzt 20 Minuten um meinen Sohn kümmern und vorlesen.“ Die Arbeit mit allen Herausforderungen des Tages war ausgeblendet. Dafür Bobo Siebenschläfer am Start. „Unglaublich, fast immer das gleiche Buch, zwei Jahre lang“, sagt er lachend.

Und übrigens, wenn Ihr Kind Benjamin Blümchen auf einem Cover anstarrt während es Benjamin Blümchen hört, ohne ansprechbar zu sein – keine Sorge. Da ist gerade jemand sehr kreativ.