Berlin (dpa) - Im September vor 30 Jahren gaben die Ärzte ihr erstes Konzert, damals waren nur wenige Punks dabei. Heute kokettiert die Band mit ihrem Massenerfolg.

Songs wie «Schrei nach Liebe» oder «Zu spät» sind immer noch Dauerbrenner - selbst wenn Kritiker der Berliner Band um Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González gerne Kommerz und Dauerpubertät vorwerfen. Das aktuelle Album «auch» landete prompt wieder in den Charts. Schlagzeuger und Sänger Bela B spricht mit der Nachrichtenagentur dpa über Postkarten, Pussy Riot und Botox.

Erinnerst Du dich noch an Euer erstes Konzert?

Bela B: «Das war damals im Besetzereck in Berlin, ein besetztes Haus in Kreuzberg. Wir sind da von Punks angemacht worden, weil die unseren Witz nicht verstanden haben.»

Heute spielt ihr vor Massenpublikum. Sehnst du dich manchmal nach alten Zeiten?

Bela B: «Ich finde gut, dass wir da angefangen haben, aber auch gut, wo wir jetzt sind. Wenn wir noch in solchen Clubs spielen würden, wären wir wohl so eine Feierabendkapelle.»

Wie hat sich die Freundschaft zwischen Dir und Farin Urlaub in 30 Jahren entwickelt?

Bela B: «Unsere Freundschaft war immer eng an die Musik gekoppelt. Wir sind vielleicht drei oder viermal gemeinsam verreist. Ins Kino oder Essen gehen tun wir heute noch. Probleme wälzen wir nicht unbedingt. Jeder ruft bei persönlichen Tiefs lieber andere Freunde an. Farin ist aber eine treue Seele, der sich regelmäßig nach einem Urlaub meldet. Er ist auch derjenige, der Postkarten schreibt - obwohl er das jetzt nicht mehr so häufig macht. Legendär war, dass er immer Postkarten gesucht hat, auf denen Kräne zu sehen waren. Dann hat er den Kran darauf eingekreist. Inhaltlich schrieben wir uns aber eher Quatsch.»

Du wirst im Dezember 50, macht dir das Angst?

Bela B: «Vor ein paar Jahren dachte ich, hm komisch, aber jetzt... Ich habe so viel Spaß am Musikmachen, an Musik anderer Leute und am Leben. Ich weiß nicht, warum ich Angst haben sollte. Die goldene 27 haben wir verpasst, das Alter in dem Rockstars anständigerweise sterben. Und das macht mir ehrlich gesagt nichts aus.»

Merkt man das Alter auf der Bühne, du bist ja am Schlagzeug immer in voller Aktion?

Bela B: «Bei vielen Dingen, die ich heute mache, bin ich nicht sicher, ob ich das in den 80ern durchgehalten hätte. Ich mache mehr Sport, trinke und mache auch diverse andere ungesunde Dinge weniger. Du wirst aber irgendwann abgeklärter, bezweifelst deine eigenen Texte viel mehr. Das bewundere ich an jungen Bands, die ganz unbedarft total wichtige Sachen sagen können. Je älter du wirst, desto mehr zerdenkst du Dinge.»

Im Internet staunen deine Fans jedenfalls, dass deine Haut so faltenfrei ist...

Bela B: (lacht laut) «Ich weiß, es gehen so komische Gerüchte um, ich wäre geliftet und so ein Quatsch.

Und, würdest du dir Botox spritzen lassen?

Bela B: «Nein! Warum sollte ich? Einem Mann stehen Falten doch ganz gut? Ich war überrascht, als ich hörte, dass das auch gegen Migräne eingesetzt wird. Da ich aber auch nicht migräneanfällig bin, kommt das für mich nicht infrage.»

In Eurem neuen Lied «Das darfst du» rätst du dazu, sich auch mal aufzulehnen. Sind die Menschen heute zu konform?

Bela B: «Zum Teil. Es ist heute leider alles kommerzialisiert, das Rebellentum, die Anti-Haltung ist Mode. Das waren Lebensentwürfe, die die Industrie aufgegriffen hat und nun geschickt nutzt. Das haben wir beim Punkrock auch schon mal erlebt. Ich singe nicht über ängstliche Spießer, sondern über Leute, die sich nicht trauen, für sich zu entscheiden und mit dem modischen Strom schwimmen.»

Reizen Euch politische Texte noch?

Bela B: «Rock 'n' Roll ist zu zeitlos, um mit dem Zeigefinger auf einzelne Sachen zu zeigen. Das Nazithema haben wir in unseren Texten persifliert, weil wir uns da abgrenzen wollen. Und weil das von vielen Musikhörern auf die zu leichte Schulter genommen wird. Wenn Musiker überzeugend politisch agieren wollen, sollten sie die Fans zur Selbstbestimmung auffordern. Ich finde aber gut, dass Madonna in Russland Partei für die Musikerinnen von Pussy Riot ergriffen hat.»

Das wurde Madonna aber gleich als Eigen-PR ausgelegt?

Bela B: «Man will jemanden mundtot machen, indem man sagt, er hat davon keine Ahnung, oder die will nur für sich Werbung machen. Das ist doch immer das leichteste Argument. Jetzt reden alle über Menschenrechte in Russland. Und wenn das dadurch ausgelöst wurde, dass sich eine der bekanntesten Künstlerinnen der Welt dazu äußert, dann sehe ich da absolut keinen Ansatz zur Kritik.»

Seht ihr Euch mit Pussy Riot auch solidarisch?

Bela B: «Schorsch Kamerun (Der Sänger der Band Die Goldenen Zitronen) hat dazu gesagt, dass er fast neidisch ist, dass man in Russland mit Musik noch so provozieren kann. Da geht es mir ähnlich. In unserer Kommerzkultur dient der Tabubruch nur noch den Medien. Wir waren damals ein bisschen stolz, wenn wir in den 80ern Demonstrationen vor unseren Konzerten ausgelöst haben. Ich fand es super, mich antikonform zu fühlen.»

Tourdaten «Das Comeback»: 14.10 Freiburg, 16.10 Regensburg, 18.10 Trier, 19.10 Bamberg, 21.10 (A) Linz, 23.10 Augsburg, 24.10 Passau, 26.10 Karlsruhe, 27.10 Friedrichshafen, 28.10 Göttingen, 31.10 Münster (Ausverkauft), 01.11 Oldenburg, 03.11 Bielefeld, 04.11 Bielefeld (Ausverkauft), 06.11 Düsseldorf, 07.11 Düsseldorf (Ausverkauft)

Interview: Annette Reuther, dpa

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